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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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Wichtigkeit der Sache willen noch ein Mal, daß der
Arzt aus weit wesentlichern Quellen, als aus der Ge-
stalt der Zufälle, seine Heilanzeigen schöpfen müsse. --
In dem epidemischen Fieber, welches 1623 zu Mont-
pellier eine schreckliche Niederlage machte, starben fast
die Hälfte der Kranken, besonders aber diejenigen,
denen die Drüsen hinter den Ohren auftraten, wel-
ches um den neunten oder eilften Tag zu geschehen
pflegte; diese waren in zwey Tage alle verloren. Nach-
dem Riveri von nichts einen guten Erfolg erhalten
konnte, dachte er bey sich: der Ort, durch welchen
die Materie einen Ausgang sucht, ist nicht groß ge-
nug, sie zu fassen, weil sich eine solche Menge im In-
nern des Körpers vorfindet, das sie den Kranken ganz
unterdrückt. Der Anzeige zu Ausleerungen wider-
sprach aber die äusserste Kraftlosigkeit der Kranken;
denn diese war so groß, daß sie bereits im Todes-
kampfe zu liegen schienen, und diesem auch wirklich
in Kurzem unterlagen. Zudem hatte man zuvor Blut
genug weggelassen. Dem ungeachtet schien ihm die
Entkräftung mehr eine Unterdrückung der Kräfte,
als ein wahrer Mangel derselben zu seyn. Er ver-
muthete, die Kräfte seyen nur deßwegen so plötzlich
und so tief gesunken, weil sich die Natur der Last nicht
entledigen konnte, und daß man ihr zu Hilfe kommen
könnte, wenn man einen Theil derselben wegnähme.
Den ersten Kranken ließ er Anfangs nur drey Unzen
Blut weg. Nach drey oder vier Stunden fand er den
Puls kraftvoller. Er ließ also nochmals sechs Unzen
weg. Der Puls wurde wieder besser und stärker;

das
K k 2

Wichtigkeit der Sache willen noch ein Mal, daß der
Arzt aus weit weſentlichern Quellen, als aus der Ge-
ſtalt der Zufaͤlle, ſeine Heilanzeigen ſchoͤpfen muͤſſe. —
In dem epidemiſchen Fieber, welches 1623 zu Mont-
pellier eine ſchreckliche Niederlage machte, ſtarben faſt
die Haͤlfte der Kranken, beſonders aber diejenigen,
denen die Druͤſen hinter den Ohren auftraten, wel-
ches um den neunten oder eilften Tag zu geſchehen
pflegte; dieſe waren in zwey Tage alle verloren. Nach-
dem Riveri von nichts einen guten Erfolg erhalten
konnte, dachte er bey ſich: der Ort, durch welchen
die Materie einen Ausgang ſucht, iſt nicht groß ge-
nug, ſie zu faſſen, weil ſich eine ſolche Menge im In-
nern des Koͤrpers vorfindet, das ſie den Kranken ganz
unterdruͤckt. Der Anzeige zu Ausleerungen wider-
ſprach aber die aͤuſſerſte Kraftloſigkeit der Kranken;
denn dieſe war ſo groß, daß ſie bereits im Todes-
kampfe zu liegen ſchienen, und dieſem auch wirklich
in Kurzem unterlagen. Zudem hatte man zuvor Blut
genug weggelaſſen. Dem ungeachtet ſchien ihm die
Entkraͤftung mehr eine Unterdruͤckung der Kraͤfte,
als ein wahrer Mangel derſelben zu ſeyn. Er ver-
muthete, die Kraͤfte ſeyen nur deßwegen ſo ploͤtzlich
und ſo tief geſunken, weil ſich die Natur der Laſt nicht
entledigen konnte, und daß man ihr zu Hilfe kommen
koͤnnte, wenn man einen Theil derſelben wegnaͤhme.
Den erſten Kranken ließ er Anfangs nur drey Unzen
Blut weg. Nach drey oder vier Stunden fand er den
Puls kraftvoller. Er ließ alſo nochmals ſechs Unzen
weg. Der Puls wurde wieder beſſer und ſtaͤrker;

das
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[515/0534] Wichtigkeit der Sache willen noch ein Mal, daß der Arzt aus weit weſentlichern Quellen, als aus der Ge- ſtalt der Zufaͤlle, ſeine Heilanzeigen ſchoͤpfen muͤſſe. — In dem epidemiſchen Fieber, welches 1623 zu Mont- pellier eine ſchreckliche Niederlage machte, ſtarben faſt die Haͤlfte der Kranken, beſonders aber diejenigen, denen die Druͤſen hinter den Ohren auftraten, wel- ches um den neunten oder eilften Tag zu geſchehen pflegte; dieſe waren in zwey Tage alle verloren. Nach- dem Riveri von nichts einen guten Erfolg erhalten konnte, dachte er bey ſich: der Ort, durch welchen die Materie einen Ausgang ſucht, iſt nicht groß ge- nug, ſie zu faſſen, weil ſich eine ſolche Menge im In- nern des Koͤrpers vorfindet, das ſie den Kranken ganz unterdruͤckt. Der Anzeige zu Ausleerungen wider- ſprach aber die aͤuſſerſte Kraftloſigkeit der Kranken; denn dieſe war ſo groß, daß ſie bereits im Todes- kampfe zu liegen ſchienen, und dieſem auch wirklich in Kurzem unterlagen. Zudem hatte man zuvor Blut genug weggelaſſen. Dem ungeachtet ſchien ihm die Entkraͤftung mehr eine Unterdruͤckung der Kraͤfte, als ein wahrer Mangel derſelben zu ſeyn. Er ver- muthete, die Kraͤfte ſeyen nur deßwegen ſo ploͤtzlich und ſo tief geſunken, weil ſich die Natur der Laſt nicht entledigen konnte, und daß man ihr zu Hilfe kommen koͤnnte, wenn man einen Theil derſelben wegnaͤhme. Den erſten Kranken ließ er Anfangs nur drey Unzen Blut weg. Nach drey oder vier Stunden fand er den Puls kraftvoller. Er ließ alſo nochmals ſechs Unzen weg. Der Puls wurde wieder beſſer und ſtaͤrker; das K k 2

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/534>, abgerufen am 22.11.2024.