sich Tristan und Isolde liebten! Es muß sehr schön gewesen sein, nur das mag ich nicht, daß sie den alten König Marke betrogen! Warum hätten sie ihm nicht offen die Wahrheit sagen können? er hätte ihnen gewiß verziehen, denn es war ja ein Liebes¬ trank, und sie konnten nichts dafür. Denke Dir, Irene, wenn Du nun in solch eine schreckliche Lage kämest, würdest Du nicht sofort Deinem Albert Alles erzählen? Wenn ich einmal mit solch einem bösen Gewissen herumlaufen müßte, wie die Isolde, ich hätte an nichts mehr Freude. Aber das wird wohl auch nur im Alterthum und allenfalls noch im Mittelalter vorgekommen sein. Und denkt Euch, als wir nach¬ her um das Schloß herumgingen, wer da unten saß an einem sehr malerischen Thorbogen, überhangen von einem blühenden Apfelbaum? Der junge Herr, unser Retter, und er hatte ein Skizzenbuch auf den Knieen und zeichnete so eifrig, daß er gar nicht auf¬ blickte. Sein Gesicht ist sehr hübsch, braun und et¬ was mager, mit einem lockigen Vollbart, und neulich habe ich auch schon bemerkt, daß er reizende Augen hat, ähnlich wie Putzi's, groß und dunkelbraun. Aber sehr ernsthaft sieht er aus, ja traurig, mit einer tiefen Falte zwischen den Augenbrauen. Ob der greuliche Landrath mit ihm verwandt ist und ihm die Reise verdirbt? Mama glaubt, daß er Maler ist, und ich denke mir, daß er sehr schöne, aber traurige
ſich Triſtan und Iſolde liebten! Es muß ſehr ſchön geweſen ſein, nur das mag ich nicht, daß ſie den alten König Marke betrogen! Warum hätten ſie ihm nicht offen die Wahrheit ſagen können? er hätte ihnen gewiß verziehen, denn es war ja ein Liebes¬ trank, und ſie konnten nichts dafür. Denke Dir, Irene, wenn Du nun in ſolch eine ſchreckliche Lage kämeſt, würdeſt Du nicht ſofort Deinem Albert Alles erzählen? Wenn ich einmal mit ſolch einem böſen Gewiſſen herumlaufen müßte, wie die Iſolde, ich hätte an nichts mehr Freude. Aber das wird wohl auch nur im Alterthum und allenfalls noch im Mittelalter vorgekommen ſein. Und denkt Euch, als wir nach¬ her um das Schloß herumgingen, wer da unten ſaß an einem ſehr maleriſchen Thorbogen, überhangen von einem blühenden Apfelbaum? Der junge Herr, unſer Retter, und er hatte ein Skizzenbuch auf den Knieen und zeichnete ſo eifrig, daß er gar nicht auf¬ blickte. Sein Geſicht iſt ſehr hübſch, braun und et¬ was mager, mit einem lockigen Vollbart, und neulich habe ich auch ſchon bemerkt, daß er reizende Augen hat, ähnlich wie Putzi's, groß und dunkelbraun. Aber ſehr ernſthaft ſieht er aus, ja traurig, mit einer tiefen Falte zwiſchen den Augenbrauen. Ob der greuliche Landrath mit ihm verwandt iſt und ihm die Reiſe verdirbt? Mama glaubt, daß er Maler iſt, und ich denke mir, daß er ſehr ſchöne, aber traurige
<TEI><text><body><divn="1"><divtype="letter"n="2"><p><pbfacs="#f0219"n="203"/>ſich Triſtan und Iſolde liebten! Es muß ſehr ſchön<lb/>
geweſen ſein, nur das mag ich nicht, daß ſie den<lb/>
alten König Marke betrogen! Warum hätten ſie ihm<lb/>
nicht offen die Wahrheit ſagen können? er hätte<lb/>
ihnen gewiß verziehen, denn es war ja ein Liebes¬<lb/>
trank, und ſie konnten nichts dafür. Denke Dir,<lb/>
Irene, wenn Du nun in ſolch eine ſchreckliche Lage<lb/>
kämeſt, würdeſt Du nicht ſofort Deinem Albert Alles<lb/>
erzählen? Wenn ich einmal mit ſolch einem böſen<lb/>
Gewiſſen herumlaufen müßte, wie die Iſolde, ich hätte<lb/>
an nichts mehr Freude. Aber das wird wohl auch<lb/>
nur im Alterthum und allenfalls noch im Mittelalter<lb/>
vorgekommen ſein. Und denkt Euch, als wir nach¬<lb/>
her um das Schloß herumgingen, wer da unten ſaß<lb/>
an einem ſehr maleriſchen Thorbogen, überhangen<lb/>
von einem blühenden Apfelbaum? Der junge Herr,<lb/>
unſer Retter, und er hatte ein Skizzenbuch auf den<lb/>
Knieen und zeichnete ſo eifrig, daß er gar nicht auf¬<lb/>
blickte. Sein Geſicht iſt ſehr hübſch, braun und et¬<lb/>
was mager, mit einem lockigen Vollbart, und neulich<lb/>
habe ich auch ſchon bemerkt, daß er reizende Augen<lb/>
hat, ähnlich wie Putzi's, groß und dunkelbraun.<lb/>
Aber ſehr ernſthaft ſieht er aus, ja traurig, mit einer<lb/>
tiefen Falte zwiſchen den Augenbrauen. Ob der<lb/>
greuliche Landrath mit ihm verwandt iſt und ihm die<lb/>
Reiſe verdirbt? Mama glaubt, daß er Maler iſt,<lb/>
und ich denke mir, daß er ſehr ſchöne, aber traurige<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[203/0219]
ſich Triſtan und Iſolde liebten! Es muß ſehr ſchön
geweſen ſein, nur das mag ich nicht, daß ſie den
alten König Marke betrogen! Warum hätten ſie ihm
nicht offen die Wahrheit ſagen können? er hätte
ihnen gewiß verziehen, denn es war ja ein Liebes¬
trank, und ſie konnten nichts dafür. Denke Dir,
Irene, wenn Du nun in ſolch eine ſchreckliche Lage
kämeſt, würdeſt Du nicht ſofort Deinem Albert Alles
erzählen? Wenn ich einmal mit ſolch einem böſen
Gewiſſen herumlaufen müßte, wie die Iſolde, ich hätte
an nichts mehr Freude. Aber das wird wohl auch
nur im Alterthum und allenfalls noch im Mittelalter
vorgekommen ſein. Und denkt Euch, als wir nach¬
her um das Schloß herumgingen, wer da unten ſaß
an einem ſehr maleriſchen Thorbogen, überhangen
von einem blühenden Apfelbaum? Der junge Herr,
unſer Retter, und er hatte ein Skizzenbuch auf den
Knieen und zeichnete ſo eifrig, daß er gar nicht auf¬
blickte. Sein Geſicht iſt ſehr hübſch, braun und et¬
was mager, mit einem lockigen Vollbart, und neulich
habe ich auch ſchon bemerkt, daß er reizende Augen
hat, ähnlich wie Putzi's, groß und dunkelbraun.
Aber ſehr ernſthaft ſieht er aus, ja traurig, mit einer
tiefen Falte zwiſchen den Augenbrauen. Ob der
greuliche Landrath mit ihm verwandt iſt und ihm die
Reiſe verdirbt? Mama glaubt, daß er Maler iſt,
und ich denke mir, daß er ſehr ſchöne, aber traurige
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/219>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.