Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.Nun fing auch das Mädchen herzbrechend zu "Du bischt bös'," stieß er halblaut hervor und Da ließ sie den Kopf sinken und sagte in dem Nun fing auch das Mädchen herzbrechend zu „Du biſcht böſ',“ ſtieß er halblaut hervor und Da ließ ſie den Kopf ſinken und ſagte in dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0194" n="178"/> <p>Nun fing auch das Mädchen herzbrechend zu<lb/> ſchluchzen an: „O, ich bin ja die allerärmſte Kreatur<lb/> auf der Welt!“ jammerte ſie, „wen hab' ich denn,<lb/> wenn i mich nit ſelbſt e biſſerl um mich annehm? I<lb/> wär' ja ſchon als Kind verhungert, bei den Zieheltern,<lb/> die mich um Gottes Barmherzigkeit willen behalten<lb/> haben. I weiß nit, wer mein Vater iſt, die Zieh¬<lb/> mutter ſagt, en Fremder ſei's g'weſen, en italieniſcher<lb/> Arbeiter, der hab' meine Mutter aufm Feld überfallen,<lb/> wie ſie ein Madel mit ſechzehn Jahr iſt geweſen.<lb/> Sie mag mich nit, ſie hat mich nie a'g'ſchaut; bei<lb/> der Ziehmutter iſt ſie niederkommen, dann iſt ſie weg<lb/> und hat mich dort vergeſſen, hat mich liegen laſſen,<lb/> wie en zerriſſenen Schuh. Die Ziehmutter hat ſelbſt<lb/> nix g'habt, um jeden Biſſen hab ich raufen müſſen,<lb/> weil ich denken kann. Sie hat 'en Buben g'habt,<lb/> — nicht das Kleinſte hat er mir gönnt! Er iſt mit<lb/> zehn Jahr g'ſtorben, wie hab' ich mich da gefreut!<lb/> Er iſt drei Jahr älter als ich g'weſen, hat mich<lb/> g'ſchlagen und malträtirt den ganzen Tag! Aber wie<lb/> er todt dag'legen iſt, da hab' ich ihn g'hauen, noch<lb/> im Sarg drin! und er hat ſich nit wehren können!“<lb/> Die Leidenſchaft blitzte ihr aus den Augen, Michel<lb/> überlief ein Grauen.</p><lb/> <p>„Du biſcht böſ',“ ſtieß er halblaut hervor und<lb/> ſah ſie ſcheu an.</p><lb/> <p>Da ließ ſie den Kopf ſinken und ſagte in dem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [178/0194]
Nun fing auch das Mädchen herzbrechend zu
ſchluchzen an: „O, ich bin ja die allerärmſte Kreatur
auf der Welt!“ jammerte ſie, „wen hab' ich denn,
wenn i mich nit ſelbſt e biſſerl um mich annehm? I
wär' ja ſchon als Kind verhungert, bei den Zieheltern,
die mich um Gottes Barmherzigkeit willen behalten
haben. I weiß nit, wer mein Vater iſt, die Zieh¬
mutter ſagt, en Fremder ſei's g'weſen, en italieniſcher
Arbeiter, der hab' meine Mutter aufm Feld überfallen,
wie ſie ein Madel mit ſechzehn Jahr iſt geweſen.
Sie mag mich nit, ſie hat mich nie a'g'ſchaut; bei
der Ziehmutter iſt ſie niederkommen, dann iſt ſie weg
und hat mich dort vergeſſen, hat mich liegen laſſen,
wie en zerriſſenen Schuh. Die Ziehmutter hat ſelbſt
nix g'habt, um jeden Biſſen hab ich raufen müſſen,
weil ich denken kann. Sie hat 'en Buben g'habt,
— nicht das Kleinſte hat er mir gönnt! Er iſt mit
zehn Jahr g'ſtorben, wie hab' ich mich da gefreut!
Er iſt drei Jahr älter als ich g'weſen, hat mich
g'ſchlagen und malträtirt den ganzen Tag! Aber wie
er todt dag'legen iſt, da hab' ich ihn g'hauen, noch
im Sarg drin! und er hat ſich nit wehren können!“
Die Leidenſchaft blitzte ihr aus den Augen, Michel
überlief ein Grauen.
„Du biſcht böſ',“ ſtieß er halblaut hervor und
ſah ſie ſcheu an.
Da ließ ſie den Kopf ſinken und ſagte in dem
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