Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Seitdem ich auf Ihr edles und großmüthiges Fürwort hin den Armen der Gegend ein Asyl beschafft, kommen von allen Seiten Anforderungen an meine Opferfähigkeit, besonders aber drängt mich der Geistliche Ihres Orts, der alten merkwürdigen Kirche eine neue Orgel zu schenken, damit man dort, wie er sagt, würdiger für mich beten könne -- wem diese Gebete im Himmel zu Statten kommen, wissen Sie am besten.

Wollen Sie, großmüthige und reiche Frau, dem im Vergleich mit Ihnen so armen Manne das große Capital, das Sie ihm geliehen, noch ein halbes Jahr länger in Obhut und Genuß lassen, so bin ich bereit, auch dies Opfer zu bringen.

Gewähren Sie bald eine Antwort Ihrem
dankbaren
Grafen K.

Therese reichte, ohne ein Wort zu sagen, den Brief ihrem Manne, der, als er ihn gelesen, nach seiner Weise lachte:

Diesen Brief kann man als Supplement zum Machiavell drucken lassen! rief er aus. Der Graf giebt dir die Ehre, aber nur dir verständlich, denn er spricht klüglich nur von deinem Fürwort -- unser Kind nennt er ein einem armen Manne geliehenes Capital, hütet sich aber wohl, deutlich zu sagen, daß er selbst der Schuldner ist!

Was soll ich thun?

Seitdem ich auf Ihr edles und großmüthiges Fürwort hin den Armen der Gegend ein Asyl beschafft, kommen von allen Seiten Anforderungen an meine Opferfähigkeit, besonders aber drängt mich der Geistliche Ihres Orts, der alten merkwürdigen Kirche eine neue Orgel zu schenken, damit man dort, wie er sagt, würdiger für mich beten könne — wem diese Gebete im Himmel zu Statten kommen, wissen Sie am besten.

Wollen Sie, großmüthige und reiche Frau, dem im Vergleich mit Ihnen so armen Manne das große Capital, das Sie ihm geliehen, noch ein halbes Jahr länger in Obhut und Genuß lassen, so bin ich bereit, auch dies Opfer zu bringen.

Gewähren Sie bald eine Antwort Ihrem
dankbaren
Grafen K.

Therese reichte, ohne ein Wort zu sagen, den Brief ihrem Manne, der, als er ihn gelesen, nach seiner Weise lachte:

Diesen Brief kann man als Supplement zum Machiavell drucken lassen! rief er aus. Der Graf giebt dir die Ehre, aber nur dir verständlich, denn er spricht klüglich nur von deinem Fürwort — unser Kind nennt er ein einem armen Manne geliehenes Capital, hütet sich aber wohl, deutlich zu sagen, daß er selbst der Schuldner ist!

Was soll ich thun?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="6">
        <pb facs="#f0055"/>
        <floatingText>
          <body>
            <div type="letter">
              <p>Seitdem ich auf Ihr edles und großmüthiges Fürwort hin den Armen der Gegend ein Asyl      beschafft, kommen von allen Seiten Anforderungen an meine Opferfähigkeit, besonders aber drängt      mich der Geistliche Ihres Orts, der alten merkwürdigen Kirche eine neue Orgel zu schenken,      damit man dort, wie er sagt, würdiger für mich beten könne &#x2014; wem diese Gebete im Himmel zu      Statten kommen, wissen Sie am besten.</p><lb/>
              <p>Wollen Sie, großmüthige und reiche Frau, dem im Vergleich mit Ihnen so armen Manne das große      Capital, das Sie ihm geliehen, noch ein halbes Jahr länger in Obhut und Genuß lassen, so bin      ich bereit, auch dies Opfer zu bringen.</p><lb/>
              <closer>
                <salute>Gewähren Sie bald eine Antwort Ihrem</salute><lb/>
                <signed>dankbaren<lb/>
Grafen K.</signed>
              </closer>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
        <p>Therese reichte, ohne ein Wort zu sagen, den Brief ihrem Manne, der, als er ihn gelesen, nach      seiner Weise lachte:</p><lb/>
        <p>Diesen Brief kann man als Supplement zum Machiavell drucken lassen! rief er aus. Der Graf      giebt dir die Ehre, aber nur dir verständlich, denn er spricht klüglich nur von deinem Fürwort      &#x2014; unser Kind nennt er ein einem armen Manne geliehenes Capital, hütet sich aber wohl, deutlich      zu sagen, daß er selbst der Schuldner ist!</p><lb/>
        <p>Was soll ich thun?</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0055] Seitdem ich auf Ihr edles und großmüthiges Fürwort hin den Armen der Gegend ein Asyl beschafft, kommen von allen Seiten Anforderungen an meine Opferfähigkeit, besonders aber drängt mich der Geistliche Ihres Orts, der alten merkwürdigen Kirche eine neue Orgel zu schenken, damit man dort, wie er sagt, würdiger für mich beten könne — wem diese Gebete im Himmel zu Statten kommen, wissen Sie am besten. Wollen Sie, großmüthige und reiche Frau, dem im Vergleich mit Ihnen so armen Manne das große Capital, das Sie ihm geliehen, noch ein halbes Jahr länger in Obhut und Genuß lassen, so bin ich bereit, auch dies Opfer zu bringen. Gewähren Sie bald eine Antwort Ihrem dankbaren Grafen K. Therese reichte, ohne ein Wort zu sagen, den Brief ihrem Manne, der, als er ihn gelesen, nach seiner Weise lachte: Diesen Brief kann man als Supplement zum Machiavell drucken lassen! rief er aus. Der Graf giebt dir die Ehre, aber nur dir verständlich, denn er spricht klüglich nur von deinem Fürwort — unser Kind nennt er ein einem armen Manne geliehenes Capital, hütet sich aber wohl, deutlich zu sagen, daß er selbst der Schuldner ist! Was soll ich thun?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:13:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:13:13Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/55
Zitationshilfe: Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/55>, abgerufen am 24.11.2024.