Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, N. F., Bd. 100/1 (1892), S. 25-50.G. Frege: erfüllen diese Forderung vielfach nicht, und man muß zufriedensein, wenn nur in demselben Zusammenhange dasselbe Wort immer denselben Sinn hat. Vielleicht kann man zugeben, daß ein gramma¬ tisch richtig gebildeter Ausdruck, der für einen Eigennamen steht, immer einen Sinn habe. Aber ob dem Sinne nun auch eine Be¬ deutung entspreche, ist damit nicht gesagt. Die Worte "der von der Erde am weitesten entfernte Himmelskörper" haben einen Sinn; ob sie aber auch eine Bedeutung haben, ist sehr zweifelhaft. Der Ausdruck "die am wenigsten convergente Reihe" hat einen Sinn; aber man beweist, daß er keine Bedeutung hat, da man zu jeder convergenten Reihe eine weniger convergente, aber immer noch convergente finden kann. Dadurch also, daß man einen Sinn auf¬ faßt, hat man noch nicht mit Sicherheit eine Bedeutung. Wenn man in der gewöhnlichen Weise Worte gebraucht, so ist Wenn man von dem Sinne eines Ausdrucks ,A' reden will G. Frege: erfüllen dieſe Forderung vielfach nicht, und man muß zufriedenſein, wenn nur in demſelben Zuſammenhange daſſelbe Wort immer denſelben Sinn hat. Vielleicht kann man zugeben, daß ein gramma¬ tiſch richtig gebildeter Ausdruck, der für einen Eigennamen ſteht, immer einen Sinn habe. Aber ob dem Sinne nun auch eine Be¬ deutung entſpreche, iſt damit nicht geſagt. Die Worte „der von der Erde am weiteſten entfernte Himmelskörper“ haben einen Sinn; ob ſie aber auch eine Bedeutung haben, iſt ſehr zweifelhaft. Der Ausdruck „die am wenigſten convergente Reihe“ hat einen Sinn; aber man beweiſt, daß er keine Bedeutung hat, da man zu jeder convergenten Reihe eine weniger convergente, aber immer noch convergente finden kann. Dadurch alſo, daß man einen Sinn auf¬ faßt, hat man noch nicht mit Sicherheit eine Bedeutung. Wenn man in der gewöhnlichen Weiſe Worte gebraucht, ſo iſt Wenn man von dem Sinne eines Ausdrucks ,A‘ reden will <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0024" n="28"/><fw place="top" type="header">G. <hi rendition="#g">Frege</hi>:<lb/></fw>erfüllen dieſe Forderung vielfach nicht, und man muß zufrieden<lb/> ſein, wenn nur in demſelben Zuſammenhange daſſelbe Wort immer<lb/> denſelben Sinn hat. Vielleicht kann man zugeben, daß ein gramma¬<lb/> tiſch richtig gebildeter Ausdruck, der für einen Eigennamen ſteht,<lb/> immer einen Sinn habe. Aber ob dem Sinne nun auch eine Be¬<lb/> deutung entſpreche, iſt damit nicht geſagt. Die Worte „der von<lb/> der Erde am weiteſten entfernte Himmelskörper“ haben einen Sinn;<lb/> ob ſie aber auch eine Bedeutung haben, iſt ſehr zweifelhaft. Der<lb/> Ausdruck „die am wenigſten convergente Reihe“ hat einen Sinn;<lb/> aber man beweiſt, daß er keine Bedeutung hat, da man zu jeder<lb/> convergenten Reihe eine weniger convergente, aber immer noch<lb/> convergente finden kann. Dadurch alſo, daß man einen Sinn auf¬<lb/> faßt, hat man noch nicht mit Sicherheit eine Bedeutung.</p><lb/> <p>Wenn man in der gewöhnlichen Weiſe Worte gebraucht, ſo iſt<lb/> das, wovon man ſprechen will, deren Bedeutung. Es kann aber<lb/> auch vorkommen, daß man von den Worten ſelbſt oder von ihrem<lb/> Sinne reden will. Jenes geſchieht z. B., wenn man die Worte eines<lb/> Andern in gerader Rede anführt. Die eigenen Worte bedeuten<lb/> dann zunächſt die Worte des Andern und erſt dieſe haben die ge¬<lb/> wöhnliche Bedeutung. Wir haben dann Zeichen von Zeichen. In<lb/> der Schrift ſchließt man in dieſem Falle die Wortbilder in An¬<lb/> führungszeichen ein. Es darf alſo ein in Anführungszeichen ſtehendes<lb/> Wortbild nicht in der gewöhnlichen Bedeutung genommen werden.</p><lb/> <p>Wenn man von dem Sinne eines Ausdrucks ,A‘ reden will<lb/> ſo kann man dies einfach durch die Wendung „der Sinn des Aus¬<lb/> drucks ,A‘“. In der ungeraden Rede ſpricht man von dem Sinne<lb/> z. B. der Rede eines Andern. Es iſt daraus klar, daß auch in<lb/> dieſer Redeweiſe die Worte nicht ihre gewöhnliche Bedeutung haben,<lb/> ſondern das bedeuten, was gewöhnlich ihr Sinn iſt. Um einen<lb/> kurzen Ausdruck zu haben, wollen wir ſagen: die Wörter werden<lb/> in der ungeraden Rede <hi rendition="#g">ungerade</hi> gebraucht, oder haben ihre<lb/><hi rendition="#g">ungerade</hi> Bedeutung. Wir unterſcheiden demnach die <hi rendition="#g">gewöhn¬<lb/> liche</hi> Bedeutung eines Wortes von ſeiner <hi rendition="#g">ungeraden</hi> und ſeinen<lb/><hi rendition="#g">gewöhnlichen</hi> Sinn von ſeinem <hi rendition="#g">ungeraden</hi> Sinne. Die un¬<lb/> gerade Bedeutung eines Wortes iſt alſo ſein gewöhnlicher Sinn.<lb/> Solche Ausnahmen muß man immer im Auge behalten, wenn man<lb/> die Verknüpfungsweiſe von Zeichen, Sinn und Bedeutung im<lb/> einzelnen Falle richtig auffaſſen will.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [28/0024]
G. Frege:
erfüllen dieſe Forderung vielfach nicht, und man muß zufrieden
ſein, wenn nur in demſelben Zuſammenhange daſſelbe Wort immer
denſelben Sinn hat. Vielleicht kann man zugeben, daß ein gramma¬
tiſch richtig gebildeter Ausdruck, der für einen Eigennamen ſteht,
immer einen Sinn habe. Aber ob dem Sinne nun auch eine Be¬
deutung entſpreche, iſt damit nicht geſagt. Die Worte „der von
der Erde am weiteſten entfernte Himmelskörper“ haben einen Sinn;
ob ſie aber auch eine Bedeutung haben, iſt ſehr zweifelhaft. Der
Ausdruck „die am wenigſten convergente Reihe“ hat einen Sinn;
aber man beweiſt, daß er keine Bedeutung hat, da man zu jeder
convergenten Reihe eine weniger convergente, aber immer noch
convergente finden kann. Dadurch alſo, daß man einen Sinn auf¬
faßt, hat man noch nicht mit Sicherheit eine Bedeutung.
Wenn man in der gewöhnlichen Weiſe Worte gebraucht, ſo iſt
das, wovon man ſprechen will, deren Bedeutung. Es kann aber
auch vorkommen, daß man von den Worten ſelbſt oder von ihrem
Sinne reden will. Jenes geſchieht z. B., wenn man die Worte eines
Andern in gerader Rede anführt. Die eigenen Worte bedeuten
dann zunächſt die Worte des Andern und erſt dieſe haben die ge¬
wöhnliche Bedeutung. Wir haben dann Zeichen von Zeichen. In
der Schrift ſchließt man in dieſem Falle die Wortbilder in An¬
führungszeichen ein. Es darf alſo ein in Anführungszeichen ſtehendes
Wortbild nicht in der gewöhnlichen Bedeutung genommen werden.
Wenn man von dem Sinne eines Ausdrucks ,A‘ reden will
ſo kann man dies einfach durch die Wendung „der Sinn des Aus¬
drucks ,A‘“. In der ungeraden Rede ſpricht man von dem Sinne
z. B. der Rede eines Andern. Es iſt daraus klar, daß auch in
dieſer Redeweiſe die Worte nicht ihre gewöhnliche Bedeutung haben,
ſondern das bedeuten, was gewöhnlich ihr Sinn iſt. Um einen
kurzen Ausdruck zu haben, wollen wir ſagen: die Wörter werden
in der ungeraden Rede ungerade gebraucht, oder haben ihre
ungerade Bedeutung. Wir unterſcheiden demnach die gewöhn¬
liche Bedeutung eines Wortes von ſeiner ungeraden und ſeinen
gewöhnlichen Sinn von ſeinem ungeraden Sinne. Die un¬
gerade Bedeutung eines Wortes iſt alſo ſein gewöhnlicher Sinn.
Solche Ausnahmen muß man immer im Auge behalten, wenn man
die Verknüpfungsweiſe von Zeichen, Sinn und Bedeutung im
einzelnen Falle richtig auffaſſen will.
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