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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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sowohl körperlich als geistig, indem recht wenig, eigentlich nur eingreifendere Erlebnisse, krankhaft zu psychischen Reizen verarbeitet wurde. Ich hoffte eine fortlaufend zunehmende Besserung, wenn durch regelmässige Aussprache die dauernde Belastung ihrer Psyche mit neuen Reizen verhindert wurde. Zunächst wurde ich enttäuscht. Im December verschlimmerte sich ihr psychischer Zustand wesentlich, sie war wieder aufgeregt, traurig verstimmt, reizbar und hatte kaum mehr "ganz gute Tage", auch wenn nichts Nachweisbares in ihr "steckte". Ende December, in der Weihnachtszeit, war sie besonders unruhig und erzählte dann durch die ganze Woche Abends nichts Neues, sondern die Phantasmen, die sie unter der Herrschaft starker Angstaffecte in der Festzeit 1880 Tag für Tag ausgearbeitet hatte. Nach Beendigung der Serie grosse Erleichterung.

Es hatte sich nun gejährt, dass sie vom Vater getrennt, bettlägerig geworden war, und von da an klärte und systemisirte sich der Zustand in sehr eigenthümlicher Weise. Die beiden Bewusstseinszustände, die alternirend bestanden, immer so, dass vom Morgen an mit vorschreitendem Tage die Absencen, d. h. das Auftreten der condition seconde immer häufiger ward und Nachts nur diese allein bestand, - die beiden Zustände differirten nicht bloss wie früher darin, dass sie in dem einen (ersten) normal und im zweiten alienirt war, sondern sie lebte im ersten wie wir andern im Winter 81-82; im zweiten Zustand aber im Winter 80-81 und alles später Vorgefallene war darin völlig vergessen. Nur das Bewusstsein davon, dass der Vater gestorben sei, schien meist doch zu bestehen. Die Rückversetzung in das vorhergegangene Jahr geschah so intensiv, dass sie in der neuen Wohnung ihr früheres Zimmer hallucinirte und, wenn sie zur Thüre gehen wollte, an den Ofen anrannte, der nun zum Fenster so stand wie in der alten Wohnung die Zimmerthüre. Der Umschlag aus einem Zustand in den andern erfolgte spontan, konnte aber mit der grössten Leichtigkeit hervorgerufen werden durch irgend einen Sinneseindruck, der lebhaft an das frühere Jahr erinnerte. Es genügte, ihr eine Orange vorzuhalten, (ihre Hauptnahrung während der ersten Zeit ihrer Erkrankung), um sie aus dem Jahr 1882 ins Jahr 1881 hinüberzuwerfen. Diese Rückversetzung in vergangene Zeit erfolgte aber nicht in allgemeiner und unbestimmter Weise, sondern sie durchlebte Tag für Tag den vorhergegangenen Winter. Ich hätte das nur vermuthen können, wenn sie nicht täglich in der Abendhypnose sich das abgesprochen hätte, was 1881 an diesem Tag sie erregt hatte, und

sowohl körperlich als geistig, indem recht wenig, eigentlich nur eingreifendere Erlebnisse, krankhaft zu psychischen Reizen verarbeitet wurde. Ich hoffte eine fortlaufend zunehmende Besserung, wenn durch regelmässige Aussprache die dauernde Belastung ihrer Psyche mit neuen Reizen verhindert wurde. Zunächst wurde ich enttäuscht. Im December verschlimmerte sich ihr psychischer Zustand wesentlich, sie war wieder aufgeregt, traurig verstimmt, reizbar und hatte kaum mehr „ganz gute Tage“, auch wenn nichts Nachweisbares in ihr „steckte“. Ende December, in der Weihnachtszeit, war sie besonders unruhig und erzählte dann durch die ganze Woche Abends nichts Neues, sondern die Phantasmen, die sie unter der Herrschaft starker Angstaffecte in der Festzeit 1880 Tag für Tag ausgearbeitet hatte. Nach Beendigung der Serie grosse Erleichterung.

Es hatte sich nun gejährt, dass sie vom Vater getrennt, bettlägerig geworden war, und von da an klärte und systemisirte sich der Zustand in sehr eigenthümlicher Weise. Die beiden Bewusstseinszustände, die alternirend bestanden, immer so, dass vom Morgen an mit vorschreitendem Tage die Absencen, d. h. das Auftreten der condition seconde immer häufiger ward und Nachts nur diese allein bestand, – die beiden Zustände differirten nicht bloss wie früher darin, dass sie in dem einen (ersten) normal und im zweiten alienirt war, sondern sie lebte im ersten wie wir andern im Winter 81–82; im zweiten Zustand aber im Winter 80–81 und alles später Vorgefallene war darin völlig vergessen. Nur das Bewusstsein davon, dass der Vater gestorben sei, schien meist doch zu bestehen. Die Rückversetzung in das vorhergegangene Jahr geschah so intensiv, dass sie in der neuen Wohnung ihr früheres Zimmer hallucinirte und, wenn sie zur Thüre gehen wollte, an den Ofen anrannte, der nun zum Fenster so stand wie in der alten Wohnung die Zimmerthüre. Der Umschlag aus einem Zustand in den andern erfolgte spontan, konnte aber mit der grössten Leichtigkeit hervorgerufen werden durch irgend einen Sinneseindruck, der lebhaft an das frühere Jahr erinnerte. Es genügte, ihr eine Orange vorzuhalten, (ihre Hauptnahrung während der ersten Zeit ihrer Erkrankung), um sie aus dem Jahr 1882 ins Jahr 1881 hinüberzuwerfen. Diese Rückversetzung in vergangene Zeit erfolgte aber nicht in allgemeiner und unbestimmter Weise, sondern sie durchlebte Tag für Tag den vorhergegangenen Winter. Ich hätte das nur vermuthen können, wenn sie nicht täglich in der Abendhypnose sich das abgesprochen hätte, was 1881 an diesem Tag sie erregt hatte, und

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[25/0031] sowohl körperlich als geistig, indem recht wenig, eigentlich nur eingreifendere Erlebnisse, krankhaft zu psychischen Reizen verarbeitet wurde. Ich hoffte eine fortlaufend zunehmende Besserung, wenn durch regelmässige Aussprache die dauernde Belastung ihrer Psyche mit neuen Reizen verhindert wurde. Zunächst wurde ich enttäuscht. Im December verschlimmerte sich ihr psychischer Zustand wesentlich, sie war wieder aufgeregt, traurig verstimmt, reizbar und hatte kaum mehr „ganz gute Tage“, auch wenn nichts Nachweisbares in ihr „steckte“. Ende December, in der Weihnachtszeit, war sie besonders unruhig und erzählte dann durch die ganze Woche Abends nichts Neues, sondern die Phantasmen, die sie unter der Herrschaft starker Angstaffecte in der Festzeit 1880 Tag für Tag ausgearbeitet hatte. Nach Beendigung der Serie grosse Erleichterung. Es hatte sich nun gejährt, dass sie vom Vater getrennt, bettlägerig geworden war, und von da an klärte und systemisirte sich der Zustand in sehr eigenthümlicher Weise. Die beiden Bewusstseinszustände, die alternirend bestanden, immer so, dass vom Morgen an mit vorschreitendem Tage die Absencen, d. h. das Auftreten der condition seconde immer häufiger ward und Nachts nur diese allein bestand, – die beiden Zustände differirten nicht bloss wie früher darin, dass sie in dem einen (ersten) normal und im zweiten alienirt war, sondern sie lebte im ersten wie wir andern im Winter 81–82; im zweiten Zustand aber im Winter 80–81 und alles später Vorgefallene war darin völlig vergessen. Nur das Bewusstsein davon, dass der Vater gestorben sei, schien meist doch zu bestehen. Die Rückversetzung in das vorhergegangene Jahr geschah so intensiv, dass sie in der neuen Wohnung ihr früheres Zimmer hallucinirte und, wenn sie zur Thüre gehen wollte, an den Ofen anrannte, der nun zum Fenster so stand wie in der alten Wohnung die Zimmerthüre. Der Umschlag aus einem Zustand in den andern erfolgte spontan, konnte aber mit der grössten Leichtigkeit hervorgerufen werden durch irgend einen Sinneseindruck, der lebhaft an das frühere Jahr erinnerte. Es genügte, ihr eine Orange vorzuhalten, (ihre Hauptnahrung während der ersten Zeit ihrer Erkrankung), um sie aus dem Jahr 1882 ins Jahr 1881 hinüberzuwerfen. Diese Rückversetzung in vergangene Zeit erfolgte aber nicht in allgemeiner und unbestimmter Weise, sondern sie durchlebte Tag für Tag den vorhergegangenen Winter. Ich hätte das nur vermuthen können, wenn sie nicht täglich in der Abendhypnose sich das abgesprochen hätte, was 1881 an diesem Tag sie erregt hatte, und

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/31>, abgerufen am 21.11.2024.