Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

er nun summarischen Befehl zur unverweilten Rückkehr
nach Dresden erhalten haben, und hoffte man, auf
diese Weise bei dem sich vorbereitenden Kreuzzuge gegen
den fränkischen Jakobinismus, vor einer compromit¬
tirenden Theilnahme des fürstlichen Parteigängers sicher
gestellt zu sein.

"Es hat sich," so schloß der Prediger sein Re¬
ferat, "es hat sich nach anderthalbhundertjährigem
Schlummer im deutschen Walde ein treibender Sturm
erhoben. Oben in den Wipfeln rauscht's und braust's,
während das Wurzelland, ein breiter, dumpfer Weide¬
platz, noch der umarbeitenden Pflugschaar harrt. In
der Gelehrtenwelt, in Kunst und Poesie, allerorten
sehen wir einzelne Spitzen, unverstanden, oder falsch
verstanden, die Menge überragen. Auch in unseren
ungezählten Dynastengeschlechtern thut sich dieses jache,
ungleichartige Drängen kund. Wie viele sind ihrer
nicht, die einen genialischen Sprossen getrieben haben?
Sehen sich diese Sprößlinge nun als Erben eines
Throns, wie Friedrich, wie Joseph, oder auf anderem
Gebiete, wie der edle Weimaraner, so werfen sie sich
auf zu Bahnbrechern einer neuen Ordnung, um je
nach Kräften, Verhältnissen und Temperament in
ihrem Streben zu siegen, oder unterzugehen, immerhin

er nun ſummariſchen Befehl zur unverweilten Rückkehr
nach Dresden erhalten haben, und hoffte man, auf
dieſe Weiſe bei dem ſich vorbereitenden Kreuzzuge gegen
den fränkiſchen Jakobinismus, vor einer compromit¬
tirenden Theilnahme des fürſtlichen Parteigängers ſicher
geſtellt zu ſein.

„Es hat ſich,“ ſo ſchloß der Prediger ſein Re¬
ferat, „es hat ſich nach anderthalbhundertjährigem
Schlummer im deutſchen Walde ein treibender Sturm
erhoben. Oben in den Wipfeln rauſcht's und brauſt's,
während das Wurzelland, ein breiter, dumpfer Weide¬
platz, noch der umarbeitenden Pflugſchaar harrt. In
der Gelehrtenwelt, in Kunſt und Poeſie, allerorten
ſehen wir einzelne Spitzen, unverſtanden, oder falſch
verſtanden, die Menge überragen. Auch in unſeren
ungezählten Dynaſtengeſchlechtern thut ſich dieſes jache,
ungleichartige Drängen kund. Wie viele ſind ihrer
nicht, die einen genialiſchen Sproſſen getrieben haben?
Sehen ſich dieſe Sprößlinge nun als Erben eines
Throns, wie Friedrich, wie Joſeph, oder auf anderem
Gebiete, wie der edle Weimaraner, ſo werfen ſie ſich
auf zu Bahnbrechern einer neuen Ordnung, um je
nach Kräften, Verhältniſſen und Temperament in
ihrem Streben zu ſiegen, oder unterzugehen, immerhin

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0223" n="216"/>
er nun &#x017F;ummari&#x017F;chen Befehl zur unverweilten Rückkehr<lb/>
nach Dresden erhalten haben, und hoffte man, auf<lb/>
die&#x017F;e Wei&#x017F;e bei dem &#x017F;ich vorbereitenden Kreuzzuge gegen<lb/>
den fränki&#x017F;chen Jakobinismus, vor einer compromit¬<lb/>
tirenden Theilnahme des für&#x017F;tlichen Parteigängers &#x017F;icher<lb/>
ge&#x017F;tellt zu &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es hat &#x017F;ich,&#x201C; &#x017F;o &#x017F;chloß der Prediger &#x017F;ein Re¬<lb/>
ferat, &#x201E;es hat &#x017F;ich nach anderthalbhundertjährigem<lb/>
Schlummer im deut&#x017F;chen Walde ein treibender Sturm<lb/>
erhoben. Oben in den Wipfeln rau&#x017F;cht's und brau&#x017F;t's,<lb/>
während das Wurzelland, ein breiter, dumpfer Weide¬<lb/>
platz, noch der umarbeitenden Pflug&#x017F;chaar harrt. In<lb/>
der Gelehrtenwelt, in Kun&#x017F;t und Poe&#x017F;ie, allerorten<lb/>
&#x017F;ehen wir einzelne Spitzen, unver&#x017F;tanden, oder fal&#x017F;ch<lb/>
ver&#x017F;tanden, die Menge überragen. Auch in un&#x017F;eren<lb/>
ungezählten Dyna&#x017F;tenge&#x017F;chlechtern thut &#x017F;ich die&#x017F;es jache,<lb/>
ungleichartige Drängen kund. Wie viele &#x017F;ind ihrer<lb/>
nicht, die einen geniali&#x017F;chen Spro&#x017F;&#x017F;en getrieben haben?<lb/>
Sehen &#x017F;ich die&#x017F;e Sprößlinge nun als Erben eines<lb/>
Throns, wie Friedrich, wie Jo&#x017F;eph, oder auf anderem<lb/>
Gebiete, wie der edle Weimaraner, &#x017F;o werfen &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
auf zu Bahnbrechern einer neuen Ordnung, um je<lb/>
nach Kräften, Verhältni&#x017F;&#x017F;en und Temperament in<lb/>
ihrem Streben zu &#x017F;iegen, oder unterzugehen, immerhin<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0223] er nun ſummariſchen Befehl zur unverweilten Rückkehr nach Dresden erhalten haben, und hoffte man, auf dieſe Weiſe bei dem ſich vorbereitenden Kreuzzuge gegen den fränkiſchen Jakobinismus, vor einer compromit¬ tirenden Theilnahme des fürſtlichen Parteigängers ſicher geſtellt zu ſein. „Es hat ſich,“ ſo ſchloß der Prediger ſein Re¬ ferat, „es hat ſich nach anderthalbhundertjährigem Schlummer im deutſchen Walde ein treibender Sturm erhoben. Oben in den Wipfeln rauſcht's und brauſt's, während das Wurzelland, ein breiter, dumpfer Weide¬ platz, noch der umarbeitenden Pflugſchaar harrt. In der Gelehrtenwelt, in Kunſt und Poeſie, allerorten ſehen wir einzelne Spitzen, unverſtanden, oder falſch verſtanden, die Menge überragen. Auch in unſeren ungezählten Dynaſtengeſchlechtern thut ſich dieſes jache, ungleichartige Drängen kund. Wie viele ſind ihrer nicht, die einen genialiſchen Sproſſen getrieben haben? Sehen ſich dieſe Sprößlinge nun als Erben eines Throns, wie Friedrich, wie Joſeph, oder auf anderem Gebiete, wie der edle Weimaraner, ſo werfen ſie ſich auf zu Bahnbrechern einer neuen Ordnung, um je nach Kräften, Verhältniſſen und Temperament in ihrem Streben zu ſiegen, oder unterzugehen, immerhin

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/223
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/223>, abgerufen am 15.05.2024.