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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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"O bleibe! bleibe!" schrie er auf, "ich bin so
allein, und es ist so dunkel."

"Das hab' ich gedacht," murmelte sie.

Er fühlte, daß sie sich neben seinem Lager auf
einen Stuhl setzte, obwohl es sehr leise geschah.
Nun lag er ganz still, als habe er viel mit sich aus¬
zumachen. Das dumpfe Entsetzen, das ihm auf dem
Herzen lag, sprach nur hie und da aus einem schwe¬
ren Seufzer. Einmal fing er an:

"Ich sehe nichts, nicht wahr?"

"Das ist die Binde," sagte sie tröstend, "aber
sie kühlt und beruhigt, weil Sie einen argen Stoß
erlitten haben, und wenn sie abgenommen wird --"

"Dann bin ich blind!" stöhnte er.

"Hoffnung," flüsterte sie, "und ein bissel Ge¬
duld." Ihre Stimme zitterte wie von Thränen.

"Ich möchte an meinen Koffer, der Schlüssel
steckt in meinem Rock, ich weiß nicht, wo sie den hin¬
gethan haben, vielleicht --"

"Der Rock hängt an der Thür, und hier -- ein
Schlüssel, ist das der rechte? Wollen Sie mir nicht
sagen, was ich Ihnen herauslangen soll?"

"Ja -- das heißt -- nun wissen Sie, ganz auf
dem Grunde -- ein längliches Lederfutteral, wenn
Sie mir das reichen wollten," die Worte klangen, als
hänge sein Leben daran.

Er hörte, wie sie aufschloß und streckte mit

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„O bleibe! bleibe!“ ſchrie er auf, „ich bin ſo
allein, und es iſt ſo dunkel.“

„Das hab' ich gedacht,“ murmelte ſie.

Er fühlte, daß ſie ſich neben ſeinem Lager auf
einen Stuhl ſetzte, obwohl es ſehr leiſe geſchah.
Nun lag er ganz ſtill, als habe er viel mit ſich aus¬
zumachen. Das dumpfe Entſetzen, das ihm auf dem
Herzen lag, ſprach nur hie und da aus einem ſchwe¬
ren Seufzer. Einmal fing er an:

„Ich ſehe nichts, nicht wahr?“

„Das iſt die Binde,“ ſagte ſie tröſtend, „aber
ſie kühlt und beruhigt, weil Sie einen argen Stoß
erlitten haben, und wenn ſie abgenommen wird —“

„Dann bin ich blind!“ ſtöhnte er.

„Hoffnung,“ flüſterte ſie, „und ein biſſel Ge¬
duld.“ Ihre Stimme zitterte wie von Thränen.

„Ich möchte an meinen Koffer, der Schlüſſel
ſteckt in meinem Rock, ich weiß nicht, wo ſie den hin¬
gethan haben, vielleicht —“

„Der Rock hängt an der Thür, und hier — ein
Schlüſſel, iſt das der rechte? Wollen Sie mir nicht
ſagen, was ich Ihnen herauslangen ſoll?“

„Ja — das heißt — nun wiſſen Sie, ganz auf
dem Grunde — ein längliches Lederfutteral, wenn
Sie mir das reichen wollten,“ die Worte klangen, als
hänge ſein Leben daran.

Er hörte, wie ſie aufſchloß und ſtreckte mit

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[83/0099] „O bleibe! bleibe!“ ſchrie er auf, „ich bin ſo allein, und es iſt ſo dunkel.“ „Das hab' ich gedacht,“ murmelte ſie. Er fühlte, daß ſie ſich neben ſeinem Lager auf einen Stuhl ſetzte, obwohl es ſehr leiſe geſchah. Nun lag er ganz ſtill, als habe er viel mit ſich aus¬ zumachen. Das dumpfe Entſetzen, das ihm auf dem Herzen lag, ſprach nur hie und da aus einem ſchwe¬ ren Seufzer. Einmal fing er an: „Ich ſehe nichts, nicht wahr?“ „Das iſt die Binde,“ ſagte ſie tröſtend, „aber ſie kühlt und beruhigt, weil Sie einen argen Stoß erlitten haben, und wenn ſie abgenommen wird —“ „Dann bin ich blind!“ ſtöhnte er. „Hoffnung,“ flüſterte ſie, „und ein biſſel Ge¬ duld.“ Ihre Stimme zitterte wie von Thränen. „Ich möchte an meinen Koffer, der Schlüſſel ſteckt in meinem Rock, ich weiß nicht, wo ſie den hin¬ gethan haben, vielleicht —“ „Der Rock hängt an der Thür, und hier — ein Schlüſſel, iſt das der rechte? Wollen Sie mir nicht ſagen, was ich Ihnen herauslangen ſoll?“ „Ja — das heißt — nun wiſſen Sie, ganz auf dem Grunde — ein längliches Lederfutteral, wenn Sie mir das reichen wollten,“ die Worte klangen, als hänge ſein Leben daran. Er hörte, wie ſie aufſchloß und ſtreckte mit 6*

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/99>, abgerufen am 22.11.2024.