Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780.Sprache wurde gar nicht cultivirt und blieb immer Noch nicht seit langer Zeit haben unsre Gelehr- Wege
Sprache wurde gar nicht cultivirt und blieb immer Noch nicht ſeit langer Zeit haben unſre Gelehr- Wege
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0065" n="59"/> Sprache wurde gar nicht cultivirt und blieb immer<lb/> mit ihrem alten Roſt bedeckt. Der Haupttheil der<lb/> Nation, der kein Latein verſtand, konnte ſich auf kei-<lb/> ne Weiſe unterrichten, und blieb immer mit dicker<lb/> Unwiſſenheit umhuͤllt. Dies ſind Wahrheiten, de-<lb/> nen Niemand etwas entgegenſetzen kann. Unſre<lb/> Herren Gelehrten ſollten ſich zuweilen erinnern, daß<lb/> die Wiſſenſchaften die Nahrungsmittel der Seele ſind;<lb/> das Gedaͤchtniß empfaͤngt ſie, wie der Magen die Spei-<lb/> ſen; wenn die Urtheilskraft aber nicht ihre Verdauung<lb/> befoͤrdert, ſo iſt Unverdaulichkeit des Geiſtes unver-<lb/> meidlich. Wenn die Wiſſenſchaften Schaͤtze ſind, ſo<lb/> muß man ſie nicht aufhaͤufen und verſchließen; ſondern<lb/> dadurch nutzen, daß man ſie in allgemeinen Umlauf-<lb/> bringt, und dieſes kann nur durch die Sprache geſche-<lb/> hen, welche alle Buͤrger des Staats verſtehn.</p><lb/> <p>Noch nicht ſeit langer Zeit haben unſre Gelehr-<lb/> ten es gewagt, in ihrer Mutterſprache zu ſchreiben, und<lb/> ſchaͤmen ſich nicht mehr Deutſche zu ſeyn. Sie wiſ-<lb/> ſen, daß das erſte deutſche Woͤrterbuch noch nicht alt<lb/> iſt; ich erroͤthe faſt dafuͤr, wenn ich bedenke, daß ein<lb/> ſo ausnehmend nuͤtzliches Buch nicht wenigſtens hun-<lb/> dert Jahre vor mir in die Welt gekommen iſt. Bey<lb/> alle dem bemerkt man itzt, daß uns allmaͤhlich eine<lb/> Gaͤhrung und Veraͤnderung bevorſtehe. Man faͤngt<lb/> an von Ruhm der Nation zu reden; wir wollen uns<lb/> in gleiche Reihe mit unſern Nachbarn erheben, und<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Wege</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [59/0065]
Sprache wurde gar nicht cultivirt und blieb immer
mit ihrem alten Roſt bedeckt. Der Haupttheil der
Nation, der kein Latein verſtand, konnte ſich auf kei-
ne Weiſe unterrichten, und blieb immer mit dicker
Unwiſſenheit umhuͤllt. Dies ſind Wahrheiten, de-
nen Niemand etwas entgegenſetzen kann. Unſre
Herren Gelehrten ſollten ſich zuweilen erinnern, daß
die Wiſſenſchaften die Nahrungsmittel der Seele ſind;
das Gedaͤchtniß empfaͤngt ſie, wie der Magen die Spei-
ſen; wenn die Urtheilskraft aber nicht ihre Verdauung
befoͤrdert, ſo iſt Unverdaulichkeit des Geiſtes unver-
meidlich. Wenn die Wiſſenſchaften Schaͤtze ſind, ſo
muß man ſie nicht aufhaͤufen und verſchließen; ſondern
dadurch nutzen, daß man ſie in allgemeinen Umlauf-
bringt, und dieſes kann nur durch die Sprache geſche-
hen, welche alle Buͤrger des Staats verſtehn.
Noch nicht ſeit langer Zeit haben unſre Gelehr-
ten es gewagt, in ihrer Mutterſprache zu ſchreiben, und
ſchaͤmen ſich nicht mehr Deutſche zu ſeyn. Sie wiſ-
ſen, daß das erſte deutſche Woͤrterbuch noch nicht alt
iſt; ich erroͤthe faſt dafuͤr, wenn ich bedenke, daß ein
ſo ausnehmend nuͤtzliches Buch nicht wenigſtens hun-
dert Jahre vor mir in die Welt gekommen iſt. Bey
alle dem bemerkt man itzt, daß uns allmaͤhlich eine
Gaͤhrung und Veraͤnderung bevorſtehe. Man faͤngt
an von Ruhm der Nation zu reden; wir wollen uns
in gleiche Reihe mit unſern Nachbarn erheben, und
Wege
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