Jahren bei Champigny erschossen. Er hat eine La¬ dung Schrot ins Gesicht bekommen, aus irgend einem Mordwinkel, da er schon durch die Brust geschossen auf dem Krankenwagen lag. Ist so in Blindheit ge¬ storben. Ich war nicht da. Nun ist mir's oft" --
Sie hatte die Augen tief gesenkt, während sie sprach, -- so merkte sie nicht, daß er sich erhoben und zu ihrem Stuhl gefunden hatte. Sie fühlte sich plötzlich umschlungen und an ein hochschlagendes Herz gedrückt.
"Marianne," flüsterte er an ihrem Ohr, "liebst Du mich nur wie Deinen Bruder? Sag' --"
Ihre Antwort erstickte in seinen Küssen, die sie erwiderte, rückhaltlos, hingegeben, während ihr heiße Thränen entstürzten, die Beider Wangen netzten. Ein¬ mal versuchte sie, sich los zu reißen. "Aber bedenk," -- flüsterte sie. "Nichts, als daß Du mein, meine, meine Marianne!" Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich wieder zurückfallen, und die Stunden verran¬ nen ihnen im wortlosen Ineinanderströmen. -- Es war dunkel geworden, tiefe Nacht. -- Nun kam ein schmaler Mondstrahl irgendwo durch eine Spalte der Vorhänge herein und flog wie ein Silberblitz über Alfreds Antlitz. Wie schön er war in seiner Leiden¬ schaft! Marianne bebte zurück, erblaßte plötzlich, schlaff sanken ihre Arme von ihm ab. Es ergriff sie
Jahren bei Champigny erſchoſſen. Er hat eine La¬ dung Schrot ins Geſicht bekommen, aus irgend einem Mordwinkel, da er ſchon durch die Bruſt geſchoſſen auf dem Krankenwagen lag. Iſt ſo in Blindheit ge¬ ſtorben. Ich war nicht da. Nun iſt mir's oft“ —
Sie hatte die Augen tief geſenkt, während ſie ſprach, — ſo merkte ſie nicht, daß er ſich erhoben und zu ihrem Stuhl gefunden hatte. Sie fühlte ſich plötzlich umſchlungen und an ein hochſchlagendes Herz gedrückt.
„Marianne,“ flüſterte er an ihrem Ohr, „liebſt Du mich nur wie Deinen Bruder? Sag' —“
Ihre Antwort erſtickte in ſeinen Küſſen, die ſie erwiderte, rückhaltlos, hingegeben, während ihr heiße Thränen entſtürzten, die Beider Wangen netzten. Ein¬ mal verſuchte ſie, ſich los zu reißen. „Aber bedenk,“ — flüſterte ſie. „Nichts, als daß Du mein, meine, meine Marianne!“ Mit einem tiefen Seufzer ließ ſie ſich wieder zurückfallen, und die Stunden verran¬ nen ihnen im wortloſen Ineinanderſtrömen. — Es war dunkel geworden, tiefe Nacht. — Nun kam ein ſchmaler Mondſtrahl irgendwo durch eine Spalte der Vorhänge herein und flog wie ein Silberblitz über Alfreds Antlitz. Wie ſchön er war in ſeiner Leiden¬ ſchaft! Marianne bebte zurück, erblaßte plötzlich, ſchlaff ſanken ihre Arme von ihm ab. Es ergriff ſie
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Jahren bei Champigny erſchoſſen. Er hat eine La¬
dung Schrot ins Geſicht bekommen, aus irgend einem
Mordwinkel, da er ſchon durch die Bruſt geſchoſſen
auf dem Krankenwagen lag. Iſt ſo in Blindheit ge¬
ſtorben. Ich war nicht da. Nun iſt mir's oft“ —
Sie hatte die Augen tief geſenkt, während ſie
ſprach, — ſo merkte ſie nicht, daß er ſich erhoben
und zu ihrem Stuhl gefunden hatte. Sie fühlte ſich
plötzlich umſchlungen und an ein hochſchlagendes Herz
gedrückt.
„Marianne,“ flüſterte er an ihrem Ohr, „liebſt
Du mich nur wie Deinen Bruder? Sag' —“
Ihre Antwort erſtickte in ſeinen Küſſen, die ſie
erwiderte, rückhaltlos, hingegeben, während ihr heiße
Thränen entſtürzten, die Beider Wangen netzten. Ein¬
mal verſuchte ſie, ſich los zu reißen. „Aber bedenk,“
— flüſterte ſie. „Nichts, als daß Du mein, meine,
meine Marianne!“ Mit einem tiefen Seufzer ließ
ſie ſich wieder zurückfallen, und die Stunden verran¬
nen ihnen im wortloſen Ineinanderſtrömen. — Es
war dunkel geworden, tiefe Nacht. — Nun kam ein
ſchmaler Mondſtrahl irgendwo durch eine Spalte der
Vorhänge herein und flog wie ein Silberblitz über
Alfreds Antlitz. Wie ſchön er war in ſeiner Leiden¬
ſchaft! Marianne bebte zurück, erblaßte plötzlich,
ſchlaff ſanken ihre Arme von ihm ab. Es ergriff ſie
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/117>, abgerufen am 16.02.2025.
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