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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820.

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Vaterlandes fühlte ich in diesen Augenblicken nur
schwach.

Wir eilten schnell vorwärts, und gönnten
uns kaum die nothwendigste Rast. Doch glaubte
ich, selbst bei diesem Vorüberfluge, zu bemerken,
daß die Stirnen überall tiefer gefurcht waren,
als in Paris. Dieß that mir einiger Maßen wohl;
denn hätte ich länger in der Hauptstadt gelebt,
ich glaube ich hätte mein Volk hassen gelernt.
Jch hatte mich sehr davon entwöhnt, mich über
etwas zu äußern, und beobachtete dieß auch
während der Reise. Doch hörte ich auch ei-
nen Postmeister während des Pserdewechselns,
ganz ohne Veranlassung sagen: Hier kam er
durch als er von Frejus kam, um das Reich
zu retten; damahls ahndete ich nicht, daß ich
ihm noch ein Mahl Pferde geben würde, um aus
seinem geretteten Reiche in die Verbannung zu
gehen. Die tiefbewegte Stimme des Mannes
erschütterte mich. Er stand an der Schwelle des
Greisenalters; weinend und schweigend reichte
ich ihm die Hand. O, mein Fräulein, sagte er, in-
dem er sie zwischen den seinigen drückte, ich habe
im Kampfe für das Vaterland drei Söhne ver-

Vaterlandes fuͤhlte ich in dieſen Augenblicken nur
ſchwach.

Wir eilten ſchnell vorwaͤrts, und goͤnnten
uns kaum die nothwendigſte Raſt. Doch glaubte
ich, ſelbſt bei dieſem Voruͤberfluge, zu bemerken,
daß die Stirnen uͤberall tiefer gefurcht waren,
als in Paris. Dieß that mir einiger Maßen wohl;
denn haͤtte ich laͤnger in der Hauptſtadt gelebt,
ich glaube ich haͤtte mein Volk haſſen gelernt.
Jch hatte mich ſehr davon entwoͤhnt, mich uͤber
etwas zu aͤußern, und beobachtete dieß auch
waͤhrend der Reiſe. Doch hoͤrte ich auch ei-
nen Poſtmeiſter waͤhrend des Pſerdewechſelns,
ganz ohne Veranlaſſung ſagen: Hier kam er
durch als er von Frejus kam, um das Reich
zu retten; damahls ahndete ich nicht, daß ich
ihm noch ein Mahl Pferde geben wuͤrde, um aus
ſeinem geretteten Reiche in die Verbannung zu
gehen. Die tiefbewegte Stimme des Mannes
erſchuͤtterte mich. Er ſtand an der Schwelle des
Greiſenalters; weinend und ſchweigend reichte
ich ihm die Hand. O, mein Fraͤulein, ſagte er, in-
dem er ſie zwiſchen den ſeinigen druͤckte, ich habe
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[194[202]/0212] Vaterlandes fuͤhlte ich in dieſen Augenblicken nur ſchwach. Wir eilten ſchnell vorwaͤrts, und goͤnnten uns kaum die nothwendigſte Raſt. Doch glaubte ich, ſelbſt bei dieſem Voruͤberfluge, zu bemerken, daß die Stirnen uͤberall tiefer gefurcht waren, als in Paris. Dieß that mir einiger Maßen wohl; denn haͤtte ich laͤnger in der Hauptſtadt gelebt, ich glaube ich haͤtte mein Volk haſſen gelernt. Jch hatte mich ſehr davon entwoͤhnt, mich uͤber etwas zu aͤußern, und beobachtete dieß auch waͤhrend der Reiſe. Doch hoͤrte ich auch ei- nen Poſtmeiſter waͤhrend des Pſerdewechſelns, ganz ohne Veranlaſſung ſagen: Hier kam er durch als er von Frejus kam, um das Reich zu retten; damahls ahndete ich nicht, daß ich ihm noch ein Mahl Pferde geben wuͤrde, um aus ſeinem geretteten Reiche in die Verbannung zu gehen. Die tiefbewegte Stimme des Mannes erſchuͤtterte mich. Er ſtand an der Schwelle des Greiſenalters; weinend und ſchweigend reichte ich ihm die Hand. O, mein Fraͤulein, ſagte er, in- dem er ſie zwiſchen den ſeinigen druͤckte, ich habe im Kampfe fuͤr das Vaterland drei Soͤhne ver-

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Zitationshilfe: Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 194[202]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/212>, abgerufen am 15.05.2024.