ten? daß sie ein solche Empfindung haben, erhellet vornehmlich daraus, daß sie ihre Gliedmaßen so ge- schikt und fertig bewegen, als ob sie darinnen unter- richtet wären. -- Was die Kunst dem Künstler in der Handhabung seiner Werkzeuge, dem Schiffer im Steu- ern, dem Mahler in Auftragung der Farben, dem Schauspieler in den Geberden beybringt, das thut die Natur bey den Thieren. Keines beweget seine Glied- maßen kümmerlich, keines stocket in dem Gebrauche seiner Theile. Sie verrichten vielmehr alles, sobald sie auf die Welt kommen; sie treten mit dieser Wissen- schaft auf die Schaubühne und werden unterrichtet ge- boren. Ja, sagte ein anderer: Vielleicht bewegen sie ihre Gliedmaßen deswegen so geschickt, weil sie sonst Schmerz empfinden würden. Allein, das ist falsch, denn, was aus Furcht des Schmerzens und aus Noth geschieht, damit geht es langsam zu. Die Hurtigkeit aber entsteht von einer Kraft, die sich selbst antreibt. Die Furcht vor Schmerz thut so wenig dazu, daß die Thiere sich auch gegen alle Hindernisse des Schmerzens bearbeiten, ihre natürliche Bewegung zu verrichten. Wenn eine Schildkröte auf den Rücken gelegt wird, so empfindet sie keinen Schmerz, aber sie ist doch aus Verlangen nach ihrer natürlichen Stellung unruhig, und wälzet sich so lange von einer Seite zur andern, bis sie auf die Füße zu stehen kömmt. Demnach ha- ben alle Thiere eine Empfindung von dem, was ihrer Beschaffenheit gemäß ist, und daher haben sie eine solche Fertigkeit in dem Gebrauch ihrer Gliedmaßen. Es kann auch kein stärkerer Beweis seyn, daß sie schon
mit
ten? daß ſie ein ſolche Empfindung haben, erhellet vornehmlich daraus, daß ſie ihre Gliedmaßen ſo ge- ſchikt und fertig bewegen, als ob ſie darinnen unter- richtet waͤren. — Was die Kunſt dem Kuͤnſtler in der Handhabung ſeiner Werkzeuge, dem Schiffer im Steu- ern, dem Mahler in Auftragung der Farben, dem Schauſpieler in den Geberden beybringt, das thut die Natur bey den Thieren. Keines beweget ſeine Glied- maßen kuͤmmerlich, keines ſtocket in dem Gebrauche ſeiner Theile. Sie verrichten vielmehr alles, ſobald ſie auf die Welt kommen; ſie treten mit dieſer Wiſſen- ſchaft auf die Schaubuͤhne und werden unterrichtet ge- boren. Ja, ſagte ein anderer: Vielleicht bewegen ſie ihre Gliedmaßen deswegen ſo geſchickt, weil ſie ſonſt Schmerz empfinden wuͤrden. Allein, das iſt falſch, denn, was aus Furcht des Schmerzens und aus Noth geſchieht, damit geht es langſam zu. Die Hurtigkeit aber entſteht von einer Kraft, die ſich ſelbſt antreibt. Die Furcht vor Schmerz thut ſo wenig dazu, daß die Thiere ſich auch gegen alle Hinderniſſe des Schmerzens bearbeiten, ihre natuͤrliche Bewegung zu verrichten. Wenn eine Schildkroͤte auf den Ruͤcken gelegt wird, ſo empfindet ſie keinen Schmerz, aber ſie iſt doch aus Verlangen nach ihrer natuͤrlichen Stellung unruhig, und waͤlzet ſich ſo lange von einer Seite zur andern, bis ſie auf die Fuͤße zu ſtehen koͤmmt. Demnach ha- ben alle Thiere eine Empfindung von dem, was ihrer Beſchaffenheit gemaͤß iſt, und daher haben ſie eine ſolche Fertigkeit in dem Gebrauch ihrer Gliedmaßen. Es kann auch kein ſtaͤrkerer Beweis ſeyn, daß ſie ſchon
mit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0110"n="91"/>
ten? daß ſie ein ſolche Empfindung haben, erhellet<lb/>
vornehmlich daraus, daß ſie ihre Gliedmaßen ſo ge-<lb/>ſchikt und fertig bewegen, als ob ſie darinnen unter-<lb/>
richtet waͤren. — Was die Kunſt dem Kuͤnſtler in der<lb/>
Handhabung ſeiner Werkzeuge, dem Schiffer im Steu-<lb/>
ern, dem Mahler in Auftragung der Farben, dem<lb/>
Schauſpieler in den Geberden beybringt, das thut die<lb/>
Natur bey den Thieren. Keines beweget ſeine Glied-<lb/>
maßen kuͤmmerlich, keines ſtocket in dem Gebrauche<lb/>ſeiner Theile. Sie verrichten vielmehr alles, ſobald<lb/>ſie auf die Welt kommen; ſie treten mit dieſer Wiſſen-<lb/>ſchaft auf die Schaubuͤhne und werden unterrichtet ge-<lb/>
boren. Ja, ſagte ein anderer: Vielleicht bewegen<lb/>ſie ihre Gliedmaßen deswegen ſo geſchickt, weil ſie<lb/>ſonſt Schmerz empfinden wuͤrden. Allein, das iſt falſch,<lb/>
denn, was aus Furcht des Schmerzens und aus Noth<lb/>
geſchieht, damit geht es langſam zu. Die Hurtigkeit<lb/>
aber entſteht von einer Kraft, die ſich ſelbſt antreibt.<lb/>
Die Furcht vor Schmerz thut ſo wenig dazu, daß die<lb/>
Thiere ſich auch gegen alle Hinderniſſe des Schmerzens<lb/>
bearbeiten, ihre natuͤrliche Bewegung zu verrichten.<lb/>
Wenn eine Schildkroͤte auf den Ruͤcken gelegt wird,<lb/>ſo empfindet ſie keinen Schmerz, aber ſie iſt doch aus<lb/>
Verlangen nach ihrer natuͤrlichen Stellung unruhig,<lb/>
und waͤlzet ſich ſo lange von einer Seite zur andern,<lb/>
bis ſie auf die Fuͤße zu ſtehen koͤmmt. Demnach ha-<lb/>
ben alle Thiere eine Empfindung von dem, was ihrer<lb/>
Beſchaffenheit gemaͤß iſt, und daher haben ſie eine<lb/>ſolche Fertigkeit in dem Gebrauch ihrer Gliedmaßen.<lb/>
Es kann auch kein ſtaͤrkerer Beweis ſeyn, daß ſie ſchon<lb/><fwplace="bottom"type="catch">mit</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[91/0110]
ten? daß ſie ein ſolche Empfindung haben, erhellet
vornehmlich daraus, daß ſie ihre Gliedmaßen ſo ge-
ſchikt und fertig bewegen, als ob ſie darinnen unter-
richtet waͤren. — Was die Kunſt dem Kuͤnſtler in der
Handhabung ſeiner Werkzeuge, dem Schiffer im Steu-
ern, dem Mahler in Auftragung der Farben, dem
Schauſpieler in den Geberden beybringt, das thut die
Natur bey den Thieren. Keines beweget ſeine Glied-
maßen kuͤmmerlich, keines ſtocket in dem Gebrauche
ſeiner Theile. Sie verrichten vielmehr alles, ſobald
ſie auf die Welt kommen; ſie treten mit dieſer Wiſſen-
ſchaft auf die Schaubuͤhne und werden unterrichtet ge-
boren. Ja, ſagte ein anderer: Vielleicht bewegen
ſie ihre Gliedmaßen deswegen ſo geſchickt, weil ſie
ſonſt Schmerz empfinden wuͤrden. Allein, das iſt falſch,
denn, was aus Furcht des Schmerzens und aus Noth
geſchieht, damit geht es langſam zu. Die Hurtigkeit
aber entſteht von einer Kraft, die ſich ſelbſt antreibt.
Die Furcht vor Schmerz thut ſo wenig dazu, daß die
Thiere ſich auch gegen alle Hinderniſſe des Schmerzens
bearbeiten, ihre natuͤrliche Bewegung zu verrichten.
Wenn eine Schildkroͤte auf den Ruͤcken gelegt wird,
ſo empfindet ſie keinen Schmerz, aber ſie iſt doch aus
Verlangen nach ihrer natuͤrlichen Stellung unruhig,
und waͤlzet ſich ſo lange von einer Seite zur andern,
bis ſie auf die Fuͤße zu ſtehen koͤmmt. Demnach ha-
ben alle Thiere eine Empfindung von dem, was ihrer
Beſchaffenheit gemaͤß iſt, und daher haben ſie eine
ſolche Fertigkeit in dem Gebrauch ihrer Gliedmaßen.
Es kann auch kein ſtaͤrkerer Beweis ſeyn, daß ſie ſchon
mit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/110>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.