Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.mitten der nun menschenleeren, unfertigen Straße; "Moni gelt. Du kommscht heraus, oder laßt mi Das Mädchen riß einen Schlüssel aus der Tasche Sie steckte ihn Michel durch die Stäbe zu: Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Er lehnte mitten der nun menſchenleeren, unfertigen Straße; „Moni gelt. Du kommſcht heraus, oder laßt mi Das Mädchen riß einen Schlüſſel aus der Taſche Sie ſteckte ihn Michel durch die Stäbe zu: Das ließ er ſich nicht zweimal ſagen. Er lehnte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0190" n="174"/> mitten der nun menſchenleeren, unfertigen Straße;<lb/> es war ſchwer, in dem Zwielicht auf dem holprigen<lb/> Boden nicht fehl zu treten. Als er vor dem Gitter<lb/> ſtand, brauchte er nicht zu rufen, ſie hatte ihn auch<lb/> kommen ſehen und drängte ihre ganze kräftige Geſtalt<lb/> gegen die Stäbe, ſo daß er ihren weißen Schurz hätte<lb/> erfaſſen können. „Michel, biſt da? Biſt geſund?“<lb/> rief ſie haſtig, „ach, hab' ich Angſt ausg'ſtanden!“<lb/> Und ſie ſtreckte die Hand durchs Gitter und drückte<lb/> ſeine freie Rechte, wie ſie's nie gethan.</p><lb/> <p>„Moni gelt. Du kommſcht heraus, oder laßt mi<lb/> ei'?“ bat Michel.</p><lb/> <p>Das Mädchen riß einen Schlüſſel aus der Taſche<lb/> der Schürze und flüſterte zärtlich: „Jetzt, wo Du mir<lb/> ſo brav beig'ſtanden biſt, kann ich Dir nie nix mehr<lb/> abſchlagen! Der gnä' Herr hat ſeine Hoſen zum<lb/> Ausklopfen hergethan, da iſt der Schlüſſel heraus¬<lb/> g'fallen, g'rad' ſeh ich ihn liegen.“</p><lb/> <p>Sie ſteckte ihn Michel durch die Stäbe zu:<lb/> „Schließ' auf und komm' herein, da iſt jetzt noch<lb/> beſſerer Schatten als am Nachmittag, gelt?“</p><lb/> <p>Das ließ er ſich nicht zweimal ſagen. Er lehnte<lb/> ſeine Waffe an einen dicken Baumſtamm, dann ließ<lb/> er ſich von Monika an der Hand zu einer Bank<lb/> führen, die verborgen von den hängenden Aeſten einer<lb/> Schierlingstanne im Gebüſch ſtand. Nur ein Mond¬<lb/> ſtrahl fiel dazwiſchen und ſtreifte Monikas ſchönes,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [174/0190]
mitten der nun menſchenleeren, unfertigen Straße;
es war ſchwer, in dem Zwielicht auf dem holprigen
Boden nicht fehl zu treten. Als er vor dem Gitter
ſtand, brauchte er nicht zu rufen, ſie hatte ihn auch
kommen ſehen und drängte ihre ganze kräftige Geſtalt
gegen die Stäbe, ſo daß er ihren weißen Schurz hätte
erfaſſen können. „Michel, biſt da? Biſt geſund?“
rief ſie haſtig, „ach, hab' ich Angſt ausg'ſtanden!“
Und ſie ſtreckte die Hand durchs Gitter und drückte
ſeine freie Rechte, wie ſie's nie gethan.
„Moni gelt. Du kommſcht heraus, oder laßt mi
ei'?“ bat Michel.
Das Mädchen riß einen Schlüſſel aus der Taſche
der Schürze und flüſterte zärtlich: „Jetzt, wo Du mir
ſo brav beig'ſtanden biſt, kann ich Dir nie nix mehr
abſchlagen! Der gnä' Herr hat ſeine Hoſen zum
Ausklopfen hergethan, da iſt der Schlüſſel heraus¬
g'fallen, g'rad' ſeh ich ihn liegen.“
Sie ſteckte ihn Michel durch die Stäbe zu:
„Schließ' auf und komm' herein, da iſt jetzt noch
beſſerer Schatten als am Nachmittag, gelt?“
Das ließ er ſich nicht zweimal ſagen. Er lehnte
ſeine Waffe an einen dicken Baumſtamm, dann ließ
er ſich von Monika an der Hand zu einer Bank
führen, die verborgen von den hängenden Aeſten einer
Schierlingstanne im Gebüſch ſtand. Nur ein Mond¬
ſtrahl fiel dazwiſchen und ſtreifte Monikas ſchönes,
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