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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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an meiner Seite Platz und schilderte mir jenen erstar¬
renden Krampf, der seit dem Hochzeitstage von Zeit
zu Zeit das blühende Geschöpf überfallen habe. "Bis¬
weilen," sagte er, "konnte ich die Krise stundenlang
voraussehen. Sie war beklemmt, unruhig, trat wieder¬
holt mit über der Brust gekreuzten Händen auf mich
zu, eine Geberde, durch welche sie schon als Kind eine
Bitte so unwiderstehlich auszudrücken verstand; sie
sah mit einem herzzerreißenden Blicke zu mir in die
Höhe, vermochte nicht zu reden und kämpfte so fort,
bis sie erstarrt, mit stockendem Puls, aber völligem Be¬
wußtsein zu Boden sank. Da der Zustand jedoch nur
selten eintrat, rasch vorüberging und keine gesundheit¬
liche "Störung" hinterließ, nahm ich ihn als eine je¬
ner unverfänglichen nervösen Affektionen, denen Frauen
in kaum berechenbarer Weise unterworfen sind. Ich
suchte seinen Grund in der jahrelangen Spannung des
Brautstandes, in dem dann allzu plötzlichen Wechsel
aller Lebensverhältnisse, unter denen sie nur allmälig
in Ruhe und Stille heimisch werden könne. Ich
schonte sie, schonte sie vielleicht zu sehr. Ich verfiel
in den Irrthum vieler Aerzte, die das körperliche Le¬
ben ihrer Angehörigen nach den bedenklichen Erfah¬
rungen ihres Berufes und das seelische nach ihren

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an meiner Seite Platz und ſchilderte mir jenen erſtar¬
renden Krampf, der ſeit dem Hochzeitstage von Zeit
zu Zeit das blühende Geſchöpf überfallen habe. „Bis¬
weilen,“ ſagte er, „konnte ich die Kriſe ſtundenlang
vorausſehen. Sie war beklemmt, unruhig, trat wieder¬
holt mit über der Bruſt gekreuzten Händen auf mich
zu, eine Geberde, durch welche ſie ſchon als Kind eine
Bitte ſo unwiderſtehlich auszudrücken verſtand; ſie
ſah mit einem herzzerreißenden Blicke zu mir in die
Höhe, vermochte nicht zu reden und kämpfte ſo fort,
bis ſie erſtarrt, mit ſtockendem Puls, aber völligem Be¬
wußtſein zu Boden ſank. Da der Zuſtand jedoch nur
ſelten eintrat, raſch vorüberging und keine geſundheit¬
liche „Störung“ hinterließ, nahm ich ihn als eine je¬
ner unverfänglichen nervöſen Affektionen, denen Frauen
in kaum berechenbarer Weiſe unterworfen ſind. Ich
ſuchte ſeinen Grund in der jahrelangen Spannung des
Brautſtandes, in dem dann allzu plötzlichen Wechſel
aller Lebensverhältniſſe, unter denen ſie nur allmälig
in Ruhe und Stille heimiſch werden könne. Ich
ſchonte ſie, ſchonte ſie vielleicht zu ſehr. Ich verfiel
in den Irrthum vieler Aerzte, die das körperliche Le¬
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[195/0199] an meiner Seite Platz und ſchilderte mir jenen erſtar¬ renden Krampf, der ſeit dem Hochzeitstage von Zeit zu Zeit das blühende Geſchöpf überfallen habe. „Bis¬ weilen,“ ſagte er, „konnte ich die Kriſe ſtundenlang vorausſehen. Sie war beklemmt, unruhig, trat wieder¬ holt mit über der Bruſt gekreuzten Händen auf mich zu, eine Geberde, durch welche ſie ſchon als Kind eine Bitte ſo unwiderſtehlich auszudrücken verſtand; ſie ſah mit einem herzzerreißenden Blicke zu mir in die Höhe, vermochte nicht zu reden und kämpfte ſo fort, bis ſie erſtarrt, mit ſtockendem Puls, aber völligem Be¬ wußtſein zu Boden ſank. Da der Zuſtand jedoch nur ſelten eintrat, raſch vorüberging und keine geſundheit¬ liche „Störung“ hinterließ, nahm ich ihn als eine je¬ ner unverfänglichen nervöſen Affektionen, denen Frauen in kaum berechenbarer Weiſe unterworfen ſind. Ich ſuchte ſeinen Grund in der jahrelangen Spannung des Brautſtandes, in dem dann allzu plötzlichen Wechſel aller Lebensverhältniſſe, unter denen ſie nur allmälig in Ruhe und Stille heimiſch werden könne. Ich ſchonte ſie, ſchonte ſie vielleicht zu ſehr. Ich verfiel in den Irrthum vieler Aerzte, die das körperliche Le¬ ben ihrer Angehörigen nach den bedenklichen Erfah¬ rungen ihres Berufes und das ſeeliſche nach ihren 13*

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/199>, abgerufen am 24.11.2024.