ich, daß in irgend einem Stadium ihrer Bekanntschaft das große Wort Liebe zwischen ihnen gewechselt worden sei. Große Worte so wenig wie kleine Zärt¬ lichkeiten waren Reckenburg'scher Habitus; aus welcher Bemerkung indessen keineswegs gefolgert werden soll, daß die Leute nicht tief im Herzensgrund aneinander gehangen hätten. Ich wüßte, im Gegentheil, mir kaum einen glücklicheren Ehebund vorzustellen, als den, in welchem Eberhard und Adelheid sich länger als dreißig Jahre in einmüthigem Pulsschlag ergänzten und trugen. Er: groß, roth, robust; wie er sich selber nannte: "ein Ursachse," den ein neckischer Kobold unter die leichte Reiterei gewürfelt hatte. Sie: klein, fein, blaß und behende. Er: gutmüthig, sorglos, gelassen, bereit, die Dinge, sobald sie ihm zu ernsthaft wurden, mit einem Scherzworte abzufertigen. Sie: bedacht¬ sam, klug, praktisch und darum, zu allseitiger Be¬ friedigung, der Souffleur und heimliche Maschinist der häuslichen Bühne. Beide: Ehren- und Edelleute vom Scheitel zur Zeh'. Daß die Heldin und Schrei¬ berin dieser Geschichte, das einzige Kind des glücklichen Paares, körperlich nach der Structur des Vaters, geistig mehr nach der der Mutter geschlagen ist, wird aus ihrem Lebensbaue zu ersehen sein.
ich, daß in irgend einem Stadium ihrer Bekanntſchaft das große Wort Liebe zwiſchen ihnen gewechſelt worden ſei. Große Worte ſo wenig wie kleine Zärt¬ lichkeiten waren Reckenburg'ſcher Habitus; aus welcher Bemerkung indeſſen keineswegs gefolgert werden ſoll, daß die Leute nicht tief im Herzensgrund aneinander gehangen hätten. Ich wüßte, im Gegentheil, mir kaum einen glücklicheren Ehebund vorzuſtellen, als den, in welchem Eberhard und Adelheid ſich länger als dreißig Jahre in einmüthigem Pulsſchlag ergänzten und trugen. Er: groß, roth, robuſt; wie er ſich ſelber nannte: „ein Urſachſe,“ den ein neckiſcher Kobold unter die leichte Reiterei gewürfelt hatte. Sie: klein, fein, blaß und behende. Er: gutmüthig, ſorglos, gelaſſen, bereit, die Dinge, ſobald ſie ihm zu ernſthaft wurden, mit einem Scherzworte abzufertigen. Sie: bedacht¬ ſam, klug, praktiſch und darum, zu allſeitiger Be¬ friedigung, der Souffleur und heimliche Maſchiniſt der häuslichen Bühne. Beide: Ehren- und Edelleute vom Scheitel zur Zeh'. Daß die Heldin und Schrei¬ berin dieſer Geſchichte, das einzige Kind des glücklichen Paares, körperlich nach der Structur des Vaters, geiſtig mehr nach der der Mutter geſchlagen iſt, wird aus ihrem Lebensbaue zu erſehen ſein.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0091"n="84"/>
ich, daß in irgend einem Stadium ihrer Bekanntſchaft<lb/>
das große Wort <hirendition="#g">Liebe</hi> zwiſchen ihnen gewechſelt<lb/>
worden ſei. Große Worte ſo wenig wie kleine Zärt¬<lb/>
lichkeiten waren Reckenburg'ſcher Habitus; aus welcher<lb/>
Bemerkung indeſſen keineswegs gefolgert werden ſoll,<lb/>
daß die Leute nicht tief im Herzensgrund aneinander<lb/>
gehangen hätten. Ich wüßte, im Gegentheil, mir<lb/>
kaum einen glücklicheren Ehebund vorzuſtellen, als den,<lb/>
in welchem Eberhard und Adelheid ſich länger als<lb/>
dreißig Jahre in einmüthigem Pulsſchlag ergänzten<lb/>
und trugen. <hirendition="#g">Er</hi>: groß, roth, robuſt; wie er ſich ſelber<lb/>
nannte: „ein Urſachſe,“ den ein neckiſcher Kobold unter<lb/>
die leichte Reiterei gewürfelt hatte. <hirendition="#g">Sie</hi>: klein, fein,<lb/>
blaß und behende. <hirendition="#g">Er</hi>: gutmüthig, ſorglos, gelaſſen,<lb/>
bereit, die Dinge, ſobald ſie ihm zu ernſthaft wurden,<lb/>
mit einem Scherzworte abzufertigen. <hirendition="#g">Sie</hi>: bedacht¬<lb/>ſam, klug, praktiſch und darum, zu allſeitiger Be¬<lb/>
friedigung, der Souffleur und heimliche Maſchiniſt<lb/>
der häuslichen Bühne. <hirendition="#g">Beide</hi>: Ehren- und Edelleute<lb/>
vom Scheitel zur Zeh'. Daß die Heldin und Schrei¬<lb/>
berin dieſer Geſchichte, das einzige Kind des glücklichen<lb/>
Paares, körperlich nach der Structur des Vaters,<lb/>
geiſtig mehr nach der der Mutter geſchlagen iſt, wird<lb/>
aus ihrem Lebensbaue zu erſehen ſein.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[84/0091]
ich, daß in irgend einem Stadium ihrer Bekanntſchaft
das große Wort Liebe zwiſchen ihnen gewechſelt
worden ſei. Große Worte ſo wenig wie kleine Zärt¬
lichkeiten waren Reckenburg'ſcher Habitus; aus welcher
Bemerkung indeſſen keineswegs gefolgert werden ſoll,
daß die Leute nicht tief im Herzensgrund aneinander
gehangen hätten. Ich wüßte, im Gegentheil, mir
kaum einen glücklicheren Ehebund vorzuſtellen, als den,
in welchem Eberhard und Adelheid ſich länger als
dreißig Jahre in einmüthigem Pulsſchlag ergänzten
und trugen. Er: groß, roth, robuſt; wie er ſich ſelber
nannte: „ein Urſachſe,“ den ein neckiſcher Kobold unter
die leichte Reiterei gewürfelt hatte. Sie: klein, fein,
blaß und behende. Er: gutmüthig, ſorglos, gelaſſen,
bereit, die Dinge, ſobald ſie ihm zu ernſthaft wurden,
mit einem Scherzworte abzufertigen. Sie: bedacht¬
ſam, klug, praktiſch und darum, zu allſeitiger Be¬
friedigung, der Souffleur und heimliche Maſchiniſt
der häuslichen Bühne. Beide: Ehren- und Edelleute
vom Scheitel zur Zeh'. Daß die Heldin und Schrei¬
berin dieſer Geſchichte, das einzige Kind des glücklichen
Paares, körperlich nach der Structur des Vaters,
geiſtig mehr nach der der Mutter geſchlagen iſt, wird
aus ihrem Lebensbaue zu erſehen ſein.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/91>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.