Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, N. F., Bd. 100/1 (1892), S. 25-50.Über Sinn und Bedeutung. Bedeutung der Ausdrücke "der Schnittpunkt von a und b" und"der Schnittpunkt von b und c" dieselbe sein, aber nicht ihr Sinn. Es würde die Bedeutung von "Abendstern" und "Morgenstern" dieselbe sein, aber nicht der Sinn. Aus dem Zusammenhange geht hervor, daß ich hier unter Der Sinn eines Eigennamens wird von jedem erfaßt, der die Die regelmäßige Verknüpfung zwischen dem Zeichen, dessen *) Bei einem eigentlichen Eigennamen wie "Aristoteles" können freilich
die Meinungen über den Sinn auseinander gehen. Man könnte z. B. als solchen annehmen: der Schüler Platos und Lehrer Alexanders des Großen. Wer dies thut, wird mit dem Satze "Aristoteles war aus Stagira gebürtig" einen andern Sinn verbinden als einer, der als Sinn dieses Namens an¬ nähme: der aus Stagira gebürtige Lehrer Alexanders des Großen. Solange nur die Bedeutung dieselbe bleibt, lassen sich diese Schwankungen des Sinnes ertragen, wiewohl auch sie in dem Lehrgebäude einer beweisenden Wissenschaft zu vermeiden sind und in einer vollkommenen Sprache nicht vorkommen dürften. Über Sinn und Bedeutung. Bedeutung der Ausdrücke „der Schnittpunkt von a und b“ und„der Schnittpunkt von b und c“ dieſelbe ſein, aber nicht ihr Sinn. Es würde die Bedeutung von „Abendſtern“ und „Morgenſtern“ dieſelbe ſein, aber nicht der Sinn. Aus dem Zuſammenhange geht hervor, daß ich hier unter Der Sinn eines Eigennamens wird von jedem erfaßt, der die Die regelmäßige Verknüpfung zwiſchen dem Zeichen, deſſen *) Bei einem eigentlichen Eigennamen wie „Ariſtoteles“ können freilich
die Meinungen über den Sinn auseinander gehen. Man könnte z. B. als ſolchen annehmen: der Schüler Platos und Lehrer Alexanders des Großen. Wer dies thut, wird mit dem Satze „Ariſtoteles war aus Stagira gebürtig“ einen andern Sinn verbinden als einer, der als Sinn dieſes Namens an¬ nähme: der aus Stagira gebürtige Lehrer Alexanders des Großen. Solange nur die Bedeutung dieſelbe bleibt, laſſen ſich dieſe Schwankungen des Sinnes ertragen, wiewohl auch ſie in dem Lehrgebäude einer beweiſenden Wiſſenſchaft zu vermeiden ſind und in einer vollkommenen Sprache nicht vorkommen dürften. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0023" n="27"/><fw place="top" type="header">Über Sinn und Bedeutung.<lb/></fw> Bedeutung der Ausdrücke „der Schnittpunkt von <hi rendition="#aq">a</hi> und <hi rendition="#aq">b</hi>“ und<lb/> „der Schnittpunkt von <hi rendition="#aq">b</hi> und <hi rendition="#aq">c</hi>“ dieſelbe ſein, aber nicht ihr Sinn.<lb/> Es würde die Bedeutung von „Abendſtern“ und „Morgenſtern“<lb/> dieſelbe ſein, aber nicht der Sinn.</p><lb/> <p>Aus dem Zuſammenhange geht hervor, daß ich hier unter<lb/> „Zeichen“ und „Namen“ irgendeine Bezeichnung verſtanden habe,<lb/> die einen Eigennamen vertritt, deren Bedeutung alſo ein beſtimmtes<lb/> Gegenſtand iſt (dies Wort im weiteſten Umfange genommen), aber<lb/> kein Begriff und keine Beziehung, auf die in einem anderen Auf¬<lb/> ſatze näher eingegangen werden ſoll. Die Bezeichnung eines ein¬<lb/> zelnen Gegenſtandes kann auch aus mehreren Worten oder ſonſtigen<lb/> Zeichen beſtehn. Der Kürze wegen mag jede ſolche Bezeichnung<lb/> Eigenname genannt werden.</p><lb/> <p>Der Sinn eines Eigennamens wird von jedem erfaßt, der die<lb/> Sprache oder das Ganze von Bezeichnungen hinreichend kennt, der<lb/> er angehört<note place="foot" n="*)">Bei einem eigentlichen Eigennamen wie „Ariſtoteles“ können freilich<lb/> die Meinungen über den Sinn auseinander gehen. Man könnte z. B. als<lb/> ſolchen annehmen: der Schüler Platos und Lehrer Alexanders des Großen.<lb/> Wer dies thut, wird mit dem Satze „Ariſtoteles war aus Stagira gebürtig“<lb/> einen andern Sinn verbinden als einer, der als Sinn dieſes Namens an¬<lb/> nähme: der aus Stagira gebürtige Lehrer Alexanders des Großen. Solange<lb/> nur die Bedeutung dieſelbe bleibt, laſſen ſich dieſe Schwankungen des Sinnes<lb/> ertragen, wiewohl auch ſie in dem Lehrgebäude einer beweiſenden Wiſſenſchaft<lb/> zu vermeiden ſind und in einer vollkommenen Sprache nicht vorkommen dürften.</note>; damit iſt die Bedeutung aber, falls ſie vorhanden<lb/> iſt, doch immer nur einſeitig beleuchtet. Zu einer allſeitigen Er¬<lb/> kenntniß der Bedeutung würde gehören, daß wir von jedem ge¬<lb/> gebenen Sinne ſogleich angeben könnten, ob er zu ihr gehöre.<lb/> Dahin <choice><sic>gelanges</sic><corr>gelangen</corr></choice> wir nie.</p><lb/> <p>Die regelmäßige Verknüpfung zwiſchen dem Zeichen, deſſen<lb/> Sinne und deſſen Bedeutung iſt der Art, daß dem Zeichen ein be¬<lb/> ſtimmter Sinn und dieſem wieder eine beſtimmte Bedeutung ent¬<lb/> ſpricht, während zu einer Bedeutung (einem Gegenſtande) nicht<lb/> nur ein Zeichen zugehört. Derſelbe Sinn hat in verſchiedenen<lb/> Sprachen, ja auch in derſelben verſchiedene Ausdrücke. Freilich<lb/> kommen Ausnahmen von dieſem regelmäßigen Verhalten vor.<lb/> Gewiß ſollte in einem vollkommenen Ganzen von Zeichen jedem<lb/> Ausdrucke ein beſtimmter Sinn entſprechen; aber die Volksſprachen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [27/0023]
Über Sinn und Bedeutung.
Bedeutung der Ausdrücke „der Schnittpunkt von a und b“ und
„der Schnittpunkt von b und c“ dieſelbe ſein, aber nicht ihr Sinn.
Es würde die Bedeutung von „Abendſtern“ und „Morgenſtern“
dieſelbe ſein, aber nicht der Sinn.
Aus dem Zuſammenhange geht hervor, daß ich hier unter
„Zeichen“ und „Namen“ irgendeine Bezeichnung verſtanden habe,
die einen Eigennamen vertritt, deren Bedeutung alſo ein beſtimmtes
Gegenſtand iſt (dies Wort im weiteſten Umfange genommen), aber
kein Begriff und keine Beziehung, auf die in einem anderen Auf¬
ſatze näher eingegangen werden ſoll. Die Bezeichnung eines ein¬
zelnen Gegenſtandes kann auch aus mehreren Worten oder ſonſtigen
Zeichen beſtehn. Der Kürze wegen mag jede ſolche Bezeichnung
Eigenname genannt werden.
Der Sinn eines Eigennamens wird von jedem erfaßt, der die
Sprache oder das Ganze von Bezeichnungen hinreichend kennt, der
er angehört *); damit iſt die Bedeutung aber, falls ſie vorhanden
iſt, doch immer nur einſeitig beleuchtet. Zu einer allſeitigen Er¬
kenntniß der Bedeutung würde gehören, daß wir von jedem ge¬
gebenen Sinne ſogleich angeben könnten, ob er zu ihr gehöre.
Dahin gelangen wir nie.
Die regelmäßige Verknüpfung zwiſchen dem Zeichen, deſſen
Sinne und deſſen Bedeutung iſt der Art, daß dem Zeichen ein be¬
ſtimmter Sinn und dieſem wieder eine beſtimmte Bedeutung ent¬
ſpricht, während zu einer Bedeutung (einem Gegenſtande) nicht
nur ein Zeichen zugehört. Derſelbe Sinn hat in verſchiedenen
Sprachen, ja auch in derſelben verſchiedene Ausdrücke. Freilich
kommen Ausnahmen von dieſem regelmäßigen Verhalten vor.
Gewiß ſollte in einem vollkommenen Ganzen von Zeichen jedem
Ausdrucke ein beſtimmter Sinn entſprechen; aber die Volksſprachen
*) Bei einem eigentlichen Eigennamen wie „Ariſtoteles“ können freilich
die Meinungen über den Sinn auseinander gehen. Man könnte z. B. als
ſolchen annehmen: der Schüler Platos und Lehrer Alexanders des Großen.
Wer dies thut, wird mit dem Satze „Ariſtoteles war aus Stagira gebürtig“
einen andern Sinn verbinden als einer, der als Sinn dieſes Namens an¬
nähme: der aus Stagira gebürtige Lehrer Alexanders des Großen. Solange
nur die Bedeutung dieſelbe bleibt, laſſen ſich dieſe Schwankungen des Sinnes
ertragen, wiewohl auch ſie in dem Lehrgebäude einer beweiſenden Wiſſenſchaft
zu vermeiden ſind und in einer vollkommenen Sprache nicht vorkommen dürften.
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