Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

überflüssig ist, weil sie aufbrauset, und vielleicht nur
deßwegen aufbrauset, weil die Gefäße ihre zusam-
menziehende Kraft verloren haben, nicht das eigent-
liche Gegenmittel seyn können. "Es ereignet sich
nichts öfter, sagt Cissot, als das Kranke über Er-
hitzung klagen; aber man könnte mit keiner Kunst
ihrem Blut jene entzündliche Beschaffenheit geben,
welche getäuschte Aerzte durch die entzündungswidrige
Heilart zu zerstöhren suchen. Eine wahre Erhitzung ist
zwar eine leichte Art von Entzündung, nämlich die
falsche, welche von Schärfe erregt wird, aber Him-
melweit von einer wahren Entzündung verschieden.
Sie haben beyde beym ersten Anblick viele Zufälle ge-
mein, indessen hilft die nämliche Heilart bey der ei-
nen, und tödtet bey der andern."

Aber in ähnlichen Vorfällen sind zwey Dinge zu
bedauern: erstlich, daß Weiber, Bartscheerer Wundärzte
und Aerzte ihr Heilverfahren nach den sinnlichen Erschei-
nungen einer Krankheit einrichten. Einem Menschen
dringt das Blut aus der Nase; er hat Wallungen
und Hitze: es muß Blut weggeschafft werden u. s. w.
Zweytens, daß man, obschon so leichtfertig mit den
Purgiermitteln, mit den Aderlässen, den Blasenpfla-
stern verfahren wird, dennoch um seiner Ehre willen
so sehr auf seiner Hut seyn muß, eine andere eben-
falls sehr in die Sinne fallende Heilart, so vernünf-
tig sie übrigens seyn mag, in Ausübung zu bringen.
Die außerordentliche Hitze, welche 1755 in Meßina
von 15ten des Brachmonates bis zu Ende des Au-
gusts herrschte, hatte eine Krankheit hervorgebracht

deren

uͤberfluͤſſig iſt, weil ſie aufbrauſet, und vielleicht nur
deßwegen aufbrauſet, weil die Gefaͤße ihre zuſam-
menziehende Kraft verloren haben, nicht das eigent-
liche Gegenmittel ſeyn koͤnnen. “Es ereignet ſich
nichts oͤfter, ſagt Ciſſot, als das Kranke uͤber Er-
hitzung klagen; aber man koͤnnte mit keiner Kunſt
ihrem Blut jene entzuͤndliche Beſchaffenheit geben,
welche getaͤuſchte Aerzte durch die entzuͤndungswidrige
Heilart zu zerſtoͤhren ſuchen. Eine wahre Erhitzung iſt
zwar eine leichte Art von Entzuͤndung, naͤmlich die
falſche, welche von Schaͤrfe erregt wird, aber Him-
melweit von einer wahren Entzuͤndung verſchieden.
Sie haben beyde beym erſten Anblick viele Zufaͤlle ge-
mein, indeſſen hilft die naͤmliche Heilart bey der ei-
nen, und toͤdtet bey der andern.„

Aber in aͤhnlichen Vorfaͤllen ſind zwey Dinge zu
bedauern: erſtlich, daß Weiber, Bartſcheerer Wundaͤrzte
und Aerzte ihr Heilverfahren nach den ſinnlichen Erſchei-
nungen einer Krankheit einrichten. Einem Menſchen
dringt das Blut aus der Naſe; er hat Wallungen
und Hitze: es muß Blut weggeſchafft werden u. ſ. w.
Zweytens, daß man, obſchon ſo leichtfertig mit den
Purgiermitteln, mit den Aderlaͤſſen, den Blaſenpfla-
ſtern verfahren wird, dennoch um ſeiner Ehre willen
ſo ſehr auf ſeiner Hut ſeyn muß, eine andere eben-
falls ſehr in die Sinne fallende Heilart, ſo vernuͤnf-
tig ſie uͤbrigens ſeyn mag, in Ausuͤbung zu bringen.
Die außerordentliche Hitze, welche 1755 in Meßina
von 15ten des Brachmonates bis zu Ende des Au-
guſts herrſchte, hatte eine Krankheit hervorgebracht

deren
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0501" n="482"/>
u&#x0364;berflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig i&#x017F;t, weil &#x017F;ie aufbrau&#x017F;et, und vielleicht nur<lb/>
deßwegen aufbrau&#x017F;et, weil die Gefa&#x0364;ße ihre zu&#x017F;am-<lb/>
menziehende Kraft verloren haben, nicht das eigent-<lb/>
liche Gegenmittel &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen. &#x201C;Es ereignet &#x017F;ich<lb/>
nichts o&#x0364;fter, &#x017F;agt <hi rendition="#fr">Ci&#x017F;&#x017F;ot</hi>, als das Kranke u&#x0364;ber Er-<lb/>
hitzung klagen; aber man ko&#x0364;nnte mit keiner Kun&#x017F;t<lb/>
ihrem Blut jene entzu&#x0364;ndliche Be&#x017F;chaffenheit geben,<lb/>
welche geta&#x0364;u&#x017F;chte Aerzte durch die entzu&#x0364;ndungswidrige<lb/>
Heilart zu zer&#x017F;to&#x0364;hren &#x017F;uchen. Eine wahre Erhitzung i&#x017F;t<lb/>
zwar eine leichte Art von Entzu&#x0364;ndung, na&#x0364;mlich die<lb/>
fal&#x017F;che, welche von Scha&#x0364;rfe erregt wird, aber Him-<lb/>
melweit von einer wahren Entzu&#x0364;ndung ver&#x017F;chieden.<lb/>
Sie haben beyde beym er&#x017F;ten Anblick viele Zufa&#x0364;lle ge-<lb/>
mein, inde&#x017F;&#x017F;en hilft die na&#x0364;mliche Heilart bey der ei-<lb/>
nen, und to&#x0364;dtet bey der andern.&#x201E;</p><lb/>
              <p>Aber in a&#x0364;hnlichen Vorfa&#x0364;llen &#x017F;ind zwey Dinge zu<lb/>
bedauern: er&#x017F;tlich, daß Weiber, Bart&#x017F;cheerer Wunda&#x0364;rzte<lb/>
und Aerzte ihr Heilverfahren nach den &#x017F;innlichen Er&#x017F;chei-<lb/>
nungen einer Krankheit einrichten. Einem Men&#x017F;chen<lb/>
dringt das Blut aus der Na&#x017F;e; er hat Wallungen<lb/>
und Hitze: es muß Blut wegge&#x017F;chafft werden u. &#x017F;. w.<lb/>
Zweytens, daß man, ob&#x017F;chon &#x017F;o leichtfertig mit den<lb/>
Purgiermitteln, mit den Aderla&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, den Bla&#x017F;enpfla-<lb/>
&#x017F;tern verfahren wird, dennoch um &#x017F;einer Ehre willen<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr auf &#x017F;einer Hut &#x017F;eyn muß, eine andere eben-<lb/>
falls &#x017F;ehr in die Sinne fallende Heilart, &#x017F;o vernu&#x0364;nf-<lb/>
tig &#x017F;ie u&#x0364;brigens &#x017F;eyn mag, in Ausu&#x0364;bung zu bringen.<lb/>
Die außerordentliche Hitze, welche 1755 in Meßina<lb/>
von 15ten des Brachmonates bis zu Ende des Au-<lb/>
gu&#x017F;ts herr&#x017F;chte, hatte eine Krankheit hervorgebracht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">deren</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[482/0501] uͤberfluͤſſig iſt, weil ſie aufbrauſet, und vielleicht nur deßwegen aufbrauſet, weil die Gefaͤße ihre zuſam- menziehende Kraft verloren haben, nicht das eigent- liche Gegenmittel ſeyn koͤnnen. “Es ereignet ſich nichts oͤfter, ſagt Ciſſot, als das Kranke uͤber Er- hitzung klagen; aber man koͤnnte mit keiner Kunſt ihrem Blut jene entzuͤndliche Beſchaffenheit geben, welche getaͤuſchte Aerzte durch die entzuͤndungswidrige Heilart zu zerſtoͤhren ſuchen. Eine wahre Erhitzung iſt zwar eine leichte Art von Entzuͤndung, naͤmlich die falſche, welche von Schaͤrfe erregt wird, aber Him- melweit von einer wahren Entzuͤndung verſchieden. Sie haben beyde beym erſten Anblick viele Zufaͤlle ge- mein, indeſſen hilft die naͤmliche Heilart bey der ei- nen, und toͤdtet bey der andern.„ Aber in aͤhnlichen Vorfaͤllen ſind zwey Dinge zu bedauern: erſtlich, daß Weiber, Bartſcheerer Wundaͤrzte und Aerzte ihr Heilverfahren nach den ſinnlichen Erſchei- nungen einer Krankheit einrichten. Einem Menſchen dringt das Blut aus der Naſe; er hat Wallungen und Hitze: es muß Blut weggeſchafft werden u. ſ. w. Zweytens, daß man, obſchon ſo leichtfertig mit den Purgiermitteln, mit den Aderlaͤſſen, den Blaſenpfla- ſtern verfahren wird, dennoch um ſeiner Ehre willen ſo ſehr auf ſeiner Hut ſeyn muß, eine andere eben- falls ſehr in die Sinne fallende Heilart, ſo vernuͤnf- tig ſie uͤbrigens ſeyn mag, in Ausuͤbung zu bringen. Die außerordentliche Hitze, welche 1755 in Meßina von 15ten des Brachmonates bis zu Ende des Au- guſts herrſchte, hatte eine Krankheit hervorgebracht deren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/501
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/501>, abgerufen am 22.11.2024.