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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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Man sagt also dem Patienten, der sich nicht erinnern kann, in welchem Jahr, Monat und an welchem Tag ein gewisses Ereigniss vorfiel, die Jahreszahlen, um die es sich handeln kann, die zwölf Monatsnamen, die 31 Zahlen der Monatstage vor und versichert ihm, dass bei der richtigen Zahl oder beim richtigen Namen sich seine Augen von selbst öffnen würden, oder dass er dabei fühlen werde, welche Zahl die richtige sei. In den allermeisten Fällen entscheiden sich dann die Kranken wirklich für ein bestimmtes Datum und häufig genug (so bei Frau Cecilie N.) liess sich durch vorhandene Aufzeichnungen aus jener Zeit nachweisen, dass das Datum richtig erkannt war. Andere Male und bei ändern Kranken ergab sich aus dem Zusammenhang der erinnerten Thatsachen, dass das so gefundene Datum unanfechtbar war. Die Kranke bemerkte z. B., nachdem man ihr das durch "Auszählen" gewonnene Datum vorgehalten hatte: "Das ist ja der Geburtstag des Vaters" und setzte dann fort: "Ja gewiss, weil es der Geburtstag des Vaters war, habe ich ja das Ereigniss (von dem wir sprachen) erwartet."

Ich kann dieses Thema hier nur streifen. Der Schluss, den ich aus all diesen Erfahrungen zog, war der, dass die als pathogene wichtigen Erlebnisse mit all ihren Nebenumständen treulich vom Gedächtnis festgehalten werden, auch wo sie vergessen scheinen, wo dem Kranken die Fähigkeit fehlt, sich auf sie zu besinnen.1

1 Ich will als Beispiel für die oben geschilderte Technik des Ausforschens im nicht somnambulen Zustand, also bei nicht erweitertem Bewusstsein, einen Fall erzählen, den ich gerade in den letzten Tagen analysirt habe. Ich behandle eine Frau von 38 Jahren, die an Angstneurose (Agoraphobie, Todesangstanfällen u. dgl.) leidet. Sie hat, wie so viele dieser Kranken, eine Abneigung zuzugestehen, dass sie dieses Leiden in ihrem ehelichen Leben acquirirt hat, und möchte es gerne in ihre frühe Jugend zurückschieben. So berichtet sie mir, dass sie als 17jähriges Mädchen den ersten Anfall von Schwindel mit Angst und Ohnmachtsgefühl auf der Strasse ihrer kleinen Heimathstadt bekommen hat, und dass diese Anfälle sich zeitweise wiederholt haben, bis sie vor wenigen Jahren dem jetzigen Leiden den Platz räumten. Ich vermuthe, dass diese ersten Schwindelanfälle, bei denen sich die Angst immer mehr verwischte, hysterische waren, und beschliesse, in die Analyse derselben einzugehen. Sie weiss zunächst nur, dass dieser erste Anfall sie überfiel, während sie ausgegangen war, in den Läden der Hauptstrasse Einkäufe zu machen. - Was wollten Sie denn einkaufen? - Verschiedenes, ich glaube, für einen Ball, zu dem ich eingeladen war. - Wann sollte dieser Ball stattfinden? - Es kommt mir vor, zwei Tage später. - Da muss doch einige Tage vorher etwas vorgefallen sein, was Sie aufregte, was Ihnen einen Eindruck machte. - Ich weiss aber nichts, es sind 21 Jahre her. - Das macht nichts,

Man sagt also dem Patienten, der sich nicht erinnern kann, in welchem Jahr, Monat und an welchem Tag ein gewisses Ereigniss vorfiel, die Jahreszahlen, um die es sich handeln kann, die zwölf Monatsnamen, die 31 Zahlen der Monatstage vor und versichert ihm, dass bei der richtigen Zahl oder beim richtigen Namen sich seine Augen von selbst öffnen würden, oder dass er dabei fühlen werde, welche Zahl die richtige sei. In den allermeisten Fällen entscheiden sich dann die Kranken wirklich für ein bestimmtes Datum und häufig genug (so bei Frau Cecilie N.) liess sich durch vorhandene Aufzeichnungen aus jener Zeit nachweisen, dass das Datum richtig erkannt war. Andere Male und bei ändern Kranken ergab sich aus dem Zusammenhang der erinnerten Thatsachen, dass das so gefundene Datum unanfechtbar war. Die Kranke bemerkte z. B., nachdem man ihr das durch „Auszählen“ gewonnene Datum vorgehalten hatte: „Das ist ja der Geburtstag des Vaters“ und setzte dann fort: „Ja gewiss, weil es der Geburtstag des Vaters war, habe ich ja das Ereigniss (von dem wir sprachen) erwartet.“

Ich kann dieses Thema hier nur streifen. Der Schluss, den ich aus all diesen Erfahrungen zog, war der, dass die als pathogene wichtigen Erlebnisse mit all ihren Nebenumständen treulich vom Gedächtnis festgehalten werden, auch wo sie vergessen scheinen, wo dem Kranken die Fähigkeit fehlt, sich auf sie zu besinnen.1

1 Ich will als Beispiel für die oben geschilderte Technik des Ausforschens im nicht somnambulen Zustand, also bei nicht erweitertem Bewusstsein, einen Fall erzählen, den ich gerade in den letzten Tagen analysirt habe. Ich behandle eine Frau von 38 Jahren, die an Angstneurose (Agoraphobie, Todesangstanfällen u. dgl.) leidet. Sie hat, wie so viele dieser Kranken, eine Abneigung zuzugestehen, dass sie dieses Leiden in ihrem ehelichen Leben acquirirt hat, und möchte es gerne in ihre frühe Jugend zurückschieben. So berichtet sie mir, dass sie als 17jähriges Mädchen den ersten Anfall von Schwindel mit Angst und Ohnmachtsgefühl auf der Strasse ihrer kleinen Heimathstadt bekommen hat, und dass diese Anfälle sich zeitweise wiederholt haben, bis sie vor wenigen Jahren dem jetzigen Leiden den Platz räumten. Ich vermuthe, dass diese ersten Schwindelanfälle, bei denen sich die Angst immer mehr verwischte, hysterische waren, und beschliesse, in die Analyse derselben einzugehen. Sie weiss zunächst nur, dass dieser erste Anfall sie überfiel, während sie ausgegangen war, in den Läden der Hauptstrasse Einkäufe zu machen. – Was wollten Sie denn einkaufen? – Verschiedenes, ich glaube, für einen Ball, zu dem ich eingeladen war. – Wann sollte dieser Ball stattfinden? – Es kommt mir vor, zwei Tage später. – Da muss doch einige Tage vorher etwas vorgefallen sein, was Sie aufregte, was Ihnen einen Eindruck machte. – Ich weiss aber nichts, es sind 21 Jahre her. – Das macht nichts,
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          <p>Ich kann dieses Thema hier nur streifen. Der Schluss, den ich aus all diesen Erfahrungen zog, war der, dass die als pathogene wichtigen Erlebnisse mit all ihren Nebenumständen treulich vom Gedächtnis festgehalten werden, auch wo sie vergessen scheinen, wo dem Kranken die Fähigkeit fehlt, sich auf sie zu besinnen.<note place="foot" n="1"><p xml:id="p13" next="p14">Ich will als Beispiel für die oben geschilderte Technik des Ausforschens im nicht somnambulen Zustand, also bei nicht erweitertem Bewusstsein, einen Fall erzählen, den ich gerade in den letzten Tagen analysirt habe. Ich behandle eine Frau von 38 Jahren, die an Angstneurose (Agoraphobie, Todesangstanfällen u. dgl.) leidet. Sie hat, wie so viele dieser Kranken, eine Abneigung zuzugestehen, dass sie dieses Leiden in ihrem ehelichen Leben acquirirt hat, und möchte es gerne in ihre frühe Jugend zurückschieben. So berichtet sie mir, dass sie als 17jähriges Mädchen den ersten Anfall von Schwindel mit Angst und Ohnmachtsgefühl auf der Strasse ihrer kleinen Heimathstadt bekommen hat, und dass diese Anfälle sich zeitweise wiederholt haben, bis sie vor wenigen Jahren dem jetzigen Leiden den Platz räumten. Ich vermuthe, dass diese ersten Schwindelanfälle, bei denen sich die Angst immer mehr verwischte, hysterische waren, und beschliesse, in die Analyse derselben einzugehen. Sie weiss zunächst <hi rendition="#g">nur</hi>, dass dieser erste Anfall sie überfiel, während sie ausgegangen war, in den Läden der Hauptstrasse Einkäufe zu machen. &#x2013; Was wollten Sie denn einkaufen? &#x2013; Verschiedenes, ich glaube, für einen Ball, zu dem ich eingeladen war. &#x2013; Wann sollte dieser Ball stattfinden? &#x2013; Es kommt mir vor, zwei Tage später. &#x2013; Da muss doch einige Tage vorher etwas vorgefallen sein, was Sie aufregte, was Ihnen einen Eindruck machte. &#x2013; Ich weiss aber nichts, es sind 21 Jahre her. &#x2013; Das macht nichts, </p></note></p>
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[95/0101] Man sagt also dem Patienten, der sich nicht erinnern kann, in welchem Jahr, Monat und an welchem Tag ein gewisses Ereigniss vorfiel, die Jahreszahlen, um die es sich handeln kann, die zwölf Monatsnamen, die 31 Zahlen der Monatstage vor und versichert ihm, dass bei der richtigen Zahl oder beim richtigen Namen sich seine Augen von selbst öffnen würden, oder dass er dabei fühlen werde, welche Zahl die richtige sei. In den allermeisten Fällen entscheiden sich dann die Kranken wirklich für ein bestimmtes Datum und häufig genug (so bei Frau Cecilie N.) liess sich durch vorhandene Aufzeichnungen aus jener Zeit nachweisen, dass das Datum richtig erkannt war. Andere Male und bei ändern Kranken ergab sich aus dem Zusammenhang der erinnerten Thatsachen, dass das so gefundene Datum unanfechtbar war. Die Kranke bemerkte z. B., nachdem man ihr das durch „Auszählen“ gewonnene Datum vorgehalten hatte: „Das ist ja der Geburtstag des Vaters“ und setzte dann fort: „Ja gewiss, weil es der Geburtstag des Vaters war, habe ich ja das Ereigniss (von dem wir sprachen) erwartet.“ Ich kann dieses Thema hier nur streifen. Der Schluss, den ich aus all diesen Erfahrungen zog, war der, dass die als pathogene wichtigen Erlebnisse mit all ihren Nebenumständen treulich vom Gedächtnis festgehalten werden, auch wo sie vergessen scheinen, wo dem Kranken die Fähigkeit fehlt, sich auf sie zu besinnen. 1 1 Ich will als Beispiel für die oben geschilderte Technik des Ausforschens im nicht somnambulen Zustand, also bei nicht erweitertem Bewusstsein, einen Fall erzählen, den ich gerade in den letzten Tagen analysirt habe. Ich behandle eine Frau von 38 Jahren, die an Angstneurose (Agoraphobie, Todesangstanfällen u. dgl.) leidet. Sie hat, wie so viele dieser Kranken, eine Abneigung zuzugestehen, dass sie dieses Leiden in ihrem ehelichen Leben acquirirt hat, und möchte es gerne in ihre frühe Jugend zurückschieben. So berichtet sie mir, dass sie als 17jähriges Mädchen den ersten Anfall von Schwindel mit Angst und Ohnmachtsgefühl auf der Strasse ihrer kleinen Heimathstadt bekommen hat, und dass diese Anfälle sich zeitweise wiederholt haben, bis sie vor wenigen Jahren dem jetzigen Leiden den Platz räumten. Ich vermuthe, dass diese ersten Schwindelanfälle, bei denen sich die Angst immer mehr verwischte, hysterische waren, und beschliesse, in die Analyse derselben einzugehen. Sie weiss zunächst nur, dass dieser erste Anfall sie überfiel, während sie ausgegangen war, in den Läden der Hauptstrasse Einkäufe zu machen. – Was wollten Sie denn einkaufen? – Verschiedenes, ich glaube, für einen Ball, zu dem ich eingeladen war. – Wann sollte dieser Ball stattfinden? – Es kommt mir vor, zwei Tage später. – Da muss doch einige Tage vorher etwas vorgefallen sein, was Sie aufregte, was Ihnen einen Eindruck machte. – Ich weiss aber nichts, es sind 21 Jahre her. – Das macht nichts,

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/101>, abgerufen am 23.11.2024.