wehte plötzlich vom Balkon ein Briefblatt herunter. Ich hob es auf, darauf stand: "Liebe Toni!" Ich dachte, eine Dame habe es vielleicht herunterflattern lassen, als ich es aber auf den Balkon zurücktrug, saß oben der Maler und schrieb. Ich fragte ihn, ob Toni seine Schwester sei, er sagte: "So gut, wie Schwester." "So ist sie wohl Ihre Braut?" fragte ich. Da lachte er und sagte: "Soll ich Ihnen Toni's Bild zeigen?" Ich nickte, denn ich dachte sie mir sehr hübsch, nach ihm zu urtheilen; da zeigte er mir die Photographie eines jungen Mannes in Tiroler Tracht! "Wer ist das?" fragte ich. "Toni, mein Freund Toni," lachte er. Ich stand recht dumm da. "Bei uns ist Toni ein Mädchenname," sagte ich, und dann sprachen wir von Euch, und ich erzählte ihm, daß ich Euch Alles, Alles schreibe, was mir be¬ gegnet. "Haben Sie auch von mir geschrieben?" fragte er. Ich hatte große Lust, nein zu sagen, aber ich konnte doch nicht lügen! Ich sagte also ja, aber nun wollte er auch noch wissen, ob es Gutes oder Schlimmes gewesen sei. Ich sagte ihm, nun natür¬ lich Gutes, daß er immer so nett gegen Putzi gewesen sei und so weiter. Nun kamen wir in ein ganzes Hundegespräch, er hatte nämlich auch einen Hund ge¬ habt, einen Teckel, ein sehr merkwürdiges Thier, sehr liebenswürdig, aber treulos, ein richtiger Don Juan, der allen Hunden die Köpfe verdrehte und sich dann
wehte plötzlich vom Balkon ein Briefblatt herunter. Ich hob es auf, darauf ſtand: „Liebe Toni!“ Ich dachte, eine Dame habe es vielleicht herunterflattern laſſen, als ich es aber auf den Balkon zurücktrug, ſaß oben der Maler und ſchrieb. Ich fragte ihn, ob Toni ſeine Schweſter ſei, er ſagte: „So gut, wie Schweſter.“ „So iſt ſie wohl Ihre Braut?“ fragte ich. Da lachte er und ſagte: „Soll ich Ihnen Toni's Bild zeigen?“ Ich nickte, denn ich dachte ſie mir ſehr hübſch, nach ihm zu urtheilen; da zeigte er mir die Photographie eines jungen Mannes in Tiroler Tracht! „Wer iſt das?“ fragte ich. „Toni, mein Freund Toni,“ lachte er. Ich ſtand recht dumm da. „Bei uns iſt Toni ein Mädchenname,“ ſagte ich, und dann ſprachen wir von Euch, und ich erzählte ihm, daß ich Euch Alles, Alles ſchreibe, was mir be¬ gegnet. „Haben Sie auch von mir geſchrieben?“ fragte er. Ich hatte große Luſt, nein zu ſagen, aber ich konnte doch nicht lügen! Ich ſagte alſo ja, aber nun wollte er auch noch wiſſen, ob es Gutes oder Schlimmes geweſen ſei. Ich ſagte ihm, nun natür¬ lich Gutes, daß er immer ſo nett gegen Putzi geweſen ſei und ſo weiter. Nun kamen wir in ein ganzes Hundegeſpräch, er hatte nämlich auch einen Hund ge¬ habt, einen Teckel, ein ſehr merkwürdiges Thier, ſehr liebenswürdig, aber treulos, ein richtiger Don Juan, der allen Hunden die Köpfe verdrehte und ſich dann
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wehte plötzlich vom Balkon ein Briefblatt herunter.
Ich hob es auf, darauf ſtand: „Liebe Toni!“ Ich
dachte, eine Dame habe es vielleicht herunterflattern
laſſen, als ich es aber auf den Balkon zurücktrug,
ſaß oben der Maler und ſchrieb. Ich fragte ihn, ob
Toni ſeine Schweſter ſei, er ſagte: „So gut, wie
Schweſter.“ „So iſt ſie wohl Ihre Braut?“ fragte
ich. Da lachte er und ſagte: „Soll ich Ihnen Toni's
Bild zeigen?“ Ich nickte, denn ich dachte ſie mir
ſehr hübſch, nach ihm zu urtheilen; da zeigte er mir
die Photographie eines jungen Mannes in Tiroler
Tracht! „Wer iſt das?“ fragte ich. „Toni, mein
Freund Toni,“ lachte er. Ich ſtand recht dumm
da. „Bei uns iſt Toni ein Mädchenname,“ ſagte ich,
und dann ſprachen wir von Euch, und ich erzählte
ihm, daß ich Euch Alles, Alles ſchreibe, was mir be¬
gegnet. „Haben Sie auch von mir geſchrieben?“
fragte er. Ich hatte große Luſt, nein zu ſagen, aber
ich konnte doch nicht lügen! Ich ſagte alſo ja, aber
nun wollte er auch noch wiſſen, ob es Gutes oder
Schlimmes geweſen ſei. Ich ſagte ihm, nun natür¬
lich Gutes, daß er immer ſo nett gegen Putzi geweſen
ſei und ſo weiter. Nun kamen wir in ein ganzes
Hundegeſpräch, er hatte nämlich auch einen Hund ge¬
habt, einen Teckel, ein ſehr merkwürdiges Thier, ſehr
liebenswürdig, aber treulos, ein richtiger Don Juan,
der allen Hunden die Köpfe verdrehte und ſich dann
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/240>, abgerufen am 21.11.2024.
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