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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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heftigen Pulsschlag, wie er es einen Augenblick fest¬
hielt. Dann eilte sie, ohne ihn anzusehen, an dem
Dienstmädchen vorüber und durch den dunklen Gar¬
ten; ihr leichter Fuß klang hörbar auf den Marmor¬
stufen, dann war sie im Hause verschwunden. Mit
langsamen Schritten entfernte sich Alfred. Er hatte
wohl etwas erreicht, aber er war doch nicht zufrieden
mit sich, nein, er war nicht zufrieden!

Kaum zu Hause angelangt, schrieb er einen Brief
an Wolff, bat ihn, den Auftrag von ihm zu neh¬
men; er sei ungern bei den Spitzers und nicht die
geeignete Person, Fräulein Loni zu beeinflussen.
Danach schlief er ruhig und zerriß folgenden Mor¬
gens den Brief, aus Rücksicht für den Freund. Der
hatte Sorge und Schmerz genug, der sollte nicht um
eines übertriebenen Skrupels willen beunruhigt wer¬
den. Als er erst bei der Arbeit war, fand er seinen
Halt wieder und vergaß zuletzt Alles in der Welt,
außer dem Gesicht da vor sich und dem Thonklumpen
in seinen Händen. In der Frühstückspause kam das
alte Modell geschlichen und besah sich, was da wurde.
Sein verständnißvolles Schmunzeln und Nicken dünkten
den jungen Künstler werthvoller als alle gelehrte
Kritik. Der "Schufterl", wie er in den Ateliers ge¬
nannt ward, hatte sein Gesicht so oft auf der Lein¬
wand und in allerlei anderem Material gesehen, daß
er schon ein Urtheil besaß. --

heftigen Pulsſchlag, wie er es einen Augenblick feſt¬
hielt. Dann eilte ſie, ohne ihn anzuſehen, an dem
Dienſtmädchen vorüber und durch den dunklen Gar¬
ten; ihr leichter Fuß klang hörbar auf den Marmor¬
ſtufen, dann war ſie im Hauſe verſchwunden. Mit
langſamen Schritten entfernte ſich Alfred. Er hatte
wohl etwas erreicht, aber er war doch nicht zufrieden
mit ſich, nein, er war nicht zufrieden!

Kaum zu Hauſe angelangt, ſchrieb er einen Brief
an Wolff, bat ihn, den Auftrag von ihm zu neh¬
men; er ſei ungern bei den Spitzers und nicht die
geeignete Perſon, Fräulein Loni zu beeinfluſſen.
Danach ſchlief er ruhig und zerriß folgenden Mor¬
gens den Brief, aus Rückſicht für den Freund. Der
hatte Sorge und Schmerz genug, der ſollte nicht um
eines übertriebenen Skrupels willen beunruhigt wer¬
den. Als er erſt bei der Arbeit war, fand er ſeinen
Halt wieder und vergaß zuletzt Alles in der Welt,
außer dem Geſicht da vor ſich und dem Thonklumpen
in ſeinen Händen. In der Frühſtückspauſe kam das
alte Modell geſchlichen und beſah ſich, was da wurde.
Sein verſtändnißvolles Schmunzeln und Nicken dünkten
den jungen Künſtler werthvoller als alle gelehrte
Kritik. Der „Schufterl“, wie er in den Ateliers ge¬
nannt ward, hatte ſein Geſicht ſo oft auf der Lein¬
wand und in allerlei anderem Material geſehen, daß
er ſchon ein Urtheil beſaß. —

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[58/0074] heftigen Pulsſchlag, wie er es einen Augenblick feſt¬ hielt. Dann eilte ſie, ohne ihn anzuſehen, an dem Dienſtmädchen vorüber und durch den dunklen Gar¬ ten; ihr leichter Fuß klang hörbar auf den Marmor¬ ſtufen, dann war ſie im Hauſe verſchwunden. Mit langſamen Schritten entfernte ſich Alfred. Er hatte wohl etwas erreicht, aber er war doch nicht zufrieden mit ſich, nein, er war nicht zufrieden! Kaum zu Hauſe angelangt, ſchrieb er einen Brief an Wolff, bat ihn, den Auftrag von ihm zu neh¬ men; er ſei ungern bei den Spitzers und nicht die geeignete Perſon, Fräulein Loni zu beeinfluſſen. Danach ſchlief er ruhig und zerriß folgenden Mor¬ gens den Brief, aus Rückſicht für den Freund. Der hatte Sorge und Schmerz genug, der ſollte nicht um eines übertriebenen Skrupels willen beunruhigt wer¬ den. Als er erſt bei der Arbeit war, fand er ſeinen Halt wieder und vergaß zuletzt Alles in der Welt, außer dem Geſicht da vor ſich und dem Thonklumpen in ſeinen Händen. In der Frühſtückspauſe kam das alte Modell geſchlichen und beſah ſich, was da wurde. Sein verſtändnißvolles Schmunzeln und Nicken dünkten den jungen Künſtler werthvoller als alle gelehrte Kritik. Der „Schufterl“, wie er in den Ateliers ge¬ nannt ward, hatte ſein Geſicht ſo oft auf der Lein¬ wand und in allerlei anderem Material geſehen, daß er ſchon ein Urtheil beſaß. —

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/74>, abgerufen am 24.11.2024.