Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.den sie im Winter in D. . . gehabt. Ein Kellner des Gasthofs, in dem sie wohnte, hatte sich in ihrem Zimmer versteckt; sie habe das Ding in der Dunkelheit für einen Paletot gehalten, hingegriffen, und da sei der Mann plötzlich "in die Höhe geschossen". Ich nehme ihr dieses Erinnerungsbild ab, und wirklich stottert sie von da an in der Hypnose wie im Wachen kaum merklich. Ich weiss nicht mehr, was mich bewog, hier die Probe auf den Erfolg zu versuchen. Als ich am Abend wiederkam, fragte ich sie anscheinend ganz harmlos, wie ich es denn machen solle, um bei meinem Weggehen, wenn sie im Schlafe liege, die Thüre so zu verschliessen, dass sich niemand hereinschleichen könne. Zu meinem Erstaunen erschrak sie heftig, begann mit Zähneknirschen und Händereiben, deutete an, sie habe einen heftigen Schreck in dieser Art in D. . . gehabt, war aber nicht zu bewegen, die Geschichte zu erzählen. Ich merkte, dass sie dieselbe Geschichte meine, die sie vormittags in der Hypnose erzählt, und die ich doch verwischt zu haben meinte. In der nächsten Hypnose erzählte sie nun ausführlicher und wahrheitsgetreuer. Sie war in ihrer Erregung am Abend auf dem Gange hin und her gegangen, fand die Thür zum Zimmer ihrer Kammerfrau offen und wollte eintreten, um sich dort niederzusetzen. Die Kammerfrau vertrat ihr den Weg, sie liess sich aber nicht abhalten, trat dennoch ein und bemerkte dann jenes dunkle Ding an der Wand, das sich als ein Mann erwies. Offenbar war es das erotische Moment dieses kleinen Abenteuers gewesen, was sie zu einer ungetreuen Darstellung veranlasst hatte. Ich hatte aber erfahren, dass eine unvollständige Erzählung in der Hypnose keinen Heileffect hat, gewöhnte mich, eine Erzählung für unvollständig zu halten, wenn sie keinen Nutzen brachte, und lernte es allmählich den Kranken an der Miene abzusehen, ob sie mir nicht ein wesentliches Stück der Beichte verschwiegen hätten. Die Arbeit, die ich diesmal mit ihr vorzunehmen hatte, bestand in der hypnotischen Erledigung der unangenehmen Eindrücke, die sie während der Cur ihrer Tochter und während des eigenen Aufenthaltes in jener Anstalt in sich aufgenommen hatte. Sie war voll unterdrückter Wuth gegen den Arzt, der sie genöthigt hatte, in der Hypnose K..r..ö..t..e zu buchstabiren, und nahm mir das Versprechen ab, dieses Wort ihr niemals zuzumuthen. Ich erlaubte mir hier einen suggestiven Scherz, den einzigen, übrigens ziemlich harmlosen Missbrauch der Hypnose, dessen ich mich bei dieser Patientin anzuklagen habe. Ich versicherte ihr, der Aufenthalt in ***thal würde ihr so sehr in die Ferne entrückt sein, dass sie sich nicht einmal auf den Namen den sie im Winter in D. . . gehabt. Ein Kellner des Gasthofs, in dem sie wohnte, hatte sich in ihrem Zimmer versteckt; sie habe das Ding in der Dunkelheit für einen Paletot gehalten, hingegriffen, und da sei der Mann plötzlich „in die Höhe geschossen“. Ich nehme ihr dieses Erinnerungsbild ab, und wirklich stottert sie von da an in der Hypnose wie im Wachen kaum merklich. Ich weiss nicht mehr, was mich bewog, hier die Probe auf den Erfolg zu versuchen. Als ich am Abend wiederkam, fragte ich sie anscheinend ganz harmlos, wie ich es denn machen solle, um bei meinem Weggehen, wenn sie im Schlafe liege, die Thüre so zu verschliessen, dass sich niemand hereinschleichen könne. Zu meinem Erstaunen erschrak sie heftig, begann mit Zähneknirschen und Händereiben, deutete an, sie habe einen heftigen Schreck in dieser Art in D. . . gehabt, war aber nicht zu bewegen, die Geschichte zu erzählen. Ich merkte, dass sie dieselbe Geschichte meine, die sie vormittags in der Hypnose erzählt, und die ich doch verwischt zu haben meinte. In der nächsten Hypnose erzählte sie nun ausführlicher und wahrheitsgetreuer. Sie war in ihrer Erregung am Abend auf dem Gange hin und her gegangen, fand die Thür zum Zimmer ihrer Kammerfrau offen und wollte eintreten, um sich dort niederzusetzen. Die Kammerfrau vertrat ihr den Weg, sie liess sich aber nicht abhalten, trat dennoch ein und bemerkte dann jenes dunkle Ding an der Wand, das sich als ein Mann erwies. Offenbar war es das erotische Moment dieses kleinen Abenteuers gewesen, was sie zu einer ungetreuen Darstellung veranlasst hatte. Ich hatte aber erfahren, dass eine unvollständige Erzählung in der Hypnose keinen Heileffect hat, gewöhnte mich, eine Erzählung für unvollständig zu halten, wenn sie keinen Nutzen brachte, und lernte es allmählich den Kranken an der Miene abzusehen, ob sie mir nicht ein wesentliches Stück der Beichte verschwiegen hätten. Die Arbeit, die ich diesmal mit ihr vorzunehmen hatte, bestand in der hypnotischen Erledigung der unangenehmen Eindrücke, die sie während der Cur ihrer Tochter und während des eigenen Aufenthaltes in jener Anstalt in sich aufgenommen hatte. Sie war voll unterdrückter Wuth gegen den Arzt, der sie genöthigt hatte, in der Hypnose K..r..ö..t..e zu buchstabiren, und nahm mir das Versprechen ab, dieses Wort ihr niemals zuzumuthen. Ich erlaubte mir hier einen suggestiven Scherz, den einzigen, übrigens ziemlich harmlosen Missbrauch der Hypnose, dessen ich mich bei dieser Patientin anzuklagen habe. Ich versicherte ihr, der Aufenthalt in ***thal würde ihr so sehr in die Ferne entrückt sein, dass sie sich nicht einmal auf den Namen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0072" n="66"/> den sie im Winter in D. . . gehabt. Ein Kellner des Gasthofs, in dem sie wohnte, hatte sich in ihrem Zimmer versteckt; sie habe das Ding in der Dunkelheit für einen Paletot gehalten, hingegriffen, und da sei der Mann plötzlich „in die Höhe geschossen“. Ich nehme ihr dieses Erinnerungsbild ab, und wirklich stottert sie von da an in der Hypnose wie im Wachen kaum merklich. Ich weiss nicht mehr, was mich bewog, hier die Probe auf den Erfolg zu versuchen. Als ich am Abend wiederkam, fragte ich sie anscheinend ganz harmlos, wie ich es denn machen solle, um bei meinem Weggehen, wenn sie im Schlafe liege, die Thüre so zu verschliessen, dass sich niemand hereinschleichen könne. Zu meinem Erstaunen erschrak sie heftig, begann mit Zähneknirschen und Händereiben, deutete an, sie habe einen heftigen Schreck in dieser Art in D. . . gehabt, war aber nicht zu bewegen, die Geschichte zu erzählen. Ich merkte, dass sie dieselbe Geschichte meine, die sie vormittags in der Hypnose erzählt, und die ich doch verwischt zu haben meinte. In der nächsten Hypnose erzählte sie nun ausführlicher und wahrheitsgetreuer. Sie war in ihrer Erregung am Abend auf dem Gange hin und her gegangen, fand die Thür zum Zimmer ihrer Kammerfrau offen und wollte eintreten, um sich dort niederzusetzen. Die Kammerfrau vertrat ihr den Weg, sie liess sich aber nicht abhalten, trat dennoch ein und bemerkte dann jenes dunkle Ding an der Wand, das sich als ein Mann erwies. Offenbar war es das erotische Moment dieses kleinen Abenteuers gewesen, was sie zu einer ungetreuen Darstellung veranlasst hatte. Ich hatte aber erfahren, dass eine unvollständige Erzählung in der Hypnose keinen Heileffect hat, gewöhnte mich, eine Erzählung für unvollständig zu halten, wenn sie keinen Nutzen brachte, und lernte es allmählich den Kranken an der Miene abzusehen, ob sie mir nicht ein wesentliches Stück der Beichte verschwiegen hätten.</p> <p>Die Arbeit, die ich diesmal mit ihr vorzunehmen hatte, bestand in der hypnotischen Erledigung der unangenehmen Eindrücke, die sie während der Cur ihrer Tochter und während des eigenen Aufenthaltes in jener Anstalt in sich aufgenommen hatte. Sie war voll unterdrückter Wuth gegen den Arzt, der sie genöthigt hatte, in der Hypnose K..r..ö..t..e zu buchstabiren, und nahm mir das Versprechen ab, dieses Wort ihr niemals zuzumuthen. Ich erlaubte mir hier einen suggestiven Scherz, den einzigen, übrigens ziemlich harmlosen Missbrauch der Hypnose, dessen ich mich bei dieser Patientin anzuklagen habe. Ich versicherte ihr, der Aufenthalt in ***thal würde ihr so sehr in die Ferne entrückt sein, dass sie sich nicht einmal auf den Namen </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0072]
den sie im Winter in D. . . gehabt. Ein Kellner des Gasthofs, in dem sie wohnte, hatte sich in ihrem Zimmer versteckt; sie habe das Ding in der Dunkelheit für einen Paletot gehalten, hingegriffen, und da sei der Mann plötzlich „in die Höhe geschossen“. Ich nehme ihr dieses Erinnerungsbild ab, und wirklich stottert sie von da an in der Hypnose wie im Wachen kaum merklich. Ich weiss nicht mehr, was mich bewog, hier die Probe auf den Erfolg zu versuchen. Als ich am Abend wiederkam, fragte ich sie anscheinend ganz harmlos, wie ich es denn machen solle, um bei meinem Weggehen, wenn sie im Schlafe liege, die Thüre so zu verschliessen, dass sich niemand hereinschleichen könne. Zu meinem Erstaunen erschrak sie heftig, begann mit Zähneknirschen und Händereiben, deutete an, sie habe einen heftigen Schreck in dieser Art in D. . . gehabt, war aber nicht zu bewegen, die Geschichte zu erzählen. Ich merkte, dass sie dieselbe Geschichte meine, die sie vormittags in der Hypnose erzählt, und die ich doch verwischt zu haben meinte. In der nächsten Hypnose erzählte sie nun ausführlicher und wahrheitsgetreuer. Sie war in ihrer Erregung am Abend auf dem Gange hin und her gegangen, fand die Thür zum Zimmer ihrer Kammerfrau offen und wollte eintreten, um sich dort niederzusetzen. Die Kammerfrau vertrat ihr den Weg, sie liess sich aber nicht abhalten, trat dennoch ein und bemerkte dann jenes dunkle Ding an der Wand, das sich als ein Mann erwies. Offenbar war es das erotische Moment dieses kleinen Abenteuers gewesen, was sie zu einer ungetreuen Darstellung veranlasst hatte. Ich hatte aber erfahren, dass eine unvollständige Erzählung in der Hypnose keinen Heileffect hat, gewöhnte mich, eine Erzählung für unvollständig zu halten, wenn sie keinen Nutzen brachte, und lernte es allmählich den Kranken an der Miene abzusehen, ob sie mir nicht ein wesentliches Stück der Beichte verschwiegen hätten.
Die Arbeit, die ich diesmal mit ihr vorzunehmen hatte, bestand in der hypnotischen Erledigung der unangenehmen Eindrücke, die sie während der Cur ihrer Tochter und während des eigenen Aufenthaltes in jener Anstalt in sich aufgenommen hatte. Sie war voll unterdrückter Wuth gegen den Arzt, der sie genöthigt hatte, in der Hypnose K..r..ö..t..e zu buchstabiren, und nahm mir das Versprechen ab, dieses Wort ihr niemals zuzumuthen. Ich erlaubte mir hier einen suggestiven Scherz, den einzigen, übrigens ziemlich harmlosen Missbrauch der Hypnose, dessen ich mich bei dieser Patientin anzuklagen habe. Ich versicherte ihr, der Aufenthalt in ***thal würde ihr so sehr in die Ferne entrückt sein, dass sie sich nicht einmal auf den Namen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |