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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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te Begriffe von einem belebten Mechanismus, und
besonders die oben aus dem philosophischen Arzte an-
geführte Stelle nicht vor Augen hat. Mehr scheinen
sie mir nicht zu beweisen, als daß dergleichen Bewe-
gungen nicht allzeit bloß mechanisch sind, sondern daß
auch die Vorstellung und die Gemüthsbewegungen der
Seele einen uns unerklärbaren Einfluß in die mecha-
nischen Triebe haben. Sie entschuldigen aber keines-
wegs den Wahn, daß die Seele allein alle Bewegun-
gen im Körper, und selbst die Lebensverrichtungen
betreibe. Diese gehen vielmehr ihren Gang, ohne
unser Empfinden, Merken, Denken, Wissen oder
Wollen, ja nur gar zu oft wieder unsern Willen un-
abläßlich fort, im tiefsten Schlafe, in der schwersten
Ohnmacht, wenn wir vom Schlage oder von der
Starrsucht gänzlich ausser uns gesezt, wenn wir ein-
fältig, kindisch, oder rasend sind.

Das Vermögen, lebhafte Bilder zu haben,
hängt allein von der Organisation ab; aber die Aus-
übung dieses Vermögens hängt in einigen Fällen bloß
von der Organisation, in andern aber auch zum Theil
von dem Willen ab. In hitzigen Krankheiten, in
hypochondrischen Zufällen u. s. w. entstehen die lebhaf-
ten Phantasien einzig und allein von der Bewegung
der Organe; aber in dem Enthusiasmus der Dichter
in den Entzückungen der Wahrsager, und den Eksta-
sen der Quacker entstehen sie von der willkührlichen
Anstrengung der Organe durch die Seele. Eben so
ist die Fertigkeit, gewisse Bilder vor andern lebhaft
zu machen, gleichfalls eine Folge der Organisation,

und

te Begriffe von einem belebten Mechanismus, und
beſonders die oben aus dem philoſophiſchen Arzte an-
gefuͤhrte Stelle nicht vor Augen hat. Mehr ſcheinen
ſie mir nicht zu beweiſen, als daß dergleichen Bewe-
gungen nicht allzeit bloß mechaniſch ſind, ſondern daß
auch die Vorſtellung und die Gemuͤthsbewegungen der
Seele einen uns unerklaͤrbaren Einfluß in die mecha-
niſchen Triebe haben. Sie entſchuldigen aber keines-
wegs den Wahn, daß die Seele allein alle Bewegun-
gen im Koͤrper, und ſelbſt die Lebensverrichtungen
betreibe. Dieſe gehen vielmehr ihren Gang, ohne
unſer Empfinden, Merken, Denken, Wiſſen oder
Wollen, ja nur gar zu oft wieder unſern Willen un-
ablaͤßlich fort, im tiefſten Schlafe, in der ſchwerſten
Ohnmacht, wenn wir vom Schlage oder von der
Starrſucht gaͤnzlich auſſer uns geſezt, wenn wir ein-
faͤltig, kindiſch, oder raſend ſind.

Das Vermoͤgen, lebhafte Bilder zu haben,
haͤngt allein von der Organiſation ab; aber die Aus-
uͤbung dieſes Vermoͤgens haͤngt in einigen Faͤllen bloß
von der Organiſation, in andern aber auch zum Theil
von dem Willen ab. In hitzigen Krankheiten, in
hypochondriſchen Zufaͤllen u. ſ. w. entſtehen die lebhaf-
ten Phantaſien einzig und allein von der Bewegung
der Organe; aber in dem Enthuſiasmus der Dichter
in den Entzuͤckungen der Wahrſager, und den Ekſta-
ſen der Quacker entſtehen ſie von der willkuͤhrlichen
Anſtrengung der Organe durch die Seele. Eben ſo
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zu machen, gleichfalls eine Folge der Organiſation,

und
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[181/0200] te Begriffe von einem belebten Mechanismus, und beſonders die oben aus dem philoſophiſchen Arzte an- gefuͤhrte Stelle nicht vor Augen hat. Mehr ſcheinen ſie mir nicht zu beweiſen, als daß dergleichen Bewe- gungen nicht allzeit bloß mechaniſch ſind, ſondern daß auch die Vorſtellung und die Gemuͤthsbewegungen der Seele einen uns unerklaͤrbaren Einfluß in die mecha- niſchen Triebe haben. Sie entſchuldigen aber keines- wegs den Wahn, daß die Seele allein alle Bewegun- gen im Koͤrper, und ſelbſt die Lebensverrichtungen betreibe. Dieſe gehen vielmehr ihren Gang, ohne unſer Empfinden, Merken, Denken, Wiſſen oder Wollen, ja nur gar zu oft wieder unſern Willen un- ablaͤßlich fort, im tiefſten Schlafe, in der ſchwerſten Ohnmacht, wenn wir vom Schlage oder von der Starrſucht gaͤnzlich auſſer uns geſezt, wenn wir ein- faͤltig, kindiſch, oder raſend ſind. Das Vermoͤgen, lebhafte Bilder zu haben, haͤngt allein von der Organiſation ab; aber die Aus- uͤbung dieſes Vermoͤgens haͤngt in einigen Faͤllen bloß von der Organiſation, in andern aber auch zum Theil von dem Willen ab. In hitzigen Krankheiten, in hypochondriſchen Zufaͤllen u. ſ. w. entſtehen die lebhaf- ten Phantaſien einzig und allein von der Bewegung der Organe; aber in dem Enthuſiasmus der Dichter in den Entzuͤckungen der Wahrſager, und den Ekſta- ſen der Quacker entſtehen ſie von der willkuͤhrlichen Anſtrengung der Organe durch die Seele. Eben ſo iſt die Fertigkeit, gewiſſe Bilder vor andern lebhaft zu machen, gleichfalls eine Folge der Organiſation, und

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/200>, abgerufen am 21.11.2024.