Die Kleine ließ seine Hand nicht los, und er schaute wieder in das schöne volle Gesichtchen des in Gesundheit blühenden Kindes. Es war noch nicht ein bischen aufgewacht, die großen blauen Augen noch ebenso still und ziellos wie früher.
"Ich darf wieder arbeiten?" fragte Alfred den Begleiter, und in seine Züge schien alle Begeisterung, alle Freude des Lebens wieder einzukehren.
"Mit Maßen im Anfang; ist das Kind ein Mo¬ dell von Ihnen?"
"Mein Sternthalermädchen, für das ich damals den Marmor aussuchte; -- ich bin aber bescheidener geworden; wenn es mir zum hundertsten Theil ge¬ lingt, die Märchenstille hier" -- er legte dem Kinde die Hand aufs Haupt.
"Ist es hier?" fragte der Arzt, denn sie hatten die Treppe erstiegen.
"Dort, die Thür, die offene; ja warum denn offen? Ich bin nur einmal hier gewesen, ich irre mich doch wohl" -- Alfred war hastig bis zur Thür geschritten, hatte auch das Zimmer betreten und hinter sich offen gelassen. Neugierig folgte der Arzt. Er sah den Bildhauer in einer Ecke stehen, das Gesicht zur Wand gekehrt und in den Händen vergraben.
Das Zimmer war leer, völlig ausgeräumt, ebenso das nächste, dessen Thür gleichfalls offen stand.
Der Arzt spitzte die Lippen, als ob er pfeifen
Die Kleine ließ ſeine Hand nicht los, und er ſchaute wieder in das ſchöne volle Geſichtchen des in Geſundheit blühenden Kindes. Es war noch nicht ein bischen aufgewacht, die großen blauen Augen noch ebenſo ſtill und ziellos wie früher.
„Ich darf wieder arbeiten?“ fragte Alfred den Begleiter, und in ſeine Züge ſchien alle Begeiſterung, alle Freude des Lebens wieder einzukehren.
„Mit Maßen im Anfang; iſt das Kind ein Mo¬ dell von Ihnen?“
„Mein Sternthalermädchen, für das ich damals den Marmor ausſuchte; — ich bin aber beſcheidener geworden; wenn es mir zum hundertſten Theil ge¬ lingt, die Märchenſtille hier“ — er legte dem Kinde die Hand aufs Haupt.
„Iſt es hier?“ fragte der Arzt, denn ſie hatten die Treppe erſtiegen.
„Dort, die Thür, die offene; ja warum denn offen? Ich bin nur einmal hier geweſen, ich irre mich doch wohl“ — Alfred war haſtig bis zur Thür geſchritten, hatte auch das Zimmer betreten und hinter ſich offen gelaſſen. Neugierig folgte der Arzt. Er ſah den Bildhauer in einer Ecke ſtehen, das Geſicht zur Wand gekehrt und in den Händen vergraben.
Das Zimmer war leer, völlig ausgeräumt, ebenſo das nächſte, deſſen Thür gleichfalls offen ſtand.
Der Arzt ſpitzte die Lippen, als ob er pfeifen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0148"n="132"/><p>Die Kleine ließ ſeine Hand nicht los, und er<lb/>ſchaute wieder in das ſchöne volle Geſichtchen des in<lb/>
Geſundheit blühenden Kindes. Es war noch nicht<lb/>
ein bischen aufgewacht, die großen blauen Augen<lb/>
noch ebenſo ſtill und ziellos wie früher.</p><lb/><p>„Ich darf wieder arbeiten?“ fragte Alfred den<lb/>
Begleiter, und in ſeine Züge ſchien alle Begeiſterung,<lb/>
alle Freude des Lebens wieder einzukehren.</p><lb/><p>„Mit Maßen im Anfang; iſt das Kind ein Mo¬<lb/>
dell von Ihnen?“</p><lb/><p>„Mein Sternthalermädchen, für das ich damals<lb/>
den Marmor ausſuchte; — ich bin aber beſcheidener<lb/>
geworden; wenn es mir zum hundertſten Theil ge¬<lb/>
lingt, die Märchenſtille hier“— er legte dem Kinde<lb/>
die Hand aufs Haupt.</p><lb/><p>„Iſt es hier?“ fragte der Arzt, denn ſie hatten<lb/>
die Treppe erſtiegen.</p><lb/><p>„Dort, die Thür, die offene; ja warum denn<lb/>
offen? Ich bin nur einmal hier geweſen, ich irre<lb/>
mich doch wohl“— Alfred war haſtig bis zur Thür<lb/>
geſchritten, hatte auch das Zimmer betreten und hinter<lb/>ſich offen gelaſſen. Neugierig folgte der Arzt. Er<lb/>ſah den Bildhauer in einer Ecke ſtehen, das Geſicht<lb/>
zur Wand gekehrt und in den Händen vergraben.</p><lb/><p>Das Zimmer war leer, völlig ausgeräumt, ebenſo<lb/>
das nächſte, deſſen Thür gleichfalls offen ſtand.</p><lb/><p>Der Arzt ſpitzte die Lippen, als ob er pfeifen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[132/0148]
Die Kleine ließ ſeine Hand nicht los, und er
ſchaute wieder in das ſchöne volle Geſichtchen des in
Geſundheit blühenden Kindes. Es war noch nicht
ein bischen aufgewacht, die großen blauen Augen
noch ebenſo ſtill und ziellos wie früher.
„Ich darf wieder arbeiten?“ fragte Alfred den
Begleiter, und in ſeine Züge ſchien alle Begeiſterung,
alle Freude des Lebens wieder einzukehren.
„Mit Maßen im Anfang; iſt das Kind ein Mo¬
dell von Ihnen?“
„Mein Sternthalermädchen, für das ich damals
den Marmor ausſuchte; — ich bin aber beſcheidener
geworden; wenn es mir zum hundertſten Theil ge¬
lingt, die Märchenſtille hier“ — er legte dem Kinde
die Hand aufs Haupt.
„Iſt es hier?“ fragte der Arzt, denn ſie hatten
die Treppe erſtiegen.
„Dort, die Thür, die offene; ja warum denn
offen? Ich bin nur einmal hier geweſen, ich irre
mich doch wohl“ — Alfred war haſtig bis zur Thür
geſchritten, hatte auch das Zimmer betreten und hinter
ſich offen gelaſſen. Neugierig folgte der Arzt. Er
ſah den Bildhauer in einer Ecke ſtehen, das Geſicht
zur Wand gekehrt und in den Händen vergraben.
Das Zimmer war leer, völlig ausgeräumt, ebenſo
das nächſte, deſſen Thür gleichfalls offen ſtand.
Der Arzt ſpitzte die Lippen, als ob er pfeifen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/148>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.