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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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verbunden, und hat die zur Erhaltung und Befriedi-
gung der Bedürfnisse eines jedweden einzelnen Wesens,
und ganzer Gattungen, nöthigen Anstalten zum Ge-
genstande. Je weniger also ein Geschöpf von der ei-
nen Seite begünstigt worden ist, desto mehr muste von
der andern für es gesorgt werden. Da den Pflanzen
noch alle Empfindung und alle Willkühr abgehen soll-
te, so musten sich alle ihre Kräfte zu Trieben des
Wachsthums, der Vermehrung und Wiedererstattung
zusammen drängen; diese Triebe aber nehmen in dem
Verhältniß ab, in welchem höhere Kräften entstehen
und zunehmen; der Polipe erstattet sich noch beynahe
wie die Pflanze; bald werden nur noch einzelne Glie-
der, und endlich diese nur unter sehr günstigen Um-
ständen erstattet, bis in den edleren Thieren dieses
Vermögen meistens nur auf die eigenmächtige Heilung
einiger Wunden eingeschränkt worden ist.

Gerade diese Stufenfolge hat in den sogenann-
ten Kunsttrieben statt; diese sind desto werkthätiger,
bestimmter und auffallender, je weiter das Thier vom
Menschen zurück gestellt ist. Die bewunderungswür-
digsten Kunstfertigkeiten, wenn ich sie so nennen darf,
sind den Insekten, den Gewürmern, den unedlern
kaltblütigen entweder ganz Gehirnlosen, oder nur mit
sehr wenigem Gehirne begabten Thieren einverleibt wor-
den; wie aber das Thier zur Aufnahme einer grössern
Gehirnmaße und eines feinern Nervenbaues hinaufor-
ganisirt war, so schien es auch nach und nach mehr
sich selbst überlassen worden zu seyn. Die Rattenar-
ten graben sich noch unterirrdische Wohnungen, der

Biber

verbunden, und hat die zur Erhaltung und Befriedi-
gung der Beduͤrfniſſe eines jedweden einzelnen Weſens,
und ganzer Gattungen, noͤthigen Anſtalten zum Ge-
genſtande. Je weniger alſo ein Geſchoͤpf von der ei-
nen Seite beguͤnſtigt worden iſt, deſto mehr muſte von
der andern fuͤr es geſorgt werden. Da den Pflanzen
noch alle Empfindung und alle Willkuͤhr abgehen ſoll-
te, ſo muſten ſich alle ihre Kraͤfte zu Trieben des
Wachsthums, der Vermehrung und Wiedererſtattung
zuſammen draͤngen; dieſe Triebe aber nehmen in dem
Verhaͤltniß ab, in welchem hoͤhere Kraͤften entſtehen
und zunehmen; der Polipe erſtattet ſich noch beynahe
wie die Pflanze; bald werden nur noch einzelne Glie-
der, und endlich dieſe nur unter ſehr guͤnſtigen Um-
ſtaͤnden erſtattet, bis in den edleren Thieren dieſes
Vermoͤgen meiſtens nur auf die eigenmaͤchtige Heilung
einiger Wunden eingeſchraͤnkt worden iſt.

Gerade dieſe Stufenfolge hat in den ſogenann-
ten Kunſttrieben ſtatt; dieſe ſind deſto werkthaͤtiger,
beſtimmter und auffallender, je weiter das Thier vom
Menſchen zuruͤck geſtellt iſt. Die bewunderungswuͤr-
digſten Kunſtfertigkeiten, wenn ich ſie ſo nennen darf,
ſind den Inſekten, den Gewuͤrmern, den unedlern
kaltbluͤtigen entweder ganz Gehirnloſen, oder nur mit
ſehr wenigem Gehirne begabten Thieren einverleibt wor-
den; wie aber das Thier zur Aufnahme einer groͤſſern
Gehirnmaße und eines feinern Nervenbaues hinaufor-
ganiſirt war, ſo ſchien es auch nach und nach mehr
ſich ſelbſt uͤberlaſſen worden zu ſeyn. Die Rattenar-
ten graben ſich noch unterirrdiſche Wohnungen, der

Biber
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[102/0121] verbunden, und hat die zur Erhaltung und Befriedi- gung der Beduͤrfniſſe eines jedweden einzelnen Weſens, und ganzer Gattungen, noͤthigen Anſtalten zum Ge- genſtande. Je weniger alſo ein Geſchoͤpf von der ei- nen Seite beguͤnſtigt worden iſt, deſto mehr muſte von der andern fuͤr es geſorgt werden. Da den Pflanzen noch alle Empfindung und alle Willkuͤhr abgehen ſoll- te, ſo muſten ſich alle ihre Kraͤfte zu Trieben des Wachsthums, der Vermehrung und Wiedererſtattung zuſammen draͤngen; dieſe Triebe aber nehmen in dem Verhaͤltniß ab, in welchem hoͤhere Kraͤften entſtehen und zunehmen; der Polipe erſtattet ſich noch beynahe wie die Pflanze; bald werden nur noch einzelne Glie- der, und endlich dieſe nur unter ſehr guͤnſtigen Um- ſtaͤnden erſtattet, bis in den edleren Thieren dieſes Vermoͤgen meiſtens nur auf die eigenmaͤchtige Heilung einiger Wunden eingeſchraͤnkt worden iſt. Gerade dieſe Stufenfolge hat in den ſogenann- ten Kunſttrieben ſtatt; dieſe ſind deſto werkthaͤtiger, beſtimmter und auffallender, je weiter das Thier vom Menſchen zuruͤck geſtellt iſt. Die bewunderungswuͤr- digſten Kunſtfertigkeiten, wenn ich ſie ſo nennen darf, ſind den Inſekten, den Gewuͤrmern, den unedlern kaltbluͤtigen entweder ganz Gehirnloſen, oder nur mit ſehr wenigem Gehirne begabten Thieren einverleibt wor- den; wie aber das Thier zur Aufnahme einer groͤſſern Gehirnmaße und eines feinern Nervenbaues hinaufor- ganiſirt war, ſo ſchien es auch nach und nach mehr ſich ſelbſt uͤberlaſſen worden zu ſeyn. Die Rattenar- ten graben ſich noch unterirrdiſche Wohnungen, der Biber

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/121>, abgerufen am 24.11.2024.