so, schüttelte sie, daß sie aufschrie vor Qual. "Wie lieb' ich Dich!" stammelte Alfred.
"Nein, nein," schrie sie verzweiflungsvoll, -- "Du lebst von der Schönheit, Du bist ein Künstler, -- Schönheit soll die Speise Deiner Augen sein!" Damit floh sie hinweg, weinend, die Hände ringend und fortwährend murmelnd: "Nie wieder, nie nie nie wieder!"
Alfred verstand sie nicht. "Ist denn schon Mor¬ gen? Kannst Du mich jetzt, jetzt allein lassen? O, Du bist nicht mitleidig, Du bist grausam und ich -- gefangen!"
Unterdessen lag sie vor ihrem Bette auf dem Boden und weinte, weinte. Neben ihr schnurrte das Kätzchen. Durch alle Stufen des Schmerzes begleitete sie der behagliche, gedämpfte Ton und lullte sie all¬ mälig in Ergebung. Ja, so geht es, dachte sie; über uns ist das Schicksal und schlägt uns mit Blind¬ heit und Leid, und rundum geht Alles weiter wie gewöhnlich, und das gute dumme Thierchen spinnt wie sonst. --
Es war doch keine Befangenheit in ihrem Wieder¬ begegnen am nächsten Tag, die Freude nahm sie gleich weg, wie die Sonne den Reif. Es blieb ihnen er¬ spart, sich anzusehen, so konnten sie brüderlich schwester¬ lich liebevoll sich gute Worte sagen und den Tag be¬ rathen. Der Arzt hatte jetzt nichts dagegen, daß sich
ſo, ſchüttelte ſie, daß ſie aufſchrie vor Qual. „Wie lieb' ich Dich!“ ſtammelte Alfred.
„Nein, nein,“ ſchrie ſie verzweiflungsvoll, — „Du lebſt von der Schönheit, Du biſt ein Künſtler, — Schönheit ſoll die Speiſe Deiner Augen ſein!“ Damit floh ſie hinweg, weinend, die Hände ringend und fortwährend murmelnd: „Nie wieder, nie nie nie wieder!“
Alfred verſtand ſie nicht. „Iſt denn ſchon Mor¬ gen? Kannſt Du mich jetzt, jetzt allein laſſen? O, Du biſt nicht mitleidig, Du biſt grauſam und ich — gefangen!“
Unterdeſſen lag ſie vor ihrem Bette auf dem Boden und weinte, weinte. Neben ihr ſchnurrte das Kätzchen. Durch alle Stufen des Schmerzes begleitete ſie der behagliche, gedämpfte Ton und lullte ſie all¬ mälig in Ergebung. Ja, ſo geht es, dachte ſie; über uns iſt das Schickſal und ſchlägt uns mit Blind¬ heit und Leid, und rundum geht Alles weiter wie gewöhnlich, und das gute dumme Thierchen ſpinnt wie ſonſt. —
Es war doch keine Befangenheit in ihrem Wieder¬ begegnen am nächſten Tag, die Freude nahm ſie gleich weg, wie die Sonne den Reif. Es blieb ihnen er¬ ſpart, ſich anzuſehen, ſo konnten ſie brüderlich ſchweſter¬ lich liebevoll ſich gute Worte ſagen und den Tag be¬ rathen. Der Arzt hatte jetzt nichts dagegen, daß ſich
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ſo, ſchüttelte ſie, daß ſie aufſchrie vor Qual. „Wie
lieb' ich Dich!“ ſtammelte Alfred.
„Nein, nein,“ ſchrie ſie verzweiflungsvoll, —
„Du lebſt von der Schönheit, Du biſt ein Künſtler,
— Schönheit ſoll die Speiſe Deiner Augen ſein!“
Damit floh ſie hinweg, weinend, die Hände ringend
und fortwährend murmelnd: „Nie wieder, nie nie nie
wieder!“
Alfred verſtand ſie nicht. „Iſt denn ſchon Mor¬
gen? Kannſt Du mich jetzt, jetzt allein laſſen? O,
Du biſt nicht mitleidig, Du biſt grauſam und ich —
gefangen!“
Unterdeſſen lag ſie vor ihrem Bette auf dem
Boden und weinte, weinte. Neben ihr ſchnurrte das
Kätzchen. Durch alle Stufen des Schmerzes begleitete
ſie der behagliche, gedämpfte Ton und lullte ſie all¬
mälig in Ergebung. Ja, ſo geht es, dachte ſie;
über uns iſt das Schickſal und ſchlägt uns mit Blind¬
heit und Leid, und rundum geht Alles weiter wie
gewöhnlich, und das gute dumme Thierchen ſpinnt
wie ſonſt. —
Es war doch keine Befangenheit in ihrem Wieder¬
begegnen am nächſten Tag, die Freude nahm ſie gleich
weg, wie die Sonne den Reif. Es blieb ihnen er¬
ſpart, ſich anzuſehen, ſo konnten ſie brüderlich ſchweſter¬
lich liebevoll ſich gute Worte ſagen und den Tag be¬
rathen. Der Arzt hatte jetzt nichts dagegen, daß ſich
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/118>, abgerufen am 16.02.2025.
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