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Freudenberg, Ika: Ein Manifest gegen das Frauenstimmrecht. In: Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit. Heft 16 (1908), S. 18–25.

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Ein Manifest gegen das Frauenstimmrecht.

Das Manifest glaubt, Erziehung und common sense werde genügen, den Frauen
einen ausreichenden "legitimen" Einfluß in politischen Dingen zu sichern. Auch hier
führt der Jdealismus der Verfasserin das Wort, der darauf vertraut, daß das Gute
und Vernünftige sich von selbst, durch das Gewicht seiner guten Gründe, durchsetze.
Die ganze jahrzehntelange, bittere Erfahrung der Frauenbewegung gibt ihr hierin Unrecht.
Warum ist eine Organisation der Frauen nötig gewesen? warum gründet Mrs. Ward
jetzt selbst eine Liga, um England vor Unglück und Revolution zu schützen? Weil es
eben nicht genügt, diese Jdeen, um die es sich hier handelt, der Menschheit nur recht
eindringlich vorzuführen und zu empfehlen, wie man neue Erfindungen auf Markt und
Straßen empfiehlt; weil eine Macht dahinter stehen muß, ein geeinter starker Wille,
der die entgegenstehenden, oft tiefgewurzelten Widerstände zu überwinden vermag. Das
öffentliche Leben ist ein einziger gewaltiger Kampf der Jnteressen, niederer und höherer;
kein Sieg der einen, für den nicht andere bluten müssen. Wenn aber etwas eine Ge-
währ dafür bietet, daß es mit der Zeit auf diesem Kampfplatze unblutiger zugehen
wird, so ist es die Aussicht, daß immer mehr und mehr alle Bedürfnisse und Nöte
eines Volkes rechtzeitig und in sachverständiger Weise dargelegt werden. Mrs. Ward
beruft sich darauf, daß die Schutzgesetze für arbeitende Frauen und Kinder auch ohne
Frauenstimmrecht zustande gekommen sind -- ja, nachdem Generationen am
Mangel jeder Einschränkung der industriellen Gewinnsucht zugrunde gegangen waren!
und weil endlich der Rückgang an tauglichem Rekrutenmaterial den Staat aus seinem
laissez faire unsanft aufrüttelte und ihn antrieb, um seines eigenen Vorteils willen

Diese Vereine umfaßten Arbeiter und Arbeiterinnen. Es waren industrielle, pädagogische, philanthropische,
religiöse und ethische Vereine. Jhre Zahl vermehrte sich im Jahre 1906 bis auf fast 500. Jm Jahre
1907 wurde von der Präsidentin des bedeutendsten Frauen-college zum Andenken an Susan B. Anthony
ein Fonds von 60 000 Dollars (ca. 240 000 Mark) zur Förderung des Frauenstimmrechts gesammelt
und 25 000 Dollars wurden zu dem gleichen Zweck einem anderen Fonds überwiesen. Das zeigt doch
sicherlich keinen Niedergang des Jnteresses für das Frauenstimmrecht.
Mrs. Ward sagt, daß sich keine Frauen in den Schulkommissionen von New-York und Boston
befinden. Jn New-York wird die Schulkommission vom Bürgermeister ernannt, und er ernennt immer
Männer seiner politischen Partei, die Stimmen abgeben können, um ihn zu wählen. Als die Bostoner
Schulaufsichtsbehörde zahlreich war, gehörten ihr auch immer Frauen an; jetzt, da die Mitglieder auf
fünf beschränkt sind, beherrschen sie die Politiker. Jn Philadelphia, wo die Schulaufsichtsbehörde groß
ist und gewählt wird, gehören ihr 39 Frauen an. Jm Augenblick sind in den Vereinigten Staaten
mehr Frauen in den Schulkommissionen als je zuvor.
Jn den Staaten, in denen Frauen das Wahlrecht ausüben, werden die Ämter vom staatlichen
Jnspektor bis zur lokalen Schulaufsichtsbehörde fast ausnahmslos von Frauen bekleidet, und zwei von
diesen Staaten nehmen in Erziehungsfragen den höchsten Rang in den Vereinigten Staaten ein.
Mrs. Ward sagt, wenn das Frauenstimmrecht in Colorado noch einmal zur Abstimmung stände,
so würde es mit erdrückender Mehrheit abgelehnt werden. Vor einigen Jahren ist es wieder vorgelegt
und mit erdrückender Mehrheit angenommen worden.
Jn der Tat ist Mrs. Ward vollständig ununterrichtet hinsichtlich der Sachlage in den Vereinigten
Staaten. Jn jedem Staate, in dem Frauen das volle politische Wahlrecht besitzen, wird es von einem
ebenso großen Prozentsatz von Frauen wie von Männern ausgeübt.
Es ist viel leichter, das Wahlrecht zu erreichen, wo ein Parlament es gewährt, als in den
Vereinigten Staaten, wo jeder Mann an der Wahlurne seine Stimme über die Frage abgibt.
Da wir unter den Wählern so viele Fremde und Neger haben, die zum großen Teile ungebildet
sind, und die Jnteressen der Branntweinproduktion und des Schankgewerbes sich mit der niedrigsten Form
der politischen Organisation verquickt haben, so ist unsere Aufgabe eine sehr schwierige.
Die Antistimmrechtsbewegung führt eine laute Sprache und hat tatsächlich wenig oder gar keinen
Einfluß. Und die Anhänger des Frauenstimmrechts fühlen, daß sie die Sache mehr fördert als hindert."
Ein Manifest gegen das Frauenstimmrecht.

Das Manifest glaubt, Erziehung und common sense werde genügen, den Frauen
einen ausreichenden „legitimen“ Einfluß in politischen Dingen zu sichern. Auch hier
führt der Jdealismus der Verfasserin das Wort, der darauf vertraut, daß das Gute
und Vernünftige sich von selbst, durch das Gewicht seiner guten Gründe, durchsetze.
Die ganze jahrzehntelange, bittere Erfahrung der Frauenbewegung gibt ihr hierin Unrecht.
Warum ist eine Organisation der Frauen nötig gewesen? warum gründet Mrs. Ward
jetzt selbst eine Liga, um England vor Unglück und Revolution zu schützen? Weil es
eben nicht genügt, diese Jdeen, um die es sich hier handelt, der Menschheit nur recht
eindringlich vorzuführen und zu empfehlen, wie man neue Erfindungen auf Markt und
Straßen empfiehlt; weil eine Macht dahinter stehen muß, ein geeinter starker Wille,
der die entgegenstehenden, oft tiefgewurzelten Widerstände zu überwinden vermag. Das
öffentliche Leben ist ein einziger gewaltiger Kampf der Jnteressen, niederer und höherer;
kein Sieg der einen, für den nicht andere bluten müssen. Wenn aber etwas eine Ge-
währ dafür bietet, daß es mit der Zeit auf diesem Kampfplatze unblutiger zugehen
wird, so ist es die Aussicht, daß immer mehr und mehr alle Bedürfnisse und Nöte
eines Volkes rechtzeitig und in sachverständiger Weise dargelegt werden. Mrs. Ward
beruft sich darauf, daß die Schutzgesetze für arbeitende Frauen und Kinder auch ohne
Frauenstimmrecht zustande gekommen sind — ja, nachdem Generationen am
Mangel jeder Einschränkung der industriellen Gewinnsucht zugrunde gegangen waren!
und weil endlich der Rückgang an tauglichem Rekrutenmaterial den Staat aus seinem
laissez faire unsanft aufrüttelte und ihn antrieb, um seines eigenen Vorteils willen

Diese Vereine umfaßten Arbeiter und Arbeiterinnen. Es waren industrielle, pädagogische, philanthropische,
religiöse und ethische Vereine. Jhre Zahl vermehrte sich im Jahre 1906 bis auf fast 500. Jm Jahre
1907 wurde von der Präsidentin des bedeutendsten Frauen-collegè zum Andenken an Susan B. Anthony
ein Fonds von 60 000 Dollars (ca. 240 000 Mark) zur Förderung des Frauenstimmrechts gesammelt
und 25 000 Dollars wurden zu dem gleichen Zweck einem anderen Fonds überwiesen. Das zeigt doch
sicherlich keinen Niedergang des Jnteresses für das Frauenstimmrecht.
Mrs. Ward sagt, daß sich keine Frauen in den Schulkommissionen von New-York und Boston
befinden. Jn New-York wird die Schulkommission vom Bürgermeister ernannt, und er ernennt immer
Männer seiner politischen Partei, die Stimmen abgeben können, um ihn zu wählen. Als die Bostoner
Schulaufsichtsbehörde zahlreich war, gehörten ihr auch immer Frauen an; jetzt, da die Mitglieder auf
fünf beschränkt sind, beherrschen sie die Politiker. Jn Philadelphia, wo die Schulaufsichtsbehörde groß
ist und gewählt wird, gehören ihr 39 Frauen an. Jm Augenblick sind in den Vereinigten Staaten
mehr Frauen in den Schulkommissionen als je zuvor.
Jn den Staaten, in denen Frauen das Wahlrecht ausüben, werden die Ämter vom staatlichen
Jnspektor bis zur lokalen Schulaufsichtsbehörde fast ausnahmslos von Frauen bekleidet, und zwei von
diesen Staaten nehmen in Erziehungsfragen den höchsten Rang in den Vereinigten Staaten ein.
Mrs. Ward sagt, wenn das Frauenstimmrecht in Colorado noch einmal zur Abstimmung stände,
so würde es mit erdrückender Mehrheit abgelehnt werden. Vor einigen Jahren ist es wieder vorgelegt
und mit erdrückender Mehrheit angenommen worden.
Jn der Tat ist Mrs. Ward vollständig ununterrichtet hinsichtlich der Sachlage in den Vereinigten
Staaten. Jn jedem Staate, in dem Frauen das volle politische Wahlrecht besitzen, wird es von einem
ebenso großen Prozentsatz von Frauen wie von Männern ausgeübt.
Es ist viel leichter, das Wahlrecht zu erreichen, wo ein Parlament es gewährt, als in den
Vereinigten Staaten, wo jeder Mann an der Wahlurne seine Stimme über die Frage abgibt.
Da wir unter den Wählern so viele Fremde und Neger haben, die zum großen Teile ungebildet
sind, und die Jnteressen der Branntweinproduktion und des Schankgewerbes sich mit der niedrigsten Form
der politischen Organisation verquickt haben, so ist unsere Aufgabe eine sehr schwierige.
Die Antistimmrechtsbewegung führt eine laute Sprache und hat tatsächlich wenig oder gar keinen
Einfluß. Und die Anhänger des Frauenstimmrechts fühlen, daß sie die Sache mehr fördert als hindert.“
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[23/0006] Ein Manifest gegen das Frauenstimmrecht. Das Manifest glaubt, Erziehung und common sense werde genügen, den Frauen einen ausreichenden „legitimen“ Einfluß in politischen Dingen zu sichern. Auch hier führt der Jdealismus der Verfasserin das Wort, der darauf vertraut, daß das Gute und Vernünftige sich von selbst, durch das Gewicht seiner guten Gründe, durchsetze. Die ganze jahrzehntelange, bittere Erfahrung der Frauenbewegung gibt ihr hierin Unrecht. Warum ist eine Organisation der Frauen nötig gewesen? warum gründet Mrs. Ward jetzt selbst eine Liga, um England vor Unglück und Revolution zu schützen? Weil es eben nicht genügt, diese Jdeen, um die es sich hier handelt, der Menschheit nur recht eindringlich vorzuführen und zu empfehlen, wie man neue Erfindungen auf Markt und Straßen empfiehlt; weil eine Macht dahinter stehen muß, ein geeinter starker Wille, der die entgegenstehenden, oft tiefgewurzelten Widerstände zu überwinden vermag. Das öffentliche Leben ist ein einziger gewaltiger Kampf der Jnteressen, niederer und höherer; kein Sieg der einen, für den nicht andere bluten müssen. Wenn aber etwas eine Ge- währ dafür bietet, daß es mit der Zeit auf diesem Kampfplatze unblutiger zugehen wird, so ist es die Aussicht, daß immer mehr und mehr alle Bedürfnisse und Nöte eines Volkes rechtzeitig und in sachverständiger Weise dargelegt werden. Mrs. Ward beruft sich darauf, daß die Schutzgesetze für arbeitende Frauen und Kinder auch ohne Frauenstimmrecht zustande gekommen sind — ja, nachdem Generationen am Mangel jeder Einschränkung der industriellen Gewinnsucht zugrunde gegangen waren! und weil endlich der Rückgang an tauglichem Rekrutenmaterial den Staat aus seinem laissez faire unsanft aufrüttelte und ihn antrieb, um seines eigenen Vorteils willen 1)   1) Diese Vereine umfaßten Arbeiter und Arbeiterinnen. Es waren industrielle, pädagogische, philanthropische, religiöse und ethische Vereine. Jhre Zahl vermehrte sich im Jahre 1906 bis auf fast 500. Jm Jahre 1907 wurde von der Präsidentin des bedeutendsten Frauen-collegè zum Andenken an Susan B. Anthony ein Fonds von 60 000 Dollars (ca. 240 000 Mark) zur Förderung des Frauenstimmrechts gesammelt und 25 000 Dollars wurden zu dem gleichen Zweck einem anderen Fonds überwiesen. Das zeigt doch sicherlich keinen Niedergang des Jnteresses für das Frauenstimmrecht. Mrs. Ward sagt, daß sich keine Frauen in den Schulkommissionen von New-York und Boston befinden. Jn New-York wird die Schulkommission vom Bürgermeister ernannt, und er ernennt immer Männer seiner politischen Partei, die Stimmen abgeben können, um ihn zu wählen. Als die Bostoner Schulaufsichtsbehörde zahlreich war, gehörten ihr auch immer Frauen an; jetzt, da die Mitglieder auf fünf beschränkt sind, beherrschen sie die Politiker. Jn Philadelphia, wo die Schulaufsichtsbehörde groß ist und gewählt wird, gehören ihr 39 Frauen an. Jm Augenblick sind in den Vereinigten Staaten mehr Frauen in den Schulkommissionen als je zuvor. Jn den Staaten, in denen Frauen das Wahlrecht ausüben, werden die Ämter vom staatlichen Jnspektor bis zur lokalen Schulaufsichtsbehörde fast ausnahmslos von Frauen bekleidet, und zwei von diesen Staaten nehmen in Erziehungsfragen den höchsten Rang in den Vereinigten Staaten ein. Mrs. Ward sagt, wenn das Frauenstimmrecht in Colorado noch einmal zur Abstimmung stände, so würde es mit erdrückender Mehrheit abgelehnt werden. Vor einigen Jahren ist es wieder vorgelegt und mit erdrückender Mehrheit angenommen worden. Jn der Tat ist Mrs. Ward vollständig ununterrichtet hinsichtlich der Sachlage in den Vereinigten Staaten. Jn jedem Staate, in dem Frauen das volle politische Wahlrecht besitzen, wird es von einem ebenso großen Prozentsatz von Frauen wie von Männern ausgeübt. Es ist viel leichter, das Wahlrecht zu erreichen, wo ein Parlament es gewährt, als in den Vereinigten Staaten, wo jeder Mann an der Wahlurne seine Stimme über die Frage abgibt. Da wir unter den Wählern so viele Fremde und Neger haben, die zum großen Teile ungebildet sind, und die Jnteressen der Branntweinproduktion und des Schankgewerbes sich mit der niedrigsten Form der politischen Organisation verquickt haben, so ist unsere Aufgabe eine sehr schwierige. Die Antistimmrechtsbewegung führt eine laute Sprache und hat tatsächlich wenig oder gar keinen Einfluß. Und die Anhänger des Frauenstimmrechts fühlen, daß sie die Sache mehr fördert als hindert.“

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Zitationshilfe: Freudenberg, Ika: Ein Manifest gegen das Frauenstimmrecht. In: Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit. Heft 16 (1908), S. 18–25, hier S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freudenberg_manifest_1908/6>, abgerufen am 29.04.2024.