Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780.willkührlich. Sie finden dieselbe in der Poetik des Ari- wollen
willkuͤhrlich. Sie finden dieſelbe in der Poetik des Ari- wollen
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0042" n="36"/> willkuͤhrlich. Sie finden dieſelbe in der Poetik des <persName>Ari-<lb/> ſtoteles</persName>, wo die drey <hi rendition="#fr">Einheiten der Zeit, des Orts</hi><lb/> und der <hi rendition="#fr">Handlung</hi>, als die einzigen und wahren<lb/> Mittel vorgeſchrieben ſind, die Tragoͤdien intereſſant zu<lb/> machen. In den Stuͤcken jenes engliſchen Schrift-<lb/> ſtellers aber geht die Handlung ganze Jahre fort. Wo<lb/> bleibt hier die Wahrſcheinlichkeit? Bald erſcheinen in<lb/> denſelben Laſttraͤger oder Todtengraͤber und reden, wie<lb/> es ſich fuͤr ſie ſchickt. Dann kommen Koͤniginnen und<lb/> Prinzen. Wie iſt es moͤglich, daß ein ſo wunderliches<lb/> Gemiſch von Großem und Niedrigem, vom Tragiſchen<lb/> und Harlequinspoſſen gefallen und ruͤhren koͤnne?<lb/> Dem <hi rendition="#fr"><persName>Shakeſpear</persName></hi> kann man indeß ſeine ſonderbare<lb/> Ausſchweifungen wohl verzeihen; denn er lebte zu ei-<lb/> ner Zeit, da die Wiſſenſchaften in <placeName>England</placeName> erſt gebo-<lb/> ren wurden, und man alſo noch keine Reife von denſel-<lb/> ben erwarten konnte. Aber erſt vor einigen Jahren iſt<lb/> ein <hi rendition="#fr"><persName>Goͤtz von Berlichingen</persName></hi> auf unſerm Theater er-<lb/> ſchienen, eine abſcheuliche Nachahmung jener ſchlechten<lb/> engliſchen Stuͤcke: und doch bewilligt unſer Publikum<lb/> dieſem eckelhaften Gewaͤſche ſeinen lauten Beyfall, und<lb/> verlangt mit Eifer ihre oͤftere Widerholung. Ich<lb/> weiß, daß man uͤber den Geſchmack nicht ſtreiten darf;<lb/> indeß werden Sie mir doch erlauben zu ſagen, daß die-<lb/> jenigen, welche gleiches Vergnuͤgen daran finden, Seil-<lb/> taͤnzer und Marionetten oder die Tragoͤdien des <persName>Raci-<lb/> ne</persName> zu ſehn, nur ihre Zeit zu verbringen ſuchen. Sie<lb/> <fw place="bottom" type="catch">wollen</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [36/0042]
willkuͤhrlich. Sie finden dieſelbe in der Poetik des Ari-
ſtoteles, wo die drey Einheiten der Zeit, des Orts
und der Handlung, als die einzigen und wahren
Mittel vorgeſchrieben ſind, die Tragoͤdien intereſſant zu
machen. In den Stuͤcken jenes engliſchen Schrift-
ſtellers aber geht die Handlung ganze Jahre fort. Wo
bleibt hier die Wahrſcheinlichkeit? Bald erſcheinen in
denſelben Laſttraͤger oder Todtengraͤber und reden, wie
es ſich fuͤr ſie ſchickt. Dann kommen Koͤniginnen und
Prinzen. Wie iſt es moͤglich, daß ein ſo wunderliches
Gemiſch von Großem und Niedrigem, vom Tragiſchen
und Harlequinspoſſen gefallen und ruͤhren koͤnne?
Dem Shakeſpear kann man indeß ſeine ſonderbare
Ausſchweifungen wohl verzeihen; denn er lebte zu ei-
ner Zeit, da die Wiſſenſchaften in England erſt gebo-
ren wurden, und man alſo noch keine Reife von denſel-
ben erwarten konnte. Aber erſt vor einigen Jahren iſt
ein Goͤtz von Berlichingen auf unſerm Theater er-
ſchienen, eine abſcheuliche Nachahmung jener ſchlechten
engliſchen Stuͤcke: und doch bewilligt unſer Publikum
dieſem eckelhaften Gewaͤſche ſeinen lauten Beyfall, und
verlangt mit Eifer ihre oͤftere Widerholung. Ich
weiß, daß man uͤber den Geſchmack nicht ſtreiten darf;
indeß werden Sie mir doch erlauben zu ſagen, daß die-
jenigen, welche gleiches Vergnuͤgen daran finden, Seil-
taͤnzer und Marionetten oder die Tragoͤdien des Raci-
ne zu ſehn, nur ihre Zeit zu verbringen ſuchen. Sie
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