Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.coitirenden Paares stellte sie sofort die Verbindung des neuen Eindrucks mit diesen beiden Reihen von Reminiscenzen her, begann zu verstehen und gleichzeitig abzuwehren. Dann folgte eine kurze Periode der Ausarbeitung, "der Incubation", und darauf stellten sich die Symptome der Conversion, das Erbrechen, als Ersatz für den moralischen und physischen Ekel ein. Das Räthsel war damit gelöst, sie hatte sich nicht vor dem Anblick der Beiden geekelt, sondern vor einer Erinnerung, die ihr jener Anblick geweckt hatte, und alles erwogen, konnte dies nur die Erinnerung an den nächtlichen Ueberfall sein, als sie "den Körper des Onkels spürte". Ich sagte ihr also, nachdem sie ihre Beichte beendigt hatte: "Jetzt weiss ich schon, was Sie sich damals gedacht haben, wie Sie in's Zimmer hineingeschaut haben. Sie haben sich gedacht: jetzt thut er mit ihr, was er damals bei Nacht und die anderen Male mit mir hat thun wollen. Davor haben Sie sich geekelt, weil Sie sich an die Empfindung erinnert haben, wie Sie in der Nacht aufgewacht sind und seinen Körper gespürt haben." Sie antwortet: "Das kann schon sein, dass ich mich davor geekelt, und dass ich damals das gedacht hab'." "Sagen Sie mir einmal genau, Sie sind ja jetzt ein erwachsenes Mädchen und wissen allerlei -" "Ja jetzt, freilich." "Sagen Sie mir genau, was haben Sie denn in der Nacht eigentlich von seinem Körper verspürt?" Sie gibt aber keine bestimmtere Antwort, sie lächelt verlegen und wie überführt, wie einer, der zugeben muss, dass man jetzt auf den Grund der Dinge gekommen ist, über den sich nicht mehr viel sagen lässt. Ich kann mir denken, welches die Tastempfindung war, die sie später deuten gelernt hat; ihre Miene scheint mir auch zu sagen, dass sie von mir voraussetzt, ich denke mir das Richtige, aber ich kann nicht weiter in sie dringen; ich bin ihr ohnehin Dank dafür schuldig, dass sie soviel leichter mit sich reden lässt als die prüden Damen in meiner Stadtpraxis, für die alle naturalia turpia sind. Somit wäre der Fall geklärt; aber halt, die im Anfall wiederkehrende Hallucination des Kopfes, der ihr Schrecken einjagt, woher kommt die? Ich frage sie jetzt darnach. Als hätte auch sie in diesem Gespräch ihr Verständniss erweitert, antwortet sie prompt: "Ja, das weiss ich jetzt schon, der Kopf ist der Kopf vom Onkel, ich erkenn's jetzt, aber nicht aus der Zeit. Später, wie dann alle die Streitigkeiten coitirenden Paares stellte sie sofort die Verbindung des neuen Eindrucks mit diesen beiden Reihen von Reminiscenzen her, begann zu verstehen und gleichzeitig abzuwehren. Dann folgte eine kurze Periode der Ausarbeitung, „der Incubation“, und darauf stellten sich die Symptome der Conversion, das Erbrechen, als Ersatz für den moralischen und physischen Ekel ein. Das Räthsel war damit gelöst, sie hatte sich nicht vor dem Anblick der Beiden geekelt, sondern vor einer Erinnerung, die ihr jener Anblick geweckt hatte, und alles erwogen, konnte dies nur die Erinnerung an den nächtlichen Ueberfall sein, als sie „den Körper des Onkels spürte“. Ich sagte ihr also, nachdem sie ihre Beichte beendigt hatte: „Jetzt weiss ich schon, was Sie sich damals gedacht haben, wie Sie in’s Zimmer hineingeschaut haben. Sie haben sich gedacht: jetzt thut er mit ihr, was er damals bei Nacht und die anderen Male mit mir hat thun wollen. Davor haben Sie sich geekelt, weil Sie sich an die Empfindung erinnert haben, wie Sie in der Nacht aufgewacht sind und seinen Körper gespürt haben.“ Sie antwortet: „Das kann schon sein, dass ich mich davor geekelt, und dass ich damals das gedacht hab’.“ „Sagen Sie mir einmal genau, Sie sind ja jetzt ein erwachsenes Mädchen und wissen allerlei –“ „Ja jetzt, freilich.“ „Sagen Sie mir genau, was haben Sie denn in der Nacht eigentlich von seinem Körper verspürt?“ Sie gibt aber keine bestimmtere Antwort, sie lächelt verlegen und wie überführt, wie einer, der zugeben muss, dass man jetzt auf den Grund der Dinge gekommen ist, über den sich nicht mehr viel sagen lässt. Ich kann mir denken, welches die Tastempfindung war, die sie später deuten gelernt hat; ihre Miene scheint mir auch zu sagen, dass sie von mir voraussetzt, ich denke mir das Richtige, aber ich kann nicht weiter in sie dringen; ich bin ihr ohnehin Dank dafür schuldig, dass sie soviel leichter mit sich reden lässt als die prüden Damen in meiner Stadtpraxis, für die alle naturalia turpia sind. Somit wäre der Fall geklärt; aber halt, die im Anfall wiederkehrende Hallucination des Kopfes, der ihr Schrecken einjagt, woher kommt die? Ich frage sie jetzt darnach. Als hätte auch sie in diesem Gespräch ihr Verständniss erweitert, antwortet sie prompt: „Ja, das weiss ich jetzt schon, der Kopf ist der Kopf vom Onkel, ich erkenn’s jetzt, aber nicht aus der Zeit. Später, wie dann alle die Streitigkeiten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0119" n="113"/> coitirenden Paares stellte sie sofort die Verbindung des neuen Eindrucks mit diesen beiden Reihen von Reminiscenzen her, begann zu verstehen und gleichzeitig abzuwehren. Dann folgte eine kurze Periode der Ausarbeitung, „der Incubation“, und darauf stellten sich die Symptome der Conversion, das Erbrechen, als Ersatz für den moralischen und physischen Ekel ein. Das Räthsel war damit gelöst, sie hatte sich nicht vor dem Anblick der Beiden geekelt, sondern vor einer Erinnerung, die ihr jener Anblick geweckt hatte, und alles erwogen, konnte dies nur die Erinnerung an den nächtlichen Ueberfall sein, als sie „den Körper des Onkels spürte“.</p> <p>Ich sagte ihr also, nachdem sie ihre Beichte beendigt hatte: „Jetzt weiss ich schon, was Sie sich damals gedacht haben, wie Sie in’s Zimmer hineingeschaut haben. Sie haben sich gedacht: jetzt thut er mit ihr, was er damals bei Nacht und die anderen Male mit mir hat thun wollen. Davor haben Sie sich geekelt, weil Sie sich an die Empfindung erinnert haben, wie Sie in der Nacht aufgewacht sind und seinen Körper gespürt haben.“</p> <p>Sie antwortet: „Das kann schon sein, dass ich mich davor geekelt, und dass ich damals das gedacht hab’.“</p> <p>„Sagen Sie mir einmal genau, Sie sind ja jetzt ein erwachsenes Mädchen und wissen allerlei –“</p> <p>„Ja jetzt, freilich.“</p> <p>„Sagen Sie mir genau, was haben Sie denn in der Nacht eigentlich von seinem Körper verspürt?“</p> <p>Sie gibt aber keine bestimmtere Antwort, sie lächelt verlegen und wie überführt, wie einer, der zugeben muss, dass man jetzt auf den Grund der Dinge gekommen ist, über den sich nicht mehr viel sagen lässt. Ich kann mir denken, welches die Tastempfindung war, die sie später deuten gelernt hat; ihre Miene scheint mir auch zu sagen, dass sie von mir voraussetzt, ich denke mir das Richtige, aber ich kann nicht weiter in sie dringen; ich bin ihr ohnehin Dank dafür schuldig, dass sie soviel leichter mit sich reden lässt als die prüden Damen in meiner Stadtpraxis, für die alle naturalia turpia sind.</p> <p>Somit wäre der Fall geklärt; aber halt, die im Anfall wiederkehrende Hallucination des Kopfes, der ihr Schrecken einjagt, woher kommt die? Ich frage sie jetzt darnach. Als hätte auch sie in diesem Gespräch ihr Verständniss erweitert, antwortet sie prompt: „Ja, das weiss ich jetzt schon, der Kopf ist der Kopf vom Onkel, ich erkenn’s jetzt, aber nicht aus der Zeit. Später, wie dann alle die Streitigkeiten </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [113/0119]
coitirenden Paares stellte sie sofort die Verbindung des neuen Eindrucks mit diesen beiden Reihen von Reminiscenzen her, begann zu verstehen und gleichzeitig abzuwehren. Dann folgte eine kurze Periode der Ausarbeitung, „der Incubation“, und darauf stellten sich die Symptome der Conversion, das Erbrechen, als Ersatz für den moralischen und physischen Ekel ein. Das Räthsel war damit gelöst, sie hatte sich nicht vor dem Anblick der Beiden geekelt, sondern vor einer Erinnerung, die ihr jener Anblick geweckt hatte, und alles erwogen, konnte dies nur die Erinnerung an den nächtlichen Ueberfall sein, als sie „den Körper des Onkels spürte“.
Ich sagte ihr also, nachdem sie ihre Beichte beendigt hatte: „Jetzt weiss ich schon, was Sie sich damals gedacht haben, wie Sie in’s Zimmer hineingeschaut haben. Sie haben sich gedacht: jetzt thut er mit ihr, was er damals bei Nacht und die anderen Male mit mir hat thun wollen. Davor haben Sie sich geekelt, weil Sie sich an die Empfindung erinnert haben, wie Sie in der Nacht aufgewacht sind und seinen Körper gespürt haben.“
Sie antwortet: „Das kann schon sein, dass ich mich davor geekelt, und dass ich damals das gedacht hab’.“
„Sagen Sie mir einmal genau, Sie sind ja jetzt ein erwachsenes Mädchen und wissen allerlei –“
„Ja jetzt, freilich.“
„Sagen Sie mir genau, was haben Sie denn in der Nacht eigentlich von seinem Körper verspürt?“
Sie gibt aber keine bestimmtere Antwort, sie lächelt verlegen und wie überführt, wie einer, der zugeben muss, dass man jetzt auf den Grund der Dinge gekommen ist, über den sich nicht mehr viel sagen lässt. Ich kann mir denken, welches die Tastempfindung war, die sie später deuten gelernt hat; ihre Miene scheint mir auch zu sagen, dass sie von mir voraussetzt, ich denke mir das Richtige, aber ich kann nicht weiter in sie dringen; ich bin ihr ohnehin Dank dafür schuldig, dass sie soviel leichter mit sich reden lässt als die prüden Damen in meiner Stadtpraxis, für die alle naturalia turpia sind.
Somit wäre der Fall geklärt; aber halt, die im Anfall wiederkehrende Hallucination des Kopfes, der ihr Schrecken einjagt, woher kommt die? Ich frage sie jetzt darnach. Als hätte auch sie in diesem Gespräch ihr Verständniss erweitert, antwortet sie prompt: „Ja, das weiss ich jetzt schon, der Kopf ist der Kopf vom Onkel, ich erkenn’s jetzt, aber nicht aus der Zeit. Später, wie dann alle die Streitigkeiten
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