Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.halber auch noch einer Frage an Papa! Aber ich bin ja eine Sklavin, ich bin ja ein Anhängsel, ich muß thun, was mir befohlen wird, und darf nicht mucksen; ich werde schon jetzt hart beschuldigt, trotzig, hinterhältig und undankbar zu sein. Wie ich über Deinen lieben Brief geweint habe, kann ich Dir nicht beschreiben. Und jeden Abend geht es von Neuem an, denn ich habe eine herzbrechende Sehnsucht nach dem Leben, das Du führst. Wie kannst Du an Papas Einwilligung glauben in einer so neuen und ungewöhnlichen Sache! Papa hielte mich gewiß für verrückt, wenn ich so etwas verlangte. Du hast mir ja auch selbst gesagt - ich glaube, es war in Deinem ersten Brief -, man könne von der älteren Generation kein unbedingtes Eingehen auf die Wünsche der neuen erwarten, sondern müsse die Seinigen allmählich zur Einsicht bringen. Und sieh, gerade das hab ich vor durch meine heimliche Vorbereitung zum Lehrerinnenexamen. Wenn sie sehen, daß ich etwas durchsetzen kann - vielleicht, vielleicht beurtheilen sie mich dann gerechter. Dir sage ich tausend Dank für Deine echte brüderliche Theilnahme - ich bin jetzt nicht mehr einsam in meinen Gedanken, sondern habe wieder einen Menschen, dem ich alles mittheilen darf. Du weißt nicht, wie glücklich mich das macht. Aber warum hast Du mir Deine Photographie nicht geschickt? Ich möchte doch halber auch noch einer Frage an Papa! Aber ich bin ja eine Sklavin, ich bin ja ein Anhängsel, ich muß thun, was mir befohlen wird, und darf nicht mucksen; ich werde schon jetzt hart beschuldigt, trotzig, hinterhältig und undankbar zu sein. Wie ich über Deinen lieben Brief geweint habe, kann ich Dir nicht beschreiben. Und jeden Abend geht es von Neuem an, denn ich habe eine herzbrechende Sehnsucht nach dem Leben, das Du führst. Wie kannst Du an Papas Einwilligung glauben in einer so neuen und ungewöhnlichen Sache! Papa hielte mich gewiß für verrückt, wenn ich so etwas verlangte. Du hast mir ja auch selbst gesagt – ich glaube, es war in Deinem ersten Brief –, man könne von der älteren Generation kein unbedingtes Eingehen auf die Wünsche der neuen erwarten, sondern müsse die Seinigen allmählich zur Einsicht bringen. Und sieh, gerade das hab ich vor durch meine heimliche Vorbereitung zum Lehrerinnenexamen. Wenn sie sehen, daß ich etwas durchsetzen kann – vielleicht, vielleicht beurtheilen sie mich dann gerechter. Dir sage ich tausend Dank für Deine echte brüderliche Theilnahme – ich bin jetzt nicht mehr einsam in meinen Gedanken, sondern habe wieder einen Menschen, dem ich alles mittheilen darf. Du weißt nicht, wie glücklich mich das macht. Aber warum hast Du mir Deine Photographie nicht geschickt? Ich möchte doch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0333" n="325"/> halber auch noch einer Frage an Papa! Aber ich bin ja eine Sklavin, ich bin ja ein Anhängsel, ich muß thun, was mir befohlen wird, und darf nicht mucksen; ich werde schon jetzt hart beschuldigt, trotzig, hinterhältig und undankbar zu sein. Wie ich über Deinen lieben Brief geweint habe, kann ich Dir nicht beschreiben. Und jeden Abend geht es von Neuem an, denn ich habe eine herzbrechende Sehnsucht nach dem Leben, das Du führst. Wie kannst Du an Papas Einwilligung glauben in einer so neuen und ungewöhnlichen Sache! Papa hielte mich gewiß für verrückt, wenn ich so etwas verlangte. Du hast mir ja auch selbst gesagt – ich glaube, es war in Deinem ersten Brief –, man könne von der älteren Generation kein unbedingtes Eingehen auf die Wünsche der neuen erwarten, sondern müsse die Seinigen allmählich zur Einsicht bringen. Und sieh, gerade das hab ich vor durch meine heimliche Vorbereitung zum Lehrerinnenexamen. Wenn sie sehen, daß ich etwas durchsetzen kann – vielleicht, vielleicht beurtheilen sie mich dann gerechter.</p> <p>Dir sage ich tausend Dank für Deine echte brüderliche Theilnahme – ich bin jetzt nicht mehr einsam in meinen Gedanken, sondern habe wieder einen Menschen, dem ich alles mittheilen darf. Du weißt nicht, wie glücklich mich das macht. Aber warum hast Du mir Deine Photographie nicht geschickt? Ich möchte doch </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [325/0333]
halber auch noch einer Frage an Papa! Aber ich bin ja eine Sklavin, ich bin ja ein Anhängsel, ich muß thun, was mir befohlen wird, und darf nicht mucksen; ich werde schon jetzt hart beschuldigt, trotzig, hinterhältig und undankbar zu sein. Wie ich über Deinen lieben Brief geweint habe, kann ich Dir nicht beschreiben. Und jeden Abend geht es von Neuem an, denn ich habe eine herzbrechende Sehnsucht nach dem Leben, das Du führst. Wie kannst Du an Papas Einwilligung glauben in einer so neuen und ungewöhnlichen Sache! Papa hielte mich gewiß für verrückt, wenn ich so etwas verlangte. Du hast mir ja auch selbst gesagt – ich glaube, es war in Deinem ersten Brief –, man könne von der älteren Generation kein unbedingtes Eingehen auf die Wünsche der neuen erwarten, sondern müsse die Seinigen allmählich zur Einsicht bringen. Und sieh, gerade das hab ich vor durch meine heimliche Vorbereitung zum Lehrerinnenexamen. Wenn sie sehen, daß ich etwas durchsetzen kann – vielleicht, vielleicht beurtheilen sie mich dann gerechter.
Dir sage ich tausend Dank für Deine echte brüderliche Theilnahme – ich bin jetzt nicht mehr einsam in meinen Gedanken, sondern habe wieder einen Menschen, dem ich alles mittheilen darf. Du weißt nicht, wie glücklich mich das macht. Aber warum hast Du mir Deine Photographie nicht geschickt? Ich möchte doch
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