Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm die weinende Pflegemutter, und ihr Mann mit abgezogenem Hut und einer verlegenen, reuevollen Verdrießlichkeit in dem stumpfen Gesicht.

Der Pfarrer sprach, - laut, strafend, unversöhnlich. Das größte Verbrechen ist das gegen das eigene gottgeschenkte Leben. Verirrte junge Sünderin, was wirst Du antworten, wenn jene Stimme von oben Dich fragt: "wie hast Du mein Geschenk angewendet?" Hohle nichtige Eitelkeit ist hier Herr geworden, alle natürlichen Pflichten sind in den Staub getreten worden. O, lasset uns beten, daß Gnade vor Recht ergehe, daß auch dies sündige Kind nicht auf ewig verworfen werde. - - So ging es fort.

Nach den ersten Worten schon hatten die Schaibles einen langen Blick getauscht und sich die Hand gereicht, wie zu Schutz und Trutz. Frau Herminens Antlitz gerieth immer mehr in zuckende Bewegung, sie hielt sich mit Mühe zurück. Kaum waren die letzten Gebetworte verklungen, so trat sie einen Schritt vor und sagte mit Schrill vor Aufregung klingender Stimme: "Herr Pfarrer, ich protestiere gegen Ihre unchristliche, in jeder Beziehung verständnißlose - -" Der Angegriffene blinzelte, zog die Brauen zusammen, hielt die Hand hinters Ohr und sagte kalt: "Wünschen Sie etwas von mir, gute Frau?" - Der Souffleur hatte seine Hermine schon zurückgezogen. "Du siehscht, er will net verstanden haben, - komm, komm, sonst gibt's 'n

ihm die weinende Pflegemutter, und ihr Mann mit abgezogenem Hut und einer verlegenen, reuevollen Verdrießlichkeit in dem stumpfen Gesicht.

Der Pfarrer sprach, – laut, strafend, unversöhnlich. Das größte Verbrechen ist das gegen das eigene gottgeschenkte Leben. Verirrte junge Sünderin, was wirst Du antworten, wenn jene Stimme von oben Dich fragt: „wie hast Du mein Geschenk angewendet?“ Hohle nichtige Eitelkeit ist hier Herr geworden, alle natürlichen Pflichten sind in den Staub getreten worden. O, lasset uns beten, daß Gnade vor Recht ergehe, daß auch dies sündige Kind nicht auf ewig verworfen werde. – – So ging es fort.

Nach den ersten Worten schon hatten die Schaibles einen langen Blick getauscht und sich die Hand gereicht, wie zu Schutz und Trutz. Frau Herminens Antlitz gerieth immer mehr in zuckende Bewegung, sie hielt sich mit Mühe zurück. Kaum waren die letzten Gebetworte verklungen, so trat sie einen Schritt vor und sagte mit Schrill vor Aufregung klingender Stimme: „Herr Pfarrer, ich protestiere gegen Ihre unchristliche, in jeder Beziehung verständnißlose – –“ Der Angegriffene blinzelte, zog die Brauen zusammen, hielt die Hand hinters Ohr und sagte kalt: „Wünschen Sie etwas von mir, gute Frau?“ – Der Souffleur hatte seine Hermine schon zurückgezogen. „Du siehscht, er will net verstanden haben, – komm, komm, sonst gibt’s ’n

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0295" n="287"/>
ihm die weinende Pflegemutter, und ihr Mann mit abgezogenem Hut und einer verlegenen, reuevollen Verdrießlichkeit in dem stumpfen Gesicht.</p>
        <p>Der Pfarrer sprach, &#x2013; laut, strafend, unversöhnlich. Das größte Verbrechen ist das gegen das eigene gottgeschenkte Leben. Verirrte junge Sünderin, was wirst Du antworten, wenn jene Stimme von oben Dich fragt: &#x201E;wie hast Du mein Geschenk angewendet?&#x201C; Hohle nichtige Eitelkeit ist hier Herr geworden, alle natürlichen Pflichten sind in den Staub getreten worden. O, lasset uns beten, daß Gnade vor Recht ergehe, daß auch dies sündige Kind nicht auf ewig verworfen werde. &#x2013; &#x2013; So ging es fort.</p>
        <p>Nach den ersten Worten schon hatten die Schaibles einen langen Blick getauscht und sich die Hand gereicht, wie zu Schutz und Trutz. Frau Herminens Antlitz gerieth immer mehr in zuckende Bewegung, sie hielt sich mit Mühe zurück. Kaum waren die letzten Gebetworte verklungen, so trat sie einen Schritt vor und sagte mit Schrill vor Aufregung klingender Stimme: &#x201E;Herr Pfarrer, ich protestiere gegen Ihre unchristliche, in jeder Beziehung verständnißlose &#x2013; &#x2013;&#x201C; Der Angegriffene blinzelte, zog die Brauen zusammen, hielt die Hand hinters Ohr und sagte kalt: &#x201E;Wünschen Sie etwas von mir, gute Frau?&#x201C; &#x2013; Der Souffleur hatte seine Hermine schon zurückgezogen. &#x201E;Du siehscht, er will net verstanden haben, &#x2013; komm, komm, sonst gibt&#x2019;s &#x2019;n
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0295] ihm die weinende Pflegemutter, und ihr Mann mit abgezogenem Hut und einer verlegenen, reuevollen Verdrießlichkeit in dem stumpfen Gesicht. Der Pfarrer sprach, – laut, strafend, unversöhnlich. Das größte Verbrechen ist das gegen das eigene gottgeschenkte Leben. Verirrte junge Sünderin, was wirst Du antworten, wenn jene Stimme von oben Dich fragt: „wie hast Du mein Geschenk angewendet?“ Hohle nichtige Eitelkeit ist hier Herr geworden, alle natürlichen Pflichten sind in den Staub getreten worden. O, lasset uns beten, daß Gnade vor Recht ergehe, daß auch dies sündige Kind nicht auf ewig verworfen werde. – – So ging es fort. Nach den ersten Worten schon hatten die Schaibles einen langen Blick getauscht und sich die Hand gereicht, wie zu Schutz und Trutz. Frau Herminens Antlitz gerieth immer mehr in zuckende Bewegung, sie hielt sich mit Mühe zurück. Kaum waren die letzten Gebetworte verklungen, so trat sie einen Schritt vor und sagte mit Schrill vor Aufregung klingender Stimme: „Herr Pfarrer, ich protestiere gegen Ihre unchristliche, in jeder Beziehung verständnißlose – –“ Der Angegriffene blinzelte, zog die Brauen zusammen, hielt die Hand hinters Ohr und sagte kalt: „Wünschen Sie etwas von mir, gute Frau?“ – Der Souffleur hatte seine Hermine schon zurückgezogen. „Du siehscht, er will net verstanden haben, – komm, komm, sonst gibt’s ’n

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/295
Zitationshilfe: Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/295>, abgerufen am 28.07.2024.