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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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daß mein Freimuth sie nicht verletzte, ja daß diese
rücksichtslose Ehrlichkeit es war, der ich die raschen
Fortschritte in ihrem Vertrauen zu danken hatte. Ich
ging schon in dieser Zeit unangemeldet bei ihr aus
und ein, und der Riegel wurde nicht mehr vorgescho¬
ben, wenn sie mich im Vorzimmer wußte.

Wie bedeutend diese Fortschritte waren, sollte ich
jedoch erst am Vorabend meiner zweiten Heimreise,
der mit dem solennen Prinzenfeste zusammenfiel, ge¬
wahr werden. Die Gräfin war den Tag über so gu¬
ter Laune, wie ich sie noch niemals gesehen hatte.
Sie erhielt eine ihrer geheimnißvollen Dresdener Cor¬
respondenzen, die sie lächelnd las und wieder las.
Ich bemerkte, daß sie ein Miniaturbild mit Wohlge¬
fallen betrachtete und dann sorgfältig verschloß. "Schön,
-- schön, -- wie Er!" hörte ich sie murmeln, und
dann ein andermal: "Jung Blut hat Muth!" Ja,
als ich nach der üblichen Mittagsruhe bei ihr eintrat,
kam ich auf den sträflichen Gedanken, hochgräfliche
Gnaden haben sich im festlichen Champagner einen
Spitz getrunken. Sie saß mit halbgeschlossenen Augen
im Lehnstuhl und trällerte ganz munter ein Liebeslied¬
chen, als dessen Dichterin die schöne Aurora von Kö¬
nigsmark genannt worden ist:

daß mein Freimuth ſie nicht verletzte, ja daß dieſe
rückſichtsloſe Ehrlichkeit es war, der ich die raſchen
Fortſchritte in ihrem Vertrauen zu danken hatte. Ich
ging ſchon in dieſer Zeit unangemeldet bei ihr aus
und ein, und der Riegel wurde nicht mehr vorgeſcho¬
ben, wenn ſie mich im Vorzimmer wußte.

Wie bedeutend dieſe Fortſchritte waren, ſollte ich
jedoch erſt am Vorabend meiner zweiten Heimreiſe,
der mit dem ſolennen Prinzenfeſte zuſammenfiel, ge¬
wahr werden. Die Gräfin war den Tag über ſo gu¬
ter Laune, wie ich ſie noch niemals geſehen hatte.
Sie erhielt eine ihrer geheimnißvollen Dresdener Cor¬
reſpondenzen, die ſie lächelnd las und wieder las.
Ich bemerkte, daß ſie ein Miniaturbild mit Wohlge¬
fallen betrachtete und dann ſorgfältig verſchloß. „Schön,
— ſchön, — wie Er!“ hörte ich ſie murmeln, und
dann ein andermal: „Jung Blut hat Muth!“ Ja,
als ich nach der üblichen Mittagsruhe bei ihr eintrat,
kam ich auf den ſträflichen Gedanken, hochgräfliche
Gnaden haben ſich im feſtlichen Champagner einen
Spitz getrunken. Sie ſaß mit halbgeſchloſſenen Augen
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[210/0217] daß mein Freimuth ſie nicht verletzte, ja daß dieſe rückſichtsloſe Ehrlichkeit es war, der ich die raſchen Fortſchritte in ihrem Vertrauen zu danken hatte. Ich ging ſchon in dieſer Zeit unangemeldet bei ihr aus und ein, und der Riegel wurde nicht mehr vorgeſcho¬ ben, wenn ſie mich im Vorzimmer wußte. Wie bedeutend dieſe Fortſchritte waren, ſollte ich jedoch erſt am Vorabend meiner zweiten Heimreiſe, der mit dem ſolennen Prinzenfeſte zuſammenfiel, ge¬ wahr werden. Die Gräfin war den Tag über ſo gu¬ ter Laune, wie ich ſie noch niemals geſehen hatte. Sie erhielt eine ihrer geheimnißvollen Dresdener Cor¬ reſpondenzen, die ſie lächelnd las und wieder las. Ich bemerkte, daß ſie ein Miniaturbild mit Wohlge¬ fallen betrachtete und dann ſorgfältig verſchloß. „Schön, — ſchön, — wie Er!“ hörte ich ſie murmeln, und dann ein andermal: „Jung Blut hat Muth!“ Ja, als ich nach der üblichen Mittagsruhe bei ihr eintrat, kam ich auf den ſträflichen Gedanken, hochgräfliche Gnaden haben ſich im feſtlichen Champagner einen Spitz getrunken. Sie ſaß mit halbgeſchloſſenen Augen im Lehnſtuhl und trällerte ganz munter ein Liebeslied¬ chen, als deſſen Dichterin die ſchöne Aurora von Kö¬ nigsmark genannt worden iſt:

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/217>, abgerufen am 15.05.2024.