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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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te. So mußte freylich das junge Rebhuhn, da es
mit so gewandiger Schnelligkeit die bewachsenen Flu-
ren durchstreifen sollte, auch schon eine Fertigkeit im
Sehen haben; bey der jungen Spinne muste das Ge-
fühl auf den höchsten Grad verfeinert seyn, sobald sie
ein Netz und Nahrung brauchte. -- Aber so, wie
ich am Kinde gleich nach seiner Geburt keinen festen
Blick entdecke, so wie es keine Zeichen der Aufmerk-
samkeit bey einer Musik äussert, und überhaupt die
wichtigsten Sinne noch stumpf sind: eben so heftet der
junge Hund die ersten Tage, wenn ihm die Augen auf-
gehen, auf nichts einen festen Blick; er guckt gleich-
sam in den Wind; das Auge ist noch matt, trüb,
dick. Erst nach einiger Zeit beobachte ich am Kind
und am Hunde, daß sie der Gegenstände ausser ihnen
durch das Auge gewahr werden. Das Kind verfolgt
vorzüglich glänzende Körper, die Flamme des Lichts,
und greift ohne Maaß der Entfernung nach denselben.
Der junge Hund übt sich mit seiner Mutter und sei-
nen Kameraden*); er greift weit und hoch mit den
Füßen aus, obschon ihm sein Gegner ganz nahe ist;
wo er hin will, läuft er an, und scheint alles weiter
zu suchen. Zu was sollte ihm aber auch ein scharfes
Gesicht nützen, wo es noch durch die Schwäche seiner
Glieder und die Langsamkeit seiner Bewegungen ent-
behrlich gemacht wird? Zu was ein feines Gehör,

wo
*) Man kann sich nicht besser ausdrücken, als Candillac:
Les premiers mouvemens de l'animal sont donnes a l'e-
tude; & lorsque nous le croyoas tout occupe a jouer,
'est proprement la nature, qui joue aves lui pour l'in-
[ - 5 Zeichen fehlen]re.

te. So mußte freylich das junge Rebhuhn, da es
mit ſo gewandiger Schnelligkeit die bewachſenen Flu-
ren durchſtreifen ſollte, auch ſchon eine Fertigkeit im
Sehen haben; bey der jungen Spinne muſte das Ge-
fuͤhl auf den hoͤchſten Grad verfeinert ſeyn, ſobald ſie
ein Netz und Nahrung brauchte. — Aber ſo, wie
ich am Kinde gleich nach ſeiner Geburt keinen feſten
Blick entdecke, ſo wie es keine Zeichen der Aufmerk-
ſamkeit bey einer Muſik aͤuſſert, und uͤberhaupt die
wichtigſten Sinne noch ſtumpf ſind: eben ſo heftet der
junge Hund die erſten Tage, wenn ihm die Augen auf-
gehen, auf nichts einen feſten Blick; er guckt gleich-
ſam in den Wind; das Auge iſt noch matt, truͤb,
dick. Erſt nach einiger Zeit beobachte ich am Kind
und am Hunde, daß ſie der Gegenſtaͤnde auſſer ihnen
durch das Auge gewahr werden. Das Kind verfolgt
vorzuͤglich glaͤnzende Koͤrper, die Flamme des Lichts,
und greift ohne Maaß der Entfernung nach denſelben.
Der junge Hund uͤbt ſich mit ſeiner Mutter und ſei-
nen Kameraden*); er greift weit und hoch mit den
Fuͤßen aus, obſchon ihm ſein Gegner ganz nahe iſt;
wo er hin will, laͤuft er an, und ſcheint alles weiter
zu ſuchen. Zu was ſollte ihm aber auch ein ſcharfes
Geſicht nuͤtzen, wo es noch durch die Schwaͤche ſeiner
Glieder und die Langſamkeit ſeiner Bewegungen ent-
behrlich gemacht wird? Zu was ein feines Gehoͤr,

wo
*) Man kann ſich nicht beſſer ausdruͤcken, als Candillac:
Les premiers mouvemens de l’animal ſont donnes à l’é-
tude; & lorsque nous le croyoas tout occupé a jouer,
’eſt proprement la nature, qui joue aves lui pour l’in-
[ – 5 Zeichen fehlen]re.
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[122/0141] te. So mußte freylich das junge Rebhuhn, da es mit ſo gewandiger Schnelligkeit die bewachſenen Flu- ren durchſtreifen ſollte, auch ſchon eine Fertigkeit im Sehen haben; bey der jungen Spinne muſte das Ge- fuͤhl auf den hoͤchſten Grad verfeinert ſeyn, ſobald ſie ein Netz und Nahrung brauchte. — Aber ſo, wie ich am Kinde gleich nach ſeiner Geburt keinen feſten Blick entdecke, ſo wie es keine Zeichen der Aufmerk- ſamkeit bey einer Muſik aͤuſſert, und uͤberhaupt die wichtigſten Sinne noch ſtumpf ſind: eben ſo heftet der junge Hund die erſten Tage, wenn ihm die Augen auf- gehen, auf nichts einen feſten Blick; er guckt gleich- ſam in den Wind; das Auge iſt noch matt, truͤb, dick. Erſt nach einiger Zeit beobachte ich am Kind und am Hunde, daß ſie der Gegenſtaͤnde auſſer ihnen durch das Auge gewahr werden. Das Kind verfolgt vorzuͤglich glaͤnzende Koͤrper, die Flamme des Lichts, und greift ohne Maaß der Entfernung nach denſelben. Der junge Hund uͤbt ſich mit ſeiner Mutter und ſei- nen Kameraden *); er greift weit und hoch mit den Fuͤßen aus, obſchon ihm ſein Gegner ganz nahe iſt; wo er hin will, laͤuft er an, und ſcheint alles weiter zu ſuchen. Zu was ſollte ihm aber auch ein ſcharfes Geſicht nuͤtzen, wo es noch durch die Schwaͤche ſeiner Glieder und die Langſamkeit ſeiner Bewegungen ent- behrlich gemacht wird? Zu was ein feines Gehoͤr, wo *) Man kann ſich nicht beſſer ausdruͤcken, als Candillac: Les premiers mouvemens de l’animal ſont donnes à l’é- tude; & lorsque nous le croyoas tout occupé a jouer, ’eſt proprement la nature, qui joue aves lui pour l’in- _____re.

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/141>, abgerufen am 24.11.2024.