Franzos, Karl Emil: Weibliche Studenten. In: Die Gegenwart 23 (1881), S. 358–361; 24 (1881) S. 380–382; 25 (1881), S. 393–395.Die Gegenwart. Nr. 23. [Beginn Spaltensatz][irrelevantes Material - 36 Zeilen fehlen] Weibliche Studenten. Die Zahl der dickleibigen Bücher, welche bereits für und So sei es mir denn gestattet, vom Jndividuum auszugehen, Es war im Spätherbst 1879, als mich ein literarisches Mein Freund, der Pfarrer, mußte zwar zugeben, daß dies Trotz dieser vielversprechenden Charge ließ ich in Dresden Die Gegenwart. Nr. 23. [Beginn Spaltensatz][irrelevantes Material – 36 Zeilen fehlen] Weibliche Studenten. Die Zahl der dickleibigen Bücher, welche bereits für und So sei es mir denn gestattet, vom Jndividuum auszugehen, Es war im Spätherbst 1879, als mich ein literarisches Mein Freund, der Pfarrer, mußte zwar zugeben, daß dies Trotz dieser vielversprechenden Charge ließ ich in Dresden <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0001" n="358"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Gegenwart</hi>. Nr. 23.</fw><lb/> <cb type="start"/> <gap reason="insignificant" unit="lines" quantity="36"/><lb/> <div xml:id="part01" type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Weibliche Studenten</hi>.</hi> </head><lb/> <byline>Von <docAuthor><persName ref="https://d-nb.info/gnd/118702599">Karl Emil Franzos</persName></docAuthor>.</byline><lb/> <p>Die Zahl der dickleibigen Bücher, welche bereits für und<lb/> gegen die Eignung der Frauen zu gelehrten Berufen geschrieben<lb/> worden, ist sicherlich weitaus größer, als jene der Damen, die<lb/> sich jemals ernstlich diesen Ständen zu widmen gedacht, und<lb/> was vollends die Zahl der einzelnen Artikel über diese Frage<lb/> betrifft, so dürften sich schwerlich von heute bis zum jüngsten<lb/> Tage in allen fünf Welttheilen zusammen gleich viele weibliche<lb/> Aerzte, Advocaten und Professoren finden. Wenn ich es dennoch<lb/> wage, nun auch mit meinem Scherflein zu kommen, so schöpfe<lb/> ich den Muth hierzu vor Allem aus dem Bewußtsein, der Frage<lb/> leidenschaftsloser und kühler gegenüberzustehen als Viele, deren<lb/> Ansichten man bisher hierüber vernommen. Jch vermag näm-<lb/> lich in dieser Berufswahl seitens der Frauen weder mit ihren<lb/> Gegnern eine sündige, naturwidrige und schädliche Thorheit, noch<lb/> mit ihren Verfechtern eine überaus nützliche und gerechte Maß-<lb/> regel, ja geradezu die Erlösung der Frauen aus unwürdigen<lb/> Banden zu erblicken. Nun ist freilich Kühlheit nicht in allen<cb/> Dingen gut, am wenigsten in der Behandlung von Principien-<lb/> fragen, und abgesehen von der geringeren Gefahr, es mit beiden<lb/> Parteien zu verderben, liegt auch die größere nahe, im Laviren<lb/> just den Kernpunkt der Frage zu umschiffen. Aber meines Er-<lb/> achtens ist die Frage durchaus keine principielle, sondern eine<lb/> Frage der Jndividualität, deren Beantwortung daher auch von<lb/> Fall zu Fall eine verschiedene sein muß, eben je nach dem Cha-<lb/> rakter, der geistigen und körperlichen Beschaffenheit des zukünf-<lb/> tigen Fräuleins Doctor. Jch glaube, daß es Fälle gibt, wo der<lb/> begeistertste Freund der „Frauen-Emancipation“, sofern er nur<lb/> zugleich bei gesunder Vernunft ist, sich aus Leibeskräften dagegen<lb/> stemmen muß, daß eine gewisse Persönlichkeit sich zur Aerztin<lb/> ausbilde, und wieder andere Fälle, wo der erbitterste Gegner<lb/> dieser Richtung, sofern obige Bedingung auch bei ihm zutrifft,<lb/> einem solchen Entschlusse nicht entgegen sein wird. Ja noch<lb/> mehr! Der Grund für alle Wirrniß, die in dieser Frage herrscht,<lb/> für die Erbitterung der beiden streitenden Parteien, für die maß-<lb/> losen Uebertreibungen, in welchen sie sich gefallen, scheint mir<lb/> einzig darin zu liegen, daß man die Frage fälschlich und künst-<lb/> lich zu einer principiellen aufgebläht hat.</p><lb/> <p>So sei es mir denn gestattet, vom Jndividuum auszugehen,<lb/> und die Erörterung über Berechtigung oder Nichtberechtigung<lb/> der Frauen zu akademischen Studien und Berufen mit der Er-<lb/> zählung eines persönlichen Erlebnisses einzuleiten, welches an sich<lb/> bedeutungslos ist, aber den Vorzug hat, mitten in die Frage<lb/> hineinzuführen.</p><lb/> <p>Es war im Spätherbst 1879, als mich ein literarisches<lb/> Fest zu einer Reise nach Dresden verlockte. Am Tage vor An-<lb/> tritt derselben erhielt ich den Besuch eines lieben Schulfreundes,<lb/> der jetzt als ruthenischer Pfarrer in Galizien lebt, und als er<lb/> erfuhr, daß ich nach Dresden reise, fragte er mit eigenthümlichem<lb/> Lächeln, ob ich nicht seinen dortigen Freunden empfohlen sein<lb/> wolle. Jch verstand dieses Lächeln, denn ich wußte, daß der<lb/> warmherzige, phantastische Mann trotz seines würdevollen Amtes<lb/> eine Art platonischer Liebe für den Nihilismus, der übrigens<lb/> damals für sein Auge noch nicht die letzten krassen Ziele enthüllt<lb/> haben mochte, empfinde und mit Anhängern dieser Partei Ver-<lb/> bindung unterhalte. Jch lehnte dankend ab, und zwar auf<lb/> Grund von Erfahrungen, welche ich in Wien gemacht. Seitdem<lb/> nämlich meine Culturbilder aus Rußland auch ins Russische<lb/> übersetzt worden, hatten mich wiederholt durchreisende Damen<lb/> und Herren dieser Partei, oder doch Jndividuen, welche den<lb/> Zusammenhang derselben sehr geflissentlich betonten, mit ihrem<lb/> Besuche beehrt, wohl deshalb, weil sie in meiner Absicht, die<lb/> Schäden des Absolutismus aufzudecken, fälschlich eine antimonar-<lb/> chische Tendenz erkennen wollten, und ich hatte hierbei die Be-<lb/> obachtung gemacht, daß diese Unterredungen, auch wenn sie noch<lb/> so theoretisch mit Disputationen über die beste Staatsform oder<lb/> die Berechtigung des Gemeinbesitzes begannen, zum Schlusse<lb/> doch immer recht praktisch und für meinen Geldbeutel abträg-<lb/> lich wurden.</p><lb/> <p>Mein Freund, der Pfarrer, mußte zwar zugeben, daß dies<lb/> monotone Ende sonst so abwechslungsreicher Unterredungen auf<lb/> die Dauer verstimmend wirken müsse, bestand jedoch nun um<lb/> so eifriger auf der Erfüllung seiner freundlichen Absicht. „Denn,“<lb/> meinte er, „es wäre höchst ungerecht, eine ganze Armee nur nach<lb/> den Gemeinen beurtheilen zu wollen, und Du wirst anders über<lb/> sie denken, wenn Du in Dresden ihre Offiziere, ihre Generale<lb/> kennen lernest!“ Da ich nun allerdings nicht leugnen konnte,<lb/> daß jene Mitglieder der Partei, welche ich bisher kennen ge-<lb/> lernt, ziemlich Gemeine gewesen, so willigte ich ein, er schrieb<lb/> sofort den Brief und übergab ihn mir mit den Worten: „Jch<lb/> empfehle Dich gleich an die interessanteste Persönlichkeit, den<lb/> „rothen Major“!“</p><lb/> <p>Trotz dieser vielversprechenden Charge ließ ich in Dresden<lb/> doch die Festtage vorbeigehen und fuhr erst am letzten Morgen<lb/> meines dortigen Aufenthaltes nach jener entlegenen Vorstadt,<lb/> wohin mich die Adresse des Briefs wies. Es war ein altes,<lb/> von Proletariern bewohntes Haus. Nach vielem Suchen fand<lb/> ich endlich die bezeichnete Wohnung; sie bestand aus einer ein-<cb/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [358/0001]
Die Gegenwart. Nr. 23.
____________________________________
Weibliche Studenten.
Von Karl Emil Franzos.
Die Zahl der dickleibigen Bücher, welche bereits für und
gegen die Eignung der Frauen zu gelehrten Berufen geschrieben
worden, ist sicherlich weitaus größer, als jene der Damen, die
sich jemals ernstlich diesen Ständen zu widmen gedacht, und
was vollends die Zahl der einzelnen Artikel über diese Frage
betrifft, so dürften sich schwerlich von heute bis zum jüngsten
Tage in allen fünf Welttheilen zusammen gleich viele weibliche
Aerzte, Advocaten und Professoren finden. Wenn ich es dennoch
wage, nun auch mit meinem Scherflein zu kommen, so schöpfe
ich den Muth hierzu vor Allem aus dem Bewußtsein, der Frage
leidenschaftsloser und kühler gegenüberzustehen als Viele, deren
Ansichten man bisher hierüber vernommen. Jch vermag näm-
lich in dieser Berufswahl seitens der Frauen weder mit ihren
Gegnern eine sündige, naturwidrige und schädliche Thorheit, noch
mit ihren Verfechtern eine überaus nützliche und gerechte Maß-
regel, ja geradezu die Erlösung der Frauen aus unwürdigen
Banden zu erblicken. Nun ist freilich Kühlheit nicht in allen
Dingen gut, am wenigsten in der Behandlung von Principien-
fragen, und abgesehen von der geringeren Gefahr, es mit beiden
Parteien zu verderben, liegt auch die größere nahe, im Laviren
just den Kernpunkt der Frage zu umschiffen. Aber meines Er-
achtens ist die Frage durchaus keine principielle, sondern eine
Frage der Jndividualität, deren Beantwortung daher auch von
Fall zu Fall eine verschiedene sein muß, eben je nach dem Cha-
rakter, der geistigen und körperlichen Beschaffenheit des zukünf-
tigen Fräuleins Doctor. Jch glaube, daß es Fälle gibt, wo der
begeistertste Freund der „Frauen-Emancipation“, sofern er nur
zugleich bei gesunder Vernunft ist, sich aus Leibeskräften dagegen
stemmen muß, daß eine gewisse Persönlichkeit sich zur Aerztin
ausbilde, und wieder andere Fälle, wo der erbitterste Gegner
dieser Richtung, sofern obige Bedingung auch bei ihm zutrifft,
einem solchen Entschlusse nicht entgegen sein wird. Ja noch
mehr! Der Grund für alle Wirrniß, die in dieser Frage herrscht,
für die Erbitterung der beiden streitenden Parteien, für die maß-
losen Uebertreibungen, in welchen sie sich gefallen, scheint mir
einzig darin zu liegen, daß man die Frage fälschlich und künst-
lich zu einer principiellen aufgebläht hat.
So sei es mir denn gestattet, vom Jndividuum auszugehen,
und die Erörterung über Berechtigung oder Nichtberechtigung
der Frauen zu akademischen Studien und Berufen mit der Er-
zählung eines persönlichen Erlebnisses einzuleiten, welches an sich
bedeutungslos ist, aber den Vorzug hat, mitten in die Frage
hineinzuführen.
Es war im Spätherbst 1879, als mich ein literarisches
Fest zu einer Reise nach Dresden verlockte. Am Tage vor An-
tritt derselben erhielt ich den Besuch eines lieben Schulfreundes,
der jetzt als ruthenischer Pfarrer in Galizien lebt, und als er
erfuhr, daß ich nach Dresden reise, fragte er mit eigenthümlichem
Lächeln, ob ich nicht seinen dortigen Freunden empfohlen sein
wolle. Jch verstand dieses Lächeln, denn ich wußte, daß der
warmherzige, phantastische Mann trotz seines würdevollen Amtes
eine Art platonischer Liebe für den Nihilismus, der übrigens
damals für sein Auge noch nicht die letzten krassen Ziele enthüllt
haben mochte, empfinde und mit Anhängern dieser Partei Ver-
bindung unterhalte. Jch lehnte dankend ab, und zwar auf
Grund von Erfahrungen, welche ich in Wien gemacht. Seitdem
nämlich meine Culturbilder aus Rußland auch ins Russische
übersetzt worden, hatten mich wiederholt durchreisende Damen
und Herren dieser Partei, oder doch Jndividuen, welche den
Zusammenhang derselben sehr geflissentlich betonten, mit ihrem
Besuche beehrt, wohl deshalb, weil sie in meiner Absicht, die
Schäden des Absolutismus aufzudecken, fälschlich eine antimonar-
chische Tendenz erkennen wollten, und ich hatte hierbei die Be-
obachtung gemacht, daß diese Unterredungen, auch wenn sie noch
so theoretisch mit Disputationen über die beste Staatsform oder
die Berechtigung des Gemeinbesitzes begannen, zum Schlusse
doch immer recht praktisch und für meinen Geldbeutel abträg-
lich wurden.
Mein Freund, der Pfarrer, mußte zwar zugeben, daß dies
monotone Ende sonst so abwechslungsreicher Unterredungen auf
die Dauer verstimmend wirken müsse, bestand jedoch nun um
so eifriger auf der Erfüllung seiner freundlichen Absicht. „Denn,“
meinte er, „es wäre höchst ungerecht, eine ganze Armee nur nach
den Gemeinen beurtheilen zu wollen, und Du wirst anders über
sie denken, wenn Du in Dresden ihre Offiziere, ihre Generale
kennen lernest!“ Da ich nun allerdings nicht leugnen konnte,
daß jene Mitglieder der Partei, welche ich bisher kennen ge-
lernt, ziemlich Gemeine gewesen, so willigte ich ein, er schrieb
sofort den Brief und übergab ihn mir mit den Worten: „Jch
empfehle Dich gleich an die interessanteste Persönlichkeit, den
„rothen Major“!“
Trotz dieser vielversprechenden Charge ließ ich in Dresden
doch die Festtage vorbeigehen und fuhr erst am letzten Morgen
meines dortigen Aufenthaltes nach jener entlegenen Vorstadt,
wohin mich die Adresse des Briefs wies. Es war ein altes,
von Proletariern bewohntes Haus. Nach vielem Suchen fand
ich endlich die bezeichnete Wohnung; sie bestand aus einer ein-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Frauenstudium, betreut von Andreas Neumann und Anna Pfundt, FSU Jena
und JLU Gießen: Bereitstellung der
Texttranskription.
(2022-09-22T15:58:55Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle
Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand
zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen
muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2022-09-22T15:58:55Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |