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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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Stockwerk um Stockwerk erhöht, bis schließlich die
Haube dreimal so hoch war wie das Gestell.

Wie freut es mich heute, meine Freunde, Euch
just in diese naturwüchsige Heimstätte einführen zu
können. Denn nichts erfrischt so die Eintönigkeit des
Alters, wie eine Curiosität aus unserer frühesten Zeit.
"Der Mops mit der Zipfelmütze" steht vor meinen
Augen gleich einem lebendigen Geschöpf; was aber
würde ich Euch aus einer glatten, residenzlichen Zim¬
merflucht zu beschreiben haben?

Man nannte das Haus die Baderei oder auch
die Faberei, denn es war, sammt der Kunst des Er¬
bauers, in dessen Nachkommenschaft fortgeerbt und
"Faber", so hieß jener vom Hofstaat gestrichene Leib¬
barbier, an dessen allerhöchstes Amt noch das Pfört¬
chen erinnerte, das von unserer Gartenterrasse auf
das Schloßplateau führte.

Dieses Haus nebst Pertinenzien war nun gegen
dreißig Laubthaler Jahresmiethe der Familie von
Reckenburg so gut wie ein selbstherrliches Bereich.
Meister Faber, ein Wittmann, rastete wenig daheim.
Seine Scheerstube, im bewohnbaren oberen Dach¬
geschoß, gränzte an das Zimmerchen, das mir von
früh ab privatim eingeräumt worden war, und die

Stockwerk um Stockwerk erhöht, bis ſchließlich die
Haube dreimal ſo hoch war wie das Geſtell.

Wie freut es mich heute, meine Freunde, Euch
juſt in dieſe naturwüchſige Heimſtätte einführen zu
können. Denn nichts erfriſcht ſo die Eintönigkeit des
Alters, wie eine Curioſität aus unſerer früheſten Zeit.
„Der Mops mit der Zipfelmütze“ ſteht vor meinen
Augen gleich einem lebendigen Geſchöpf; was aber
würde ich Euch aus einer glatten, reſidenzlichen Zim¬
merflucht zu beſchreiben haben?

Man nannte das Haus die Baderei oder auch
die Faberei, denn es war, ſammt der Kunſt des Er¬
bauers, in deſſen Nachkommenſchaft fortgeerbt und
„Faber“, ſo hieß jener vom Hofſtaat geſtrichene Leib¬
barbier, an deſſen allerhöchſtes Amt noch das Pfört¬
chen erinnerte, das von unſerer Gartenterraſſe auf
das Schloßplateau führte.

Dieſes Haus nebſt Pertinenzien war nun gegen
dreißig Laubthaler Jahresmiethe der Familie von
Reckenburg ſo gut wie ein ſelbſtherrliches Bereich.
Meiſter Faber, ein Wittmann, raſtete wenig daheim.
Seine Scheerſtube, im bewohnbaren oberen Dach¬
geſchoß, gränzte an das Zimmerchen, das mir von
früh ab privatim eingeräumt worden war, und die

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[88/0095] Stockwerk um Stockwerk erhöht, bis ſchließlich die Haube dreimal ſo hoch war wie das Geſtell. Wie freut es mich heute, meine Freunde, Euch juſt in dieſe naturwüchſige Heimſtätte einführen zu können. Denn nichts erfriſcht ſo die Eintönigkeit des Alters, wie eine Curioſität aus unſerer früheſten Zeit. „Der Mops mit der Zipfelmütze“ ſteht vor meinen Augen gleich einem lebendigen Geſchöpf; was aber würde ich Euch aus einer glatten, reſidenzlichen Zim¬ merflucht zu beſchreiben haben? Man nannte das Haus die Baderei oder auch die Faberei, denn es war, ſammt der Kunſt des Er¬ bauers, in deſſen Nachkommenſchaft fortgeerbt und „Faber“, ſo hieß jener vom Hofſtaat geſtrichene Leib¬ barbier, an deſſen allerhöchſtes Amt noch das Pfört¬ chen erinnerte, das von unſerer Gartenterraſſe auf das Schloßplateau führte. Dieſes Haus nebſt Pertinenzien war nun gegen dreißig Laubthaler Jahresmiethe der Familie von Reckenburg ſo gut wie ein ſelbſtherrliches Bereich. Meiſter Faber, ein Wittmann, raſtete wenig daheim. Seine Scheerſtube, im bewohnbaren oberen Dach¬ geſchoß, gränzte an das Zimmerchen, das mir von früh ab privatim eingeräumt worden war, und die

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/95>, abgerufen am 21.11.2024.