Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.so saßen sie einen Augenblick nur zu zweit in ihrem Abtheil. Das Fräulein freilich saß nicht, sondern stand mit unruhig suchenden Blicken am Fenster. "Haben Sie noch etwas verloren, Fräulein?" "Tante ist weg, ich muß wieder aussteigen." Im selben Augenblick machte der Wagen einen scharfen Ruck, es wurden schon Coupethüren zugeschlagen. "Wir fahren gleich, es geht nicht mehr," sagte der junge Mann. "Hier, hier ist Platz!" schrie der Schaffner, und im Augenblick waren auch in ihrem Wagen alle Plätze besetzt, die Thür geschlossen. Das junge Mädchen sah fast verstört aus. Noch immer suchte sie den Perron entlang zu blicken; dann kam von einem älteren Herrn, der sich die Backe hielt, die dringende Bitte um Schließung des Fensters. Sie fuhren; die Wagen knatterten und krachten, als ob sie der Wind aus allen Fugen sprengen wolle, immer wie Kleingewehrfeuer. Die beiden jungen Leute, einander gegenüber, sahen sich je zuweilen mit musternden Blicken an. Das Fräulein schien den Verlust der Tante noch nicht verschmerzt zu haben, sie hielt sich keinen Augenblick ruhig; die braunen Augen unter dem braunen Filzhut hatten etwas eindringlich Fragendes, die Stirn war zusammengezogen, die schmalen Lippen etwas gepreßt; sie seufzte oft und fuhr in die Höhe, wenn der so saßen sie einen Augenblick nur zu zweit in ihrem Abtheil. Das Fräulein freilich saß nicht, sondern stand mit unruhig suchenden Blicken am Fenster. „Haben Sie noch etwas verloren, Fräulein?“ „Tante ist weg, ich muß wieder aussteigen.“ Im selben Augenblick machte der Wagen einen scharfen Ruck, es wurden schon Coupéthüren zugeschlagen. „Wir fahren gleich, es geht nicht mehr,“ sagte der junge Mann. „Hier, hier ist Platz!“ schrie der Schaffner, und im Augenblick waren auch in ihrem Wagen alle Plätze besetzt, die Thür geschlossen. Das junge Mädchen sah fast verstört aus. Noch immer suchte sie den Perron entlang zu blicken; dann kam von einem älteren Herrn, der sich die Backe hielt, die dringende Bitte um Schließung des Fensters. Sie fuhren; die Wagen knatterten und krachten, als ob sie der Wind aus allen Fugen sprengen wolle, immer wie Kleingewehrfeuer. Die beiden jungen Leute, einander gegenüber, sahen sich je zuweilen mit musternden Blicken an. Das Fräulein schien den Verlust der Tante noch nicht verschmerzt zu haben, sie hielt sich keinen Augenblick ruhig; die braunen Augen unter dem braunen Filzhut hatten etwas eindringlich Fragendes, die Stirn war zusammengezogen, die schmalen Lippen etwas gepreßt; sie seufzte oft und fuhr in die Höhe, wenn der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0356" n="348"/> so saßen sie einen Augenblick nur zu zweit in ihrem Abtheil. Das Fräulein freilich saß nicht, sondern stand mit unruhig suchenden Blicken am Fenster.</p> <p>„Haben Sie noch etwas verloren, Fräulein?“</p> <p>„Tante ist weg, ich muß wieder aussteigen.“</p> <p>Im selben Augenblick machte der Wagen einen scharfen Ruck, es wurden schon Coupéthüren zugeschlagen.</p> <p>„Wir fahren gleich, es geht nicht mehr,“ sagte der junge Mann.</p> <p>„Hier, hier ist Platz!“ schrie der Schaffner, und im Augenblick waren auch in ihrem Wagen alle Plätze besetzt, die Thür geschlossen. Das junge Mädchen sah fast verstört aus. Noch immer suchte sie den Perron entlang zu blicken; dann kam von einem älteren Herrn, der sich die Backe hielt, die dringende Bitte um Schließung des Fensters. Sie fuhren; die Wagen knatterten und krachten, als ob sie der Wind aus allen Fugen sprengen wolle, immer wie Kleingewehrfeuer. Die beiden jungen Leute, einander gegenüber, sahen sich je zuweilen mit musternden Blicken an. Das Fräulein schien den Verlust der Tante noch nicht verschmerzt zu haben, sie hielt sich keinen Augenblick ruhig; die braunen Augen unter dem braunen Filzhut hatten etwas eindringlich Fragendes, die Stirn war zusammengezogen, die schmalen Lippen etwas gepreßt; sie seufzte oft und fuhr in die Höhe, wenn der </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [348/0356]
so saßen sie einen Augenblick nur zu zweit in ihrem Abtheil. Das Fräulein freilich saß nicht, sondern stand mit unruhig suchenden Blicken am Fenster.
„Haben Sie noch etwas verloren, Fräulein?“
„Tante ist weg, ich muß wieder aussteigen.“
Im selben Augenblick machte der Wagen einen scharfen Ruck, es wurden schon Coupéthüren zugeschlagen.
„Wir fahren gleich, es geht nicht mehr,“ sagte der junge Mann.
„Hier, hier ist Platz!“ schrie der Schaffner, und im Augenblick waren auch in ihrem Wagen alle Plätze besetzt, die Thür geschlossen. Das junge Mädchen sah fast verstört aus. Noch immer suchte sie den Perron entlang zu blicken; dann kam von einem älteren Herrn, der sich die Backe hielt, die dringende Bitte um Schließung des Fensters. Sie fuhren; die Wagen knatterten und krachten, als ob sie der Wind aus allen Fugen sprengen wolle, immer wie Kleingewehrfeuer. Die beiden jungen Leute, einander gegenüber, sahen sich je zuweilen mit musternden Blicken an. Das Fräulein schien den Verlust der Tante noch nicht verschmerzt zu haben, sie hielt sich keinen Augenblick ruhig; die braunen Augen unter dem braunen Filzhut hatten etwas eindringlich Fragendes, die Stirn war zusammengezogen, die schmalen Lippen etwas gepreßt; sie seufzte oft und fuhr in die Höhe, wenn der
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