dargethan hat, daß die Nerven der thierischen Werk- zeuge des menschlichen Körpers mit der Seele keine Verhältnisse haben. -- Ich gebe zu, daß schwächere Reize schwächere Wirkungen hervorbringen, und deß- wegen die Seele nur Reize von einem gewissen Gra- de merklich empfinde; aber daß deßwegen die Seele jeden noch so unbedeutenden Vorgang im Körper em- pfinden müsse, weil sie im Faulfieber betäubt liegt, und in der Hirnentzündung raset, das kann ich so lange nicht zugeben, bis man mir erwiesen hat, daß ich mittelst der ununterbrochenen Gemeinschaft mit der Luft das Gesumse einer Mücke hören müsse, weil ich den Knall einer Kanone höre. Uibrigens sind, leident- lich mitleiden, und theilnehmend mitwirken, gar sehr verschiedene Dinge; und obschon ich auch Empfindun- gen ohne Bewußtseyn zugebe; so bleibt es doch eben darum unerweißlich, daß jeder Reiz empfunden werde; und ein Bewußtseyn seines innern Zustandes ohne Empfindung, wie wird man da zu Werke gehen müs- sen, um seinen Gegner davon zu überzeugen?
4) Wenn Stahls Hypothese, daß die thieri- schen Bewegungen in der ungebornen Leibesfrucht will- kührliche Bewegungen waren, und durch den Einfluß der Gewohnheit allmählig der Aufmerksamkeit und Willkühr der Seele entzogen werden, eine zwar un- erweißliche, aber dennoch merkwürdige Hypothese bleibt §. 315; und, wenn es höchst wahrscheinlich ist, daß die Seele nicht verbreitet sey durch den ganzen Körper, sondern ihren Sitz in dem Gehirn habe, da, wo der Zusammenfluß aller Nerven ist §. 236: So
ist
dargethan hat, daß die Nerven der thieriſchen Werk- zeuge des menſchlichen Koͤrpers mit der Seele keine Verhaͤltniſſe haben. — Ich gebe zu, daß ſchwaͤchere Reize ſchwaͤchere Wirkungen hervorbringen, und deß- wegen die Seele nur Reize von einem gewiſſen Gra- de merklich empfinde; aber daß deßwegen die Seele jeden noch ſo unbedeutenden Vorgang im Koͤrper em- pfinden muͤſſe, weil ſie im Faulfieber betaͤubt liegt, und in der Hirnentzuͤndung raſet, das kann ich ſo lange nicht zugeben, bis man mir erwieſen hat, daß ich mittelſt der ununterbrochenen Gemeinſchaft mit der Luft das Geſumſe einer Muͤcke hoͤren muͤſſe, weil ich den Knall einer Kanone hoͤre. Uibrigens ſind, leident- lich mitleiden, und theilnehmend mitwirken, gar ſehr verſchiedene Dinge; und obſchon ich auch Empfindun- gen ohne Bewußtſeyn zugebe; ſo bleibt es doch eben darum unerweißlich, daß jeder Reiz empfunden werde; und ein Bewußtſeyn ſeines innern Zuſtandes ohne Empfindung, wie wird man da zu Werke gehen muͤſ- ſen, um ſeinen Gegner davon zu uͤberzeugen?
4) Wenn Stahls Hypotheſe, daß die thieri- ſchen Bewegungen in der ungebornen Leibesfrucht will- kuͤhrliche Bewegungen waren, und durch den Einfluß der Gewohnheit allmaͤhlig der Aufmerkſamkeit und Willkuͤhr der Seele entzogen werden, eine zwar un- erweißliche, aber dennoch merkwuͤrdige Hypotheſe bleibt §. 315; und, wenn es hoͤchſt wahrſcheinlich iſt, daß die Seele nicht verbreitet ſey durch den ganzen Koͤrper, ſondern ihren Sitz in dem Gehirn habe, da, wo der Zuſammenfluß aller Nerven iſt §. 236: So
iſt
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dargethan hat, daß die Nerven der thieriſchen Werk-
zeuge des menſchlichen Koͤrpers mit der Seele keine
Verhaͤltniſſe haben. — Ich gebe zu, daß ſchwaͤchere
Reize ſchwaͤchere Wirkungen hervorbringen, und deß-
wegen die Seele nur Reize von einem gewiſſen Gra-
de merklich empfinde; aber daß deßwegen die Seele
jeden noch ſo unbedeutenden Vorgang im Koͤrper em-
pfinden muͤſſe, weil ſie im Faulfieber betaͤubt liegt,
und in der Hirnentzuͤndung raſet, das kann ich ſo
lange nicht zugeben, bis man mir erwieſen hat, daß
ich mittelſt der ununterbrochenen Gemeinſchaft mit der
Luft das Geſumſe einer Muͤcke hoͤren muͤſſe, weil ich
den Knall einer Kanone hoͤre. Uibrigens ſind, leident-
lich mitleiden, und theilnehmend mitwirken, gar ſehr
verſchiedene Dinge; und obſchon ich auch Empfindun-
gen ohne Bewußtſeyn zugebe; ſo bleibt es doch eben
darum unerweißlich, daß jeder Reiz empfunden werde;
und ein Bewußtſeyn ſeines innern Zuſtandes ohne
Empfindung, wie wird man da zu Werke gehen muͤſ-
ſen, um ſeinen Gegner davon zu uͤberzeugen?
4) Wenn Stahls Hypotheſe, daß die thieri-
ſchen Bewegungen in der ungebornen Leibesfrucht will-
kuͤhrliche Bewegungen waren, und durch den Einfluß
der Gewohnheit allmaͤhlig der Aufmerkſamkeit und
Willkuͤhr der Seele entzogen werden, eine zwar un-
erweißliche, aber dennoch merkwuͤrdige Hypotheſe
bleibt §. 315; und, wenn es hoͤchſt wahrſcheinlich iſt,
daß die Seele nicht verbreitet ſey durch den ganzen
Koͤrper, ſondern ihren Sitz in dem Gehirn habe, da,
wo der Zuſammenfluß aller Nerven iſt §. 236: So
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/42>, abgerufen am 21.11.2024.
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