Es war um die Mittagsstunde, als ich einen Wagen in unsere Thorfahrt lenken hörte, -- hörte, ohne es zu beachten. Ein Wink des alten Soldaten rief mich von dem Bette der Mutter; er zitterte und weinte wie ein Kind, und der, vor welchen er mich führte, zitterte und weinte wie er. "Fräulein Har¬ dine," stammelte Christlieb Taube, "ich bringe Ihnen was von dem gütigsten Menschen, der auf Erden ge¬ lebt hat, zu retten war."
Seinen Leichnam. Er hatte ihn in dem bergen¬ den Gebüsche entdeckt, als er mit seinem Prediger, des Probstes Sohn, das nahe Kampffeld nach Ver¬ wundeten durchsuchte; hatte ihn darauf im eilig aus rohen Brettern gezimmerten Sarge zwischen die letz¬ ten Eichenblätter des Jahres gebettet, im Gotteshause priesterlich einsegnen lassen, und ganz allein im leich¬ ten Korbwägelchen, Tag und Nacht fast ohne Aufent¬ halt, ihn als letzten Trost den Menschen zugeführt, die er seine Wohlthäter nannte.
Und da lag er nun, der Mann mit dem braven Herzen, unverändert, wie ich ihn so oft im Leben hatte schlummern sehen; das gute, kräftige Gesicht durch keinen Zug der Qual entstellt. Noch hielt er den Säbel fest in der geballten Faust, und nur eine
Es war um die Mittagsſtunde, als ich einen Wagen in unſere Thorfahrt lenken hörte, — hörte, ohne es zu beachten. Ein Wink des alten Soldaten rief mich von dem Bette der Mutter; er zitterte und weinte wie ein Kind, und der, vor welchen er mich führte, zitterte und weinte wie er. „Fräulein Har¬ dine,“ ſtammelte Chriſtlieb Taube, „ich bringe Ihnen was von dem gütigſten Menſchen, der auf Erden ge¬ lebt hat, zu retten war.“
Seinen Leichnam. Er hatte ihn in dem bergen¬ den Gebüſche entdeckt, als er mit ſeinem Prediger, des Probſtes Sohn, das nahe Kampffeld nach Ver¬ wundeten durchſuchte; hatte ihn darauf im eilig aus rohen Brettern gezimmerten Sarge zwiſchen die letz¬ ten Eichenblätter des Jahres gebettet, im Gotteshauſe prieſterlich einſegnen laſſen, und ganz allein im leich¬ ten Korbwägelchen, Tag und Nacht faſt ohne Aufent¬ halt, ihn als letzten Troſt den Menſchen zugeführt, die er ſeine Wohlthäter nannte.
Und da lag er nun, der Mann mit dem braven Herzen, unverändert, wie ich ihn ſo oft im Leben hatte ſchlummern ſehen; das gute, kräftige Geſicht durch keinen Zug der Qual entſtellt. Noch hielt er den Säbel feſt in der geballten Fauſt, und nur eine
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Es war um die Mittagsſtunde, als ich einen
Wagen in unſere Thorfahrt lenken hörte, — hörte,
ohne es zu beachten. Ein Wink des alten Soldaten
rief mich von dem Bette der Mutter; er zitterte und
weinte wie ein Kind, und der, vor welchen er mich
führte, zitterte und weinte wie er. „Fräulein Har¬
dine,“ ſtammelte Chriſtlieb Taube, „ich bringe Ihnen
was von dem gütigſten Menſchen, der auf Erden ge¬
lebt hat, zu retten war.“
Seinen Leichnam. Er hatte ihn in dem bergen¬
den Gebüſche entdeckt, als er mit ſeinem Prediger,
des Probſtes Sohn, das nahe Kampffeld nach Ver¬
wundeten durchſuchte; hatte ihn darauf im eilig aus
rohen Brettern gezimmerten Sarge zwiſchen die letz¬
ten Eichenblätter des Jahres gebettet, im Gotteshauſe
prieſterlich einſegnen laſſen, und ganz allein im leich¬
ten Korbwägelchen, Tag und Nacht faſt ohne Aufent¬
halt, ihn als letzten Troſt den Menſchen zugeführt,
die er ſeine Wohlthäter nannte.
Und da lag er nun, der Mann mit dem braven
Herzen, unverändert, wie ich ihn ſo oft im Leben
hatte ſchlummern ſehen; das gute, kräftige Geſicht
durch keinen Zug der Qual entſtellt. Noch hielt er
den Säbel feſt in der geballten Fauſt, und nur eine
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/128>, abgerufen am 16.02.2025.
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