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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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Ich kehre nach dieser langen, aber unabweisbaren Abschweifung zur Geschichte von Miss Lucy R. zurück. Sie wurde also beim Versuch der Hypnose nicht somnambul, sondern lag bloss ruhig da in

Sie werden sich doch erinnern. Ich drücke auf Ihren Kopf, und wenn ich mit dem Druck nachlasse, werden Sie an etwas denken oder werden etwas sehen; das sagen Sie dann ........ Ich nehme die Procedur vor; sie schweigt aber - Nun, ist Ihnen nichts eingefallen? - Ich habe an etwas gedacht, aber das kann doch keinen Zusammenhang damit haben. - Sagen Sie's nur. - Ich habe an eine Freundin gedacht, ein junges Mädchen, die gestorben ist; aber die ist gestorben, wie ich 18 Jahre alt war, also ein Jahr später. - Wir werden sehen, bleiben wir jetzt dabei. Was war mit dieser Freundin? - Ihr Tod hat mich sehr erschüttert, weil ich viel mit ihr verkehrte. Einige Wochen vorher war ein anderes junges Mädchen gestorben, das hat viel Aufsehen in der Stadt gemacht; also dann war es doch, wie ich 17 Jahre alt war. - Sehen Sie, ich habe Ihnen gesagt, man kann sich auf die Dinge verlassen, die einem unter dem Druck der Hand einfallen. Nun aber erinnern Sie sich, was für ein Gedanke war dabei, als Sie den Schwindelanfall auf der Strasse bekamen? - Es war gar kein Gedanke dabei, nur ein Schwindel. - Das ist nicht möglich, solche Zustände gibt es nicht ohne eine begleitende Idee. Ich werde wieder drücken, und der Gedanke von damals wird Ihnen wiederkommen. - Also was ist Ihnen eingefallen? - Mir ist eingefallen: Jetzt bin ich die Dritte. - Was heisst das? - Ich muss bei dem Schwindelanfall gedacht haben: Jetzt sterbe ich auch wie die beiden andern jungen Mädchen. - Das war also die Idee; Sie haben bei dem Anfall an die Freundin gedacht. Da muss Ihnen also ihr Tod einen grossen Eindruck gemacht haben. - Ja gewiss, ich erinnere mich jetzt, wie ich von dem Todesfalle gehört habe, war es mir schrecklich, dass ich auf einen Ball gehen soll, während sie todt ist. Aber ich habe mich so auf den Ball gefreut und war so beschäftigt mit der Einladung; ich habe gar nicht an das traurige Ereigniss denken wollen. (Man bemerke hier die absichtliche Verdrängung aus dem Bewusstsein, welche die Erinnerung an die Freundin pathogen macht.) Der Anfall ist jetzt einigermaassen aufgeklärt, ich bedarf aber noch eines occasionellen Momentes, welches die Erinnerung gerade damals provocirt, und bilde mir darüber eine zufällig glückliche Vermuthung. - Sie erinnern sich genau, durch welche Strasse Sie damals gegangen sind? - Freilich, die Hauptstrasse mit ihren alten Häusern, ich sehe sie vor mir. - Nun, und wo hatte die Freundin gewohnt? - In derselben Strasse, ich war eben vorbeigegangen, zwei Häuser weiter ist mir der Anfall gekommen. - Dann hat Sie also das Haus, während Sie vorbeigingen, an die todte Freundin erinnert und der Contrast, von dem Sie damals nichts wissen wollten, Sie neuerdings gepackt. Ich gebe mich noch immer nicht zufrieden. Vielleicht war doch noch etwas anderes im Spiel, was bei dem bis dahin normalen Mädchen die hysterische Disposition wachgerufen oder verstärkt hat. Meine Vermuthungen lenken sich auf das periodische Unwohlsein als ein dazu geeignetes Moment, und ich frage: Wissen Sie, wann in dem Monat die Periode kam? - Sie wird unwillig: Das soll ich auch noch wissen? Ich weiss nur, sie war um diese Zeit sehr selten und

Ich kehre nach dieser langen, aber unabweisbaren Abschweifung zur Geschichte von Miss Lucy R. zurück. Sie wurde also beim Versuch der Hypnose nicht somnambul, sondern lag bloss ruhig da in

Sie werden sich doch erinnern. Ich drücke auf Ihren Kopf, und wenn ich mit dem Druck nachlasse, werden Sie an etwas denken oder werden etwas sehen; das sagen Sie dann ........ Ich nehme die Procedur vor; sie schweigt aber – Nun, ist Ihnen nichts eingefallen? – Ich habe an etwas gedacht, aber das kann doch keinen Zusammenhang damit haben. – Sagen Sie’s nur. – Ich habe an eine Freundin gedacht, ein junges Mädchen, die gestorben ist; aber die ist gestorben, wie ich 18 Jahre alt war, also ein Jahr später. – Wir werden sehen, bleiben wir jetzt dabei. Was war mit dieser Freundin? – Ihr Tod hat mich sehr erschüttert, weil ich viel mit ihr verkehrte. Einige Wochen vorher war ein anderes junges Mädchen gestorben, das hat viel Aufsehen in der Stadt gemacht; also dann war es doch, wie ich 17 Jahre alt war. – Sehen Sie, ich habe Ihnen gesagt, man kann sich auf die Dinge verlassen, die einem unter dem Druck der Hand einfallen. Nun aber erinnern Sie sich, was für ein Gedanke war dabei, als Sie den Schwindelanfall auf der Strasse bekamen? – Es war gar kein Gedanke dabei, nur ein Schwindel. – Das ist nicht möglich, solche Zustände gibt es nicht ohne eine begleitende Idee. Ich werde wieder drücken, und der Gedanke von damals wird Ihnen wiederkommen. – Also was ist Ihnen eingefallen? – Mir ist eingefallen: Jetzt bin ich die Dritte. – Was heisst das? – Ich muss bei dem Schwindelanfall gedacht haben: Jetzt sterbe ich auch wie die beiden andern jungen Mädchen. – Das war also die Idee; Sie haben bei dem Anfall an die Freundin gedacht. Da muss Ihnen also ihr Tod einen grossen Eindruck gemacht haben. – Ja gewiss, ich erinnere mich jetzt, wie ich von dem Todesfalle gehört habe, war es mir schrecklich, dass ich auf einen Ball gehen soll, während sie todt ist. Aber ich habe mich so auf den Ball gefreut und war so beschäftigt mit der Einladung; ich habe gar nicht an das traurige Ereigniss denken wollen. (Man bemerke hier die absichtliche Verdrängung aus dem Bewusstsein, welche die Erinnerung an die Freundin pathogen macht.) Der Anfall ist jetzt einigermaassen aufgeklärt, ich bedarf aber noch eines occasionellen Momentes, welches die Erinnerung gerade damals provocirt, und bilde mir darüber eine zufällig glückliche Vermuthung. – Sie erinnern sich genau, durch welche Strasse Sie damals gegangen sind? – Freilich, die Hauptstrasse mit ihren alten Häusern, ich sehe sie vor mir. – Nun, und wo hatte die Freundin gewohnt? – In derselben Strasse, ich war eben vorbeigegangen, zwei Häuser weiter ist mir der Anfall gekommen. – Dann hat Sie also das Haus, während Sie vorbeigingen, an die todte Freundin erinnert und der Contrast, von dem Sie damals nichts wissen wollten, Sie neuerdings gepackt. Ich gebe mich noch immer nicht zufrieden. Vielleicht war doch noch etwas anderes im Spiel, was bei dem bis dahin normalen Mädchen die hysterische Disposition wachgerufen oder verstärkt hat. Meine Vermuthungen lenken sich auf das periodische Unwohlsein als ein dazu geeignetes Moment, und ich frage: Wissen Sie, wann in dem Monat die Periode kam? – Sie wird unwillig: Das soll ich auch noch wissen? Ich weiss nur, sie war um diese Zeit sehr selten und
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[96/0102] Ich kehre nach dieser langen, aber unabweisbaren Abschweifung zur Geschichte von Miss Lucy R. zurück. Sie wurde also beim Versuch der Hypnose nicht somnambul, sondern lag bloss ruhig da in Sie werden sich doch erinnern. Ich drücke auf Ihren Kopf, und wenn ich mit dem Druck nachlasse, werden Sie an etwas denken oder werden etwas sehen; das sagen Sie dann ........ Ich nehme die Procedur vor; sie schweigt aber – Nun, ist Ihnen nichts eingefallen? – Ich habe an etwas gedacht, aber das kann doch keinen Zusammenhang damit haben. – Sagen Sie’s nur. – Ich habe an eine Freundin gedacht, ein junges Mädchen, die gestorben ist; aber die ist gestorben, wie ich 18 Jahre alt war, also ein Jahr später. – Wir werden sehen, bleiben wir jetzt dabei. Was war mit dieser Freundin? – Ihr Tod hat mich sehr erschüttert, weil ich viel mit ihr verkehrte. Einige Wochen vorher war ein anderes junges Mädchen gestorben, das hat viel Aufsehen in der Stadt gemacht; also dann war es doch, wie ich 17 Jahre alt war. – Sehen Sie, ich habe Ihnen gesagt, man kann sich auf die Dinge verlassen, die einem unter dem Druck der Hand einfallen. Nun aber erinnern Sie sich, was für ein Gedanke war dabei, als Sie den Schwindelanfall auf der Strasse bekamen? – Es war gar kein Gedanke dabei, nur ein Schwindel. – Das ist nicht möglich, solche Zustände gibt es nicht ohne eine begleitende Idee. Ich werde wieder drücken, und der Gedanke von damals wird Ihnen wiederkommen. – Also was ist Ihnen eingefallen? – Mir ist eingefallen: Jetzt bin ich die Dritte. – Was heisst das? – Ich muss bei dem Schwindelanfall gedacht haben: Jetzt sterbe ich auch wie die beiden andern jungen Mädchen. – Das war also die Idee; Sie haben bei dem Anfall an die Freundin gedacht. Da muss Ihnen also ihr Tod einen grossen Eindruck gemacht haben. – Ja gewiss, ich erinnere mich jetzt, wie ich von dem Todesfalle gehört habe, war es mir schrecklich, dass ich auf einen Ball gehen soll, während sie todt ist. Aber ich habe mich so auf den Ball gefreut und war so beschäftigt mit der Einladung; ich habe gar nicht an das traurige Ereigniss denken wollen. (Man bemerke hier die absichtliche Verdrängung aus dem Bewusstsein, welche die Erinnerung an die Freundin pathogen macht.) Der Anfall ist jetzt einigermaassen aufgeklärt, ich bedarf aber noch eines occasionellen Momentes, welches die Erinnerung gerade damals provocirt, und bilde mir darüber eine zufällig glückliche Vermuthung. – Sie erinnern sich genau, durch welche Strasse Sie damals gegangen sind? – Freilich, die Hauptstrasse mit ihren alten Häusern, ich sehe sie vor mir. – Nun, und wo hatte die Freundin gewohnt? – In derselben Strasse, ich war eben vorbeigegangen, zwei Häuser weiter ist mir der Anfall gekommen. – Dann hat Sie also das Haus, während Sie vorbeigingen, an die todte Freundin erinnert und der Contrast, von dem Sie damals nichts wissen wollten, Sie neuerdings gepackt. Ich gebe mich noch immer nicht zufrieden. Vielleicht war doch noch etwas anderes im Spiel, was bei dem bis dahin normalen Mädchen die hysterische Disposition wachgerufen oder verstärkt hat. Meine Vermuthungen lenken sich auf das periodische Unwohlsein als ein dazu geeignetes Moment, und ich frage: Wissen Sie, wann in dem Monat die Periode kam? – Sie wird unwillig: Das soll ich auch noch wissen? Ich weiss nur, sie war um diese Zeit sehr selten und

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/102>, abgerufen am 23.11.2024.