Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ein Jahr später, die Frühblumen hatten verblüht, und an den alten Mauern von Aarburg rankte schon da und dort eine wilde Rose aus dem zerklüfteten Gesteine sich an eines der eisenvergitterten kleinen Thurmfenster empor, stand eines Morgens der Befehlshaber der Festung vor der schweren Thüre einer Gefangnenzelle. Eine Weile horchte er und murmelte dann: Ich wollt', es wär' abgethan. Als er in die Zelle trat, erhob sich der Bewohner derselben und strich langsam die üppigen, aber schon leicht ergrauenden Haare aus der Stirne, unter der zwei dunkle trübflimmernde Augen lagen. Ich hab' Euch zwei Botschaften zu bringen, Herr Meyer, sagte der Commandant; Julia ist gestorben ... Gott habe sie selig; und der geheime Rath von Bern will Euch in Gnaden Eure Freiheit schenken, jedoch unter dem Beding, daß Ihr innerhalb vier Tagen das Gebiet einer löblichen Eidgenossenschaft zu verlassen habt und dasselbe bei Todesstrafe nie wieder betreten werdet. Todt! rief der Gefangene nach langem Schweigen leise vor sich hin; todt ... eine Lüge, wie das Leben! Hier habt Ihr den Beweis, erwiderte der Commandant, ein Papier hervorziehend, daß sie seit vierzehn Tagen in der Schloßkapelle von Vuifflans begraben liegt. Ihr habt eine Stunde Bedenkzeit, ob Ihr Das gnädige Anerbieten des Rathes annehmen wollt, oder vorzieht, hier zu bleiben. Der Gefangene blickte lange ohne eine Wimper Ein Jahr später, die Frühblumen hatten verblüht, und an den alten Mauern von Aarburg rankte schon da und dort eine wilde Rose aus dem zerklüfteten Gesteine sich an eines der eisenvergitterten kleinen Thurmfenster empor, stand eines Morgens der Befehlshaber der Festung vor der schweren Thüre einer Gefangnenzelle. Eine Weile horchte er und murmelte dann: Ich wollt', es wär' abgethan. Als er in die Zelle trat, erhob sich der Bewohner derselben und strich langsam die üppigen, aber schon leicht ergrauenden Haare aus der Stirne, unter der zwei dunkle trübflimmernde Augen lagen. Ich hab' Euch zwei Botschaften zu bringen, Herr Meyer, sagte der Commandant; Julia ist gestorben … Gott habe sie selig; und der geheime Rath von Bern will Euch in Gnaden Eure Freiheit schenken, jedoch unter dem Beding, daß Ihr innerhalb vier Tagen das Gebiet einer löblichen Eidgenossenschaft zu verlassen habt und dasselbe bei Todesstrafe nie wieder betreten werdet. Todt! rief der Gefangene nach langem Schweigen leise vor sich hin; todt … eine Lüge, wie das Leben! Hier habt Ihr den Beweis, erwiderte der Commandant, ein Papier hervorziehend, daß sie seit vierzehn Tagen in der Schloßkapelle von Vuifflans begraben liegt. Ihr habt eine Stunde Bedenkzeit, ob Ihr Das gnädige Anerbieten des Rathes annehmen wollt, oder vorzieht, hier zu bleiben. Der Gefangene blickte lange ohne eine Wimper <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <pb facs="#f0108"/> <p>Ein Jahr später, die Frühblumen hatten verblüht, und an den alten Mauern von Aarburg rankte schon da und dort eine wilde Rose aus dem zerklüfteten Gesteine sich an eines der eisenvergitterten kleinen Thurmfenster empor, stand eines Morgens der Befehlshaber der Festung vor der schweren Thüre einer Gefangnenzelle. Eine Weile horchte er und murmelte dann: Ich wollt', es wär' abgethan. Als er in die Zelle trat, erhob sich der Bewohner derselben und strich langsam die üppigen, aber schon leicht ergrauenden Haare aus der Stirne, unter der zwei dunkle trübflimmernde Augen lagen. Ich hab' Euch zwei Botschaften zu bringen, Herr Meyer, sagte der Commandant; Julia ist gestorben … Gott habe sie selig; und der geheime Rath von Bern will Euch in Gnaden Eure Freiheit schenken, jedoch unter dem Beding, daß Ihr innerhalb vier Tagen das Gebiet einer löblichen Eidgenossenschaft zu verlassen habt und dasselbe bei Todesstrafe nie wieder betreten werdet.</p><lb/> <p>Todt! rief der Gefangene nach langem Schweigen leise vor sich hin; todt … eine Lüge, wie das Leben!</p><lb/> <p>Hier habt Ihr den Beweis, erwiderte der Commandant, ein Papier hervorziehend, daß sie seit vierzehn Tagen in der Schloßkapelle von Vuifflans begraben liegt. Ihr habt eine Stunde Bedenkzeit, ob Ihr Das gnädige Anerbieten des Rathes annehmen wollt, oder vorzieht, hier zu bleiben.</p><lb/> <p>Der Gefangene blickte lange ohne eine Wimper<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
Ein Jahr später, die Frühblumen hatten verblüht, und an den alten Mauern von Aarburg rankte schon da und dort eine wilde Rose aus dem zerklüfteten Gesteine sich an eines der eisenvergitterten kleinen Thurmfenster empor, stand eines Morgens der Befehlshaber der Festung vor der schweren Thüre einer Gefangnenzelle. Eine Weile horchte er und murmelte dann: Ich wollt', es wär' abgethan. Als er in die Zelle trat, erhob sich der Bewohner derselben und strich langsam die üppigen, aber schon leicht ergrauenden Haare aus der Stirne, unter der zwei dunkle trübflimmernde Augen lagen. Ich hab' Euch zwei Botschaften zu bringen, Herr Meyer, sagte der Commandant; Julia ist gestorben … Gott habe sie selig; und der geheime Rath von Bern will Euch in Gnaden Eure Freiheit schenken, jedoch unter dem Beding, daß Ihr innerhalb vier Tagen das Gebiet einer löblichen Eidgenossenschaft zu verlassen habt und dasselbe bei Todesstrafe nie wieder betreten werdet.
Todt! rief der Gefangene nach langem Schweigen leise vor sich hin; todt … eine Lüge, wie das Leben!
Hier habt Ihr den Beweis, erwiderte der Commandant, ein Papier hervorziehend, daß sie seit vierzehn Tagen in der Schloßkapelle von Vuifflans begraben liegt. Ihr habt eine Stunde Bedenkzeit, ob Ihr Das gnädige Anerbieten des Rathes annehmen wollt, oder vorzieht, hier zu bleiben.
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/108>, abgerufen am 17.02.2025. |