Nacht hinein; ich wurde nicht müde, ihnen zuzuhören. Selbst eine fleißige Zeitungsleserinn geworden, stand ich oft schon mit der Sonne auf, um dem Postboten des nächsten Fleckens entgegen zu gehn, die Blätter schnell zu durchlau- fen, und dem Vater schon beim Erwachen eine frohe Siegesnachricht zurufen zu können. Von allen diesen früheren Begebenheiten machte der Uebergang über die Bochetta den stärksten Ein- druck auf mich. Hannibal hatte, zur Verwun- derung der Römer, diese unwegsame Straße betreten, kein Heerführer nach ihm es ge- wagt. Nun war Buonaparte der zweits kühne Sterbliche, welcher sich hier Bahn brach. Die- ses einzige, damals so angestaunte Unternehmen, stellte mit einem Schlag den jugendlichen Helden in Riesengröße vor meine Phantasie. Alle Heroen der Vorwelt. bei deren Thaten mein junges Herz gepocht, traten jetzt, in ein einziges Bild verschmolzen, ins Leben, in die Wirklichkeit heraus. Meine Einbildungskraft schmückte die- ses herrliche Bild mit allen Reizen männlicher Schönheit, und stellte es als Jdol auf den Altar meines Herzens.
Nacht hinein; ich wurde nicht muͤde, ihnen zuzuhoͤren. Selbſt eine fleißige Zeitungsleſerinn geworden, ſtand ich oft ſchon mit der Sonne auf, um dem Poſtboten des naͤchſten Fleckens entgegen zu gehn, die Blaͤtter ſchnell zu durchlau- fen, und dem Vater ſchon beim Erwachen eine frohe Siegesnachricht zurufen zu koͤnnen. Von allen dieſen fruͤheren Begebenheiten machte der Uebergang uͤber die Bochetta den ſtaͤrkſten Ein- druck auf mich. Hannibal hatte, zur Verwun- derung der Roͤmer, dieſe unwegſame Straße betreten, kein Heerfuͤhrer nach ihm es ge- wagt. Nun war Buonaparte der zweits kuͤhne Sterbliche, welcher ſich hier Bahn brach. Die- ſes einzige, damals ſo angeſtaunte Unternehmen, ſtellte mit einem Schlag den jugendlichen Helden in Rieſengroͤße vor meine Phantaſie. Alle Heroen der Vorwelt. bei deren Thaten mein junges Herz gepocht, traten jetzt, in ein einziges Bild verſchmolzen, ins Leben, in die Wirklichkeit heraus. Meine Einbildungskraft ſchmuͤckte die- ſes herrliche Bild mit allen Reizen maͤnnlicher Schoͤnheit, und ſtellte es als Jdol auf den Altar meines Herzens.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0083"n="73"/>
Nacht hinein; ich wurde nicht muͤde, ihnen<lb/>
zuzuhoͤren. Selbſt eine fleißige Zeitungsleſerinn<lb/>
geworden, ſtand ich oft ſchon mit der Sonne<lb/>
auf, um dem Poſtboten des naͤchſten Fleckens<lb/>
entgegen zu gehn, die Blaͤtter ſchnell zu durchlau-<lb/>
fen, und dem Vater ſchon beim Erwachen eine<lb/>
frohe Siegesnachricht zurufen zu koͤnnen. Von<lb/>
allen dieſen fruͤheren Begebenheiten machte der<lb/>
Uebergang uͤber die Bochetta den ſtaͤrkſten Ein-<lb/>
druck auf mich. Hannibal hatte, zur Verwun-<lb/>
derung der Roͤmer, dieſe unwegſame Straße<lb/>
betreten, kein Heerfuͤhrer nach ihm es ge-<lb/>
wagt. Nun war Buonaparte der zweits kuͤhne<lb/>
Sterbliche, welcher ſich hier Bahn brach. Die-<lb/>ſes einzige, damals ſo angeſtaunte Unternehmen,<lb/>ſtellte mit einem Schlag den jugendlichen Helden<lb/>
in Rieſengroͤße vor meine Phantaſie. Alle<lb/>
Heroen der Vorwelt. bei deren Thaten mein<lb/>
junges Herz gepocht, traten jetzt, in ein einziges<lb/>
Bild verſchmolzen, ins Leben, in die Wirklichkeit<lb/>
heraus. Meine Einbildungskraft ſchmuͤckte die-<lb/>ſes herrliche Bild mit allen Reizen maͤnnlicher<lb/>
Schoͤnheit, und ſtellte es als Jdol auf den Altar<lb/>
meines Herzens.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[73/0083]
Nacht hinein; ich wurde nicht muͤde, ihnen
zuzuhoͤren. Selbſt eine fleißige Zeitungsleſerinn
geworden, ſtand ich oft ſchon mit der Sonne
auf, um dem Poſtboten des naͤchſten Fleckens
entgegen zu gehn, die Blaͤtter ſchnell zu durchlau-
fen, und dem Vater ſchon beim Erwachen eine
frohe Siegesnachricht zurufen zu koͤnnen. Von
allen dieſen fruͤheren Begebenheiten machte der
Uebergang uͤber die Bochetta den ſtaͤrkſten Ein-
druck auf mich. Hannibal hatte, zur Verwun-
derung der Roͤmer, dieſe unwegſame Straße
betreten, kein Heerfuͤhrer nach ihm es ge-
wagt. Nun war Buonaparte der zweits kuͤhne
Sterbliche, welcher ſich hier Bahn brach. Die-
ſes einzige, damals ſo angeſtaunte Unternehmen,
ſtellte mit einem Schlag den jugendlichen Helden
in Rieſengroͤße vor meine Phantaſie. Alle
Heroen der Vorwelt. bei deren Thaten mein
junges Herz gepocht, traten jetzt, in ein einziges
Bild verſchmolzen, ins Leben, in die Wirklichkeit
heraus. Meine Einbildungskraft ſchmuͤckte die-
ſes herrliche Bild mit allen Reizen maͤnnlicher
Schoͤnheit, und ſtellte es als Jdol auf den Altar
meines Herzens.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/83>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.