François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.ein Todter neben dem Sarge seines lieben Herrn. Und dann, ich war arm; wie auch die Zukunft Louise v. Francois, Die letzte Reckenburgerin. II. 9
ein Todter neben dem Sarge ſeines lieben Herrn. Und dann, ich war arm; wie auch die Zukunft Louise v. François, Die letzte Reckenburgerin. II. 9
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0133" n="129"/> ein Todter neben dem Sarge ſeines lieben Herrn.<lb/> Im Hauſe herrſchte Leichenſtille. Ich ſaß allein am<lb/> Bette der Mutter, ob Minuten oder Stunden lang,<lb/> ich weiß es nicht. Das Bewußtſein der Verwaiſung<lb/> war in dieſer ſtillen Einſamkeit zum erſtenmale deut¬<lb/> lich in mir aufgetaucht. Der Verwaiſung! Denn<lb/> das Herz, das unempfindlich neben mir pulſirte, war<lb/> ja nicht das einer Mutter mehr, und Keiner ermißt<lb/> die Oedigkeit dieſes Bewußtſeins, als der, welchem,<lb/> wie mir, mit dem zurückleitenden Faden das einzige<lb/> Band des Gemüths zerreißt. Ich war dreißig Jahre alt,<lb/> ohne Geſchwiſter, ohne Hoffnung auf ein kommendes<lb/> Geſchlecht, die Letzte meines Bluts und Namens, vor<lb/> mir, <hi rendition="#g">neben</hi> mir, <hi rendition="#g">hinter</hi> mir Alles leer, — — ja,<lb/> in Wahrheit, ich war eine Waiſe.</p><lb/> <p>Und dann, ich war arm; wie auch die Zukunft<lb/> ſich geſtalten mochte, im Augenblick bitterlich arm.<lb/> Für meine eigene Perſon würde ich darin kaum ein<lb/> Lebenshemmniß gefunden haben. Ich hatte meinen<lb/> Poſten auf Reckenburg, und mußte ich eines Tages<lb/> von ihm weichen, „ſo gehe ich als Coloniſtin in einen<lb/> Hinterwald Amerikas,“ hatte ich mehr als einmal<lb/> lachend dem Probſte geantwortet, wenn er in mich<lb/> drang, die Gräfin an die Pflichten gegen mich zu er¬<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Louise v. François, Die letzte Reckenburgerin. <hi rendition="#aq">II</hi>. 9<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [129/0133]
ein Todter neben dem Sarge ſeines lieben Herrn.
Im Hauſe herrſchte Leichenſtille. Ich ſaß allein am
Bette der Mutter, ob Minuten oder Stunden lang,
ich weiß es nicht. Das Bewußtſein der Verwaiſung
war in dieſer ſtillen Einſamkeit zum erſtenmale deut¬
lich in mir aufgetaucht. Der Verwaiſung! Denn
das Herz, das unempfindlich neben mir pulſirte, war
ja nicht das einer Mutter mehr, und Keiner ermißt
die Oedigkeit dieſes Bewußtſeins, als der, welchem,
wie mir, mit dem zurückleitenden Faden das einzige
Band des Gemüths zerreißt. Ich war dreißig Jahre alt,
ohne Geſchwiſter, ohne Hoffnung auf ein kommendes
Geſchlecht, die Letzte meines Bluts und Namens, vor
mir, neben mir, hinter mir Alles leer, — — ja,
in Wahrheit, ich war eine Waiſe.
Und dann, ich war arm; wie auch die Zukunft
ſich geſtalten mochte, im Augenblick bitterlich arm.
Für meine eigene Perſon würde ich darin kaum ein
Lebenshemmniß gefunden haben. Ich hatte meinen
Poſten auf Reckenburg, und mußte ich eines Tages
von ihm weichen, „ſo gehe ich als Coloniſtin in einen
Hinterwald Amerikas,“ hatte ich mehr als einmal
lachend dem Probſte geantwortet, wenn er in mich
drang, die Gräfin an die Pflichten gegen mich zu er¬
Louise v. François, Die letzte Reckenburgerin. II. 9
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