Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780.Schriftsteller lesen. Will man aber sein Ohr durch Diese
Schriftſteller leſen. Will man aber ſein Ohr durch Dieſe
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0022" n="16"/> Schriftſteller leſen. Will man aber ſein Ohr durch<lb/> die Harmonie der homeriſchen Verſe bilden; ſo muß<lb/> man dieſen Dichter ganz fertig ohne Huͤlfe eines Woͤr-<lb/> terbuchs leſen koͤnnen. Eben dieſes gilt vom <placeName>Demo-<lb/> ſthenes</placeName>, <placeName>Ariſtoteles</placeName>, <placeName>Thucydides</placeName> und <placeName>Plato</placeName>. Und<lb/> eben ſo wird eine vollkommene Kenntniß der Sprache<lb/> dazu erfodert, wenn man die lateiniſchen Claſſiker ge-<lb/> nau kennen lernen will. Aber unſre heutige Jugend<lb/> legt ſich faſt gar nicht auf das Griechiſche, und weni-<lb/> ge lernen ſo viel Latein, um die Werke der großen<lb/> Maͤnner aus dem Zeitalter des <placeName>Auguſts</placeName>, nur mittel-<lb/> maͤßig uͤberſetzen zu koͤnnen. Und doch ſind dieſe alten<lb/> Schriftſteller die reichen Quellen, aus denen unſre Vor-<lb/> gaͤnger, die Italiaͤner, die Franzoſen und Englaͤnder,<lb/> ihre Kenntniſſe geſchoͤpft haben. Sie haben ſich, ſo<lb/> viel ſie konnten, nach dieſen großen Muſtern gebildet;<lb/> ihre Art zu denken, ſich eigen gemacht, und bey Bewun-<lb/> derung der großen Schoͤnheiten, von denen die Werke<lb/> der Alten voll ſind, haben ſie auch die Fehler derſelben<lb/> nicht uͤberſehen. Denn billig muß man mit Einſicht<lb/> und Unterſcheidung ſchaͤtzen, und ſich nie einer blin-<lb/> den Schmeicheley uͤberlaßen. Jene gluͤckliche Zeiten, de-<lb/> ren die Italiaͤner, Franzoſen und Englaͤnder vor uns<lb/> genoſſen haben, fangen nun unvermerkt an ſich zu ver-<lb/> liehren. Das Publikum iſt gleichſam geſaͤttigt von<lb/> den Werken, die es erhalten hat; Kenntniſſe werden<lb/> weniger geſchaͤtzt, nachdem ſie mehr verbreitet worden.<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Dieſe</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [16/0022]
Schriftſteller leſen. Will man aber ſein Ohr durch
die Harmonie der homeriſchen Verſe bilden; ſo muß
man dieſen Dichter ganz fertig ohne Huͤlfe eines Woͤr-
terbuchs leſen koͤnnen. Eben dieſes gilt vom Demo-
ſthenes, Ariſtoteles, Thucydides und Plato. Und
eben ſo wird eine vollkommene Kenntniß der Sprache
dazu erfodert, wenn man die lateiniſchen Claſſiker ge-
nau kennen lernen will. Aber unſre heutige Jugend
legt ſich faſt gar nicht auf das Griechiſche, und weni-
ge lernen ſo viel Latein, um die Werke der großen
Maͤnner aus dem Zeitalter des Auguſts, nur mittel-
maͤßig uͤberſetzen zu koͤnnen. Und doch ſind dieſe alten
Schriftſteller die reichen Quellen, aus denen unſre Vor-
gaͤnger, die Italiaͤner, die Franzoſen und Englaͤnder,
ihre Kenntniſſe geſchoͤpft haben. Sie haben ſich, ſo
viel ſie konnten, nach dieſen großen Muſtern gebildet;
ihre Art zu denken, ſich eigen gemacht, und bey Bewun-
derung der großen Schoͤnheiten, von denen die Werke
der Alten voll ſind, haben ſie auch die Fehler derſelben
nicht uͤberſehen. Denn billig muß man mit Einſicht
und Unterſcheidung ſchaͤtzen, und ſich nie einer blin-
den Schmeicheley uͤberlaßen. Jene gluͤckliche Zeiten, de-
ren die Italiaͤner, Franzoſen und Englaͤnder vor uns
genoſſen haben, fangen nun unvermerkt an ſich zu ver-
liehren. Das Publikum iſt gleichſam geſaͤttigt von
den Werken, die es erhalten hat; Kenntniſſe werden
weniger geſchaͤtzt, nachdem ſie mehr verbreitet worden.
Dieſe
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