ein Experiment, vor dem ich mich bei reiferer Erfah¬ rung gehütet haben würde. Ich fühlte mich als Mann und sah in ihr das Kind, den einen vielleicht zu früh, und das andere vielleicht zu lange. Im Grunde aber sah ich gemäß der Natur und gemäß der Vernunft. Denn wem, frage ich, möchte eine derartige Enthaltsamkeit in's Blaue hinein zugemu¬ thet werden, als dem Manne, der gewohnt ist, vor sich selber Schildwacht zu stehen, oder dem Kinde, das ohne zu träumen, im umfriedigten Nestchen schlum¬ mert, bis der vorbestimmte Erwecker es zur Freiheit ruft? Nun wohlan, mein Herr Major, der Mann wird Farbe halten. Das Weltwesen, das ich ahnte, als ich dieses Bündniß schloß, hat sich um zwei Jahre verzögert, und der Himmel weiß, wann und wo das Wirrsal enden wird. Ueberdauere ich es aber, und wäre ich verschlagen worden bis an's Ende der Welt, so werde ich meinem anverlobten Weibe den väterli¬ chen Trauring unentweiht vor Augen führen, und sehe ich den meiner Mutter an ihrer Hand, werd' ich den Knabenglauben segnen, der sich bewährte, wo so man¬ cher Mannesglauben zu Schanden ward." "
Diese experimentirende Resignation, welche meine arglose Mutter nicht vorsichtig zurückhielt, war Wasser
ein Experiment, vor dem ich mich bei reiferer Erfah¬ rung gehütet haben würde. Ich fühlte mich als Mann und ſah in ihr das Kind, den einen vielleicht zu früh, und das andere vielleicht zu lange. Im Grunde aber ſah ich gemäß der Natur und gemäß der Vernunft. Denn wem, frage ich, möchte eine derartige Enthaltſamkeit in's Blaue hinein zugemu¬ thet werden, als dem Manne, der gewohnt iſt, vor ſich ſelber Schildwacht zu ſtehen, oder dem Kinde, das ohne zu träumen, im umfriedigten Neſtchen ſchlum¬ mert, bis der vorbeſtimmte Erwecker es zur Freiheit ruft? Nun wohlan, mein Herr Major, der Mann wird Farbe halten. Das Weltweſen, das ich ahnte, als ich dieſes Bündniß ſchloß, hat ſich um zwei Jahre verzögert, und der Himmel weiß, wann und wo das Wirrſal enden wird. Ueberdauere ich es aber, und wäre ich verſchlagen worden bis an's Ende der Welt, ſo werde ich meinem anverlobten Weibe den väterli¬ chen Trauring unentweiht vor Augen führen, und ſehe ich den meiner Mutter an ihrer Hand, werd’ ich den Knabenglauben ſegnen, der ſich bewährte, wo ſo man¬ cher Mannesglauben zu Schanden ward.“ “
Dieſe experimentirende Reſignation, welche meine argloſe Mutter nicht vorſichtig zurückhielt, war Waſſer
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ein Experiment, vor dem ich mich bei reiferer Erfah¬
rung gehütet haben würde. Ich fühlte mich als
Mann und ſah in ihr das Kind, den einen vielleicht
zu früh, und das andere vielleicht zu lange. Im
Grunde aber ſah ich gemäß der Natur und gemäß
der Vernunft. Denn wem, frage ich, möchte eine
derartige Enthaltſamkeit in's Blaue hinein zugemu¬
thet werden, als dem Manne, der gewohnt iſt, vor
ſich ſelber Schildwacht zu ſtehen, oder dem Kinde,
das ohne zu träumen, im umfriedigten Neſtchen ſchlum¬
mert, bis der vorbeſtimmte Erwecker es zur Freiheit
ruft? Nun wohlan, mein Herr Major, der Mann
wird Farbe halten. Das Weltweſen, das ich ahnte,
als ich dieſes Bündniß ſchloß, hat ſich um zwei Jahre
verzögert, und der Himmel weiß, wann und wo das
Wirrſal enden wird. Ueberdauere ich es aber, und
wäre ich verſchlagen worden bis an's Ende der Welt,
ſo werde ich meinem anverlobten Weibe den väterli¬
chen Trauring unentweiht vor Augen führen, und ſehe
ich den meiner Mutter an ihrer Hand, werd’ ich den
Knabenglauben ſegnen, der ſich bewährte, wo ſo man¬
cher Mannesglauben zu Schanden ward.“ “
Dieſe experimentirende Reſignation, welche meine
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/52>, abgerufen am 16.02.2025.
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