schrocken: "Was? Wer? Die Nachtigallen singen hier Nachts? Das können sie ja den ganzen Tag thun! Das fehlte mir noch! Ich kann so wie so nicht schlafen, und die wollen noch dazu singen? Ich dreh' ihnen den Hals um!" Mein Herz klopfte vor Entrüstung, aber ich gab mir Mühe, ganz ruhig zu antworten: "Sie werden sich wohl nicht fangen lassen!" Zum Glück hörte er es gar nicht, sondern fuhr fort: "Man hat ja schon genug Störungen aus¬ zuhalten, der Nachtruhe, mein' ich, in den Hotels; fehlt nur noch, daß Sie das Piano bearbeiten, mein kleines Fräulein, wie die Person in Bozen, die mich aus dem "Schwarzen Adler" vertrieben hat." Ich beruhigte ihn über mein Clavierspiel, das ich ja selbst nicht hören mag, aber er war nicht zu be¬ sänftigen. "Ach, es war doch so schön in Bozen," sagte ich. -- "Schön? Wo denn?" rief er wüthend, "in den alten, schmalen Gängen zwischen den Mauern?" -- "Auf der Talferbrücke --" warf ich ein. Er legte wieder Messer und Gabel hin. "Ja, Sie sind doch nicht über das wackelige Ding gegangen? Fällt ja ein, wenn man darauf tritt! Was? auf dem schmalen Steig an der Talfer, wo man immer so einen Fuß vor den andern setzen muß? Hab' mich wohl gehütet, da zu gehen! Bis jetzt hab' ich noch meine gesunden Knochen, das Spierken Rheumatismus zählt doch nicht!" Ich fragte ihn, ob er die reizen¬
ſchrocken: „Was? Wer? Die Nachtigallen ſingen hier Nachts? Das können ſie ja den ganzen Tag thun! Das fehlte mir noch! Ich kann ſo wie ſo nicht ſchlafen, und die wollen noch dazu ſingen? Ich dreh' ihnen den Hals um!“ Mein Herz klopfte vor Entrüſtung, aber ich gab mir Mühe, ganz ruhig zu antworten: „Sie werden ſich wohl nicht fangen laſſen!“ Zum Glück hörte er es gar nicht, ſondern fuhr fort: „Man hat ja ſchon genug Störungen aus¬ zuhalten, der Nachtruhe, mein' ich, in den Hôtels; fehlt nur noch, daß Sie das Piano bearbeiten, mein kleines Fräulein, wie die Perſon in Bozen, die mich aus dem „Schwarzen Adler“ vertrieben hat.“ Ich beruhigte ihn über mein Clavierſpiel, das ich ja ſelbſt nicht hören mag, aber er war nicht zu be¬ ſänftigen. „Ach, es war doch ſo ſchön in Bozen,“ ſagte ich. — „Schön? Wo denn?“ rief er wüthend, „in den alten, ſchmalen Gängen zwiſchen den Mauern?“ — „Auf der Talferbrücke —“ warf ich ein. Er legte wieder Meſſer und Gabel hin. „Ja, Sie ſind doch nicht über das wackelige Ding gegangen? Fällt ja ein, wenn man darauf tritt! Was? auf dem ſchmalen Steig an der Talfer, wo man immer ſo einen Fuß vor den andern ſetzen muß? Hab' mich wohl gehütet, da zu gehen! Bis jetzt hab' ich noch meine geſunden Knochen, das Spierken Rheumatismus zählt doch nicht!“ Ich fragte ihn, ob er die reizen¬
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ſchrocken: „Was? Wer? Die Nachtigallen ſingen
hier Nachts? Das können ſie ja den ganzen Tag
thun! Das fehlte mir noch! Ich kann ſo wie ſo
nicht ſchlafen, und die wollen noch dazu ſingen? Ich
dreh' ihnen den Hals um!“ Mein Herz klopfte vor
Entrüſtung, aber ich gab mir Mühe, ganz ruhig zu
antworten: „Sie werden ſich wohl nicht fangen
laſſen!“ Zum Glück hörte er es gar nicht, ſondern
fuhr fort: „Man hat ja ſchon genug Störungen aus¬
zuhalten, der Nachtruhe, mein' ich, in den Hôtels;
fehlt nur noch, daß Sie das Piano bearbeiten, mein
kleines Fräulein, wie die Perſon in Bozen, die mich
aus dem „Schwarzen Adler“ vertrieben hat.“ Ich
beruhigte ihn über mein Clavierſpiel, das ich ja
ſelbſt nicht hören mag, aber er war nicht zu be¬
ſänftigen. „Ach, es war doch ſo ſchön in Bozen,“
ſagte ich. — „Schön? Wo denn?“ rief er wüthend,
„in den alten, ſchmalen Gängen zwiſchen den Mauern?“
— „Auf der Talferbrücke —“ warf ich ein. Er
legte wieder Meſſer und Gabel hin. „Ja, Sie ſind
doch nicht über das wackelige Ding gegangen? Fällt
ja ein, wenn man darauf tritt! Was? auf dem
ſchmalen Steig an der Talfer, wo man immer ſo
einen Fuß vor den andern ſetzen muß? Hab' mich
wohl gehütet, da zu gehen! Bis jetzt hab' ich noch
meine geſunden Knochen, das Spierken Rheumatismus
zählt doch nicht!“ Ich fragte ihn, ob er die reizen¬
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/228>, abgerufen am 21.11.2024.
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