Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

chenen Lehrmeister des Menschen, befolgen ihre In-
stinkte. "Im Schauder, sagt Wolstein vermeiden
sie den Zug der Luft, der Winde; sie suchen sich Oer-
ter, sie wählen sich Plätze, die ihr Leben erwärmen,
die sanft, die wohlthätig für ihr Gefühl, für ihre
Empfindungen sind. -- Ist der Schauder oder die
Kälte vorüber, dann verlassen sie diese Plätze; dann
weichen sie der Sonne, der Hitze, der Wärme aus,
dann suchen sie rauhe, dunkle, kühle oder finstere
Oerter, Schatten und Luft; dann stellen sie ihre Na-
sen dem Zuge der Winde entgegen. -- In allen die-
sen, und in allen andern Fällen sind die sich selbst über-
lassenen Thiere den Vorschriften der Natur so treu,
so ganz ergeben, als sich selbst; sie folgen ihnen so
lange, als ihre Kräfte dauern, als ihre natürlichen
Verrichtungen ihre Glieder bewegen können." Sie
fasten wenn ihre Daukräfte verdorben sind; der ver-
stopfte Hund kauet das Hundsgraß etc.

§. 112.

Sollte man jetzt nicht geneigt seyn, den Instinkt
als einen sichern Weegweiser anzusehen? Auch hat
er sich in der That unter den grösten Aerzten viele
Achtung erworben. Van Swieten ermahnet die
Aerzte, aufmerksam darauf zu seyn; denn, sagt er,
die Begierden der Kranken sind oft wunderbare Be-
strebungen der Natur, die Krankheiten zu besiegen,
und sie übertreffen nicht selten alle Bemühungen der
Heilkunde. Schon Hippokrates zog die den Kranken an-
genehmern, obschon minder heilsamen Speisen und

Ge-

chenen Lehrmeiſter des Menſchen, befolgen ihre In-
ſtinkte. “Im Schauder, ſagt Wolſtein vermeiden
ſie den Zug der Luft, der Winde; ſie ſuchen ſich Oer-
ter, ſie waͤhlen ſich Plaͤtze, die ihr Leben erwaͤrmen,
die ſanft, die wohlthaͤtig fuͤr ihr Gefuͤhl, fuͤr ihre
Empfindungen ſind. — Iſt der Schauder oder die
Kaͤlte voruͤber, dann verlaſſen ſie dieſe Plaͤtze; dann
weichen ſie der Sonne, der Hitze, der Waͤrme aus,
dann ſuchen ſie rauhe, dunkle, kuͤhle oder finſtere
Oerter, Schatten und Luft; dann ſtellen ſie ihre Na-
ſen dem Zuge der Winde entgegen. — In allen die-
ſen, und in allen andern Faͤllen ſind die ſich ſelbſt uͤber-
laſſenen Thiere den Vorſchriften der Natur ſo treu,
ſo ganz ergeben, als ſich ſelbſt; ſie folgen ihnen ſo
lange, als ihre Kraͤfte dauern, als ihre natuͤrlichen
Verrichtungen ihre Glieder bewegen koͤnnen.„ Sie
faſten wenn ihre Daukraͤfte verdorben ſind; der ver-
ſtopfte Hund kauet das Hundsgraß ꝛc.

§. 112.

Sollte man jetzt nicht geneigt ſeyn, den Inſtinkt
als einen ſichern Weegweiſer anzuſehen? Auch hat
er ſich in der That unter den groͤſten Aerzten viele
Achtung erworben. Van Swieten ermahnet die
Aerzte, aufmerkſam darauf zu ſeyn; denn, ſagt er,
die Begierden der Kranken ſind oft wunderbare Be-
ſtrebungen der Natur, die Krankheiten zu beſiegen,
und ſie uͤbertreffen nicht ſelten alle Bemuͤhungen der
Heilkunde. Schon Hippokrates zog die den Kranken an-
genehmern, obſchon minder heilſamen Speiſen und

Ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0682" n="663"/>
chenen Lehrmei&#x017F;ter des Men&#x017F;chen, befolgen ihre In-<lb/>
&#x017F;tinkte. &#x201C;Im Schauder, &#x017F;agt <hi rendition="#fr">Wol&#x017F;tein</hi> vermeiden<lb/>
&#x017F;ie den Zug der Luft, der Winde; &#x017F;ie &#x017F;uchen &#x017F;ich Oer-<lb/>
ter, &#x017F;ie wa&#x0364;hlen &#x017F;ich Pla&#x0364;tze, die ihr Leben erwa&#x0364;rmen,<lb/>
die &#x017F;anft, die wohltha&#x0364;tig fu&#x0364;r ihr Gefu&#x0364;hl, fu&#x0364;r ihre<lb/>
Empfindungen &#x017F;ind. &#x2014; I&#x017F;t der Schauder oder die<lb/>
Ka&#x0364;lte voru&#x0364;ber, dann verla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie die&#x017F;e Pla&#x0364;tze; dann<lb/>
weichen &#x017F;ie der Sonne, der Hitze, der Wa&#x0364;rme aus,<lb/>
dann &#x017F;uchen &#x017F;ie rauhe, dunkle, ku&#x0364;hle oder fin&#x017F;tere<lb/>
Oerter, Schatten und Luft; dann &#x017F;tellen &#x017F;ie ihre Na-<lb/>
&#x017F;en dem Zuge der Winde entgegen. &#x2014; In allen die-<lb/>
&#x017F;en, und in allen andern Fa&#x0364;llen &#x017F;ind die &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;ber-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;enen Thiere den Vor&#x017F;chriften der Natur &#x017F;o treu,<lb/>
&#x017F;o ganz ergeben, als &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t; &#x017F;ie folgen ihnen &#x017F;o<lb/>
lange, als ihre Kra&#x0364;fte dauern, als ihre natu&#x0364;rlichen<lb/>
Verrichtungen ihre Glieder bewegen ko&#x0364;nnen.&#x201E; Sie<lb/>
fa&#x017F;ten wenn ihre Daukra&#x0364;fte verdorben &#x017F;ind; der ver-<lb/>
&#x017F;topfte Hund kauet das Hundsgraß &#xA75B;c.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 112.</head><lb/>
              <p>Sollte man jetzt nicht geneigt &#x017F;eyn, den In&#x017F;tinkt<lb/>
als einen &#x017F;ichern Weegwei&#x017F;er anzu&#x017F;ehen? Auch hat<lb/>
er &#x017F;ich in der That unter den gro&#x0364;&#x017F;ten Aerzten viele<lb/>
Achtung erworben. <hi rendition="#fr">Van Swieten</hi> ermahnet die<lb/>
Aerzte, aufmerk&#x017F;am darauf zu &#x017F;eyn; denn, &#x017F;agt er,<lb/>
die Begierden der Kranken &#x017F;ind oft wunderbare Be-<lb/>
&#x017F;trebungen der Natur, die Krankheiten zu be&#x017F;iegen,<lb/>
und &#x017F;ie u&#x0364;bertreffen nicht &#x017F;elten alle Bemu&#x0364;hungen der<lb/>
Heilkunde. Schon <hi rendition="#fr">Hippokrates</hi> zog die den Kranken an-<lb/>
genehmern, ob&#x017F;chon minder heil&#x017F;amen Spei&#x017F;en und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ge-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[663/0682] chenen Lehrmeiſter des Menſchen, befolgen ihre In- ſtinkte. “Im Schauder, ſagt Wolſtein vermeiden ſie den Zug der Luft, der Winde; ſie ſuchen ſich Oer- ter, ſie waͤhlen ſich Plaͤtze, die ihr Leben erwaͤrmen, die ſanft, die wohlthaͤtig fuͤr ihr Gefuͤhl, fuͤr ihre Empfindungen ſind. — Iſt der Schauder oder die Kaͤlte voruͤber, dann verlaſſen ſie dieſe Plaͤtze; dann weichen ſie der Sonne, der Hitze, der Waͤrme aus, dann ſuchen ſie rauhe, dunkle, kuͤhle oder finſtere Oerter, Schatten und Luft; dann ſtellen ſie ihre Na- ſen dem Zuge der Winde entgegen. — In allen die- ſen, und in allen andern Faͤllen ſind die ſich ſelbſt uͤber- laſſenen Thiere den Vorſchriften der Natur ſo treu, ſo ganz ergeben, als ſich ſelbſt; ſie folgen ihnen ſo lange, als ihre Kraͤfte dauern, als ihre natuͤrlichen Verrichtungen ihre Glieder bewegen koͤnnen.„ Sie faſten wenn ihre Daukraͤfte verdorben ſind; der ver- ſtopfte Hund kauet das Hundsgraß ꝛc. §. 112. Sollte man jetzt nicht geneigt ſeyn, den Inſtinkt als einen ſichern Weegweiſer anzuſehen? Auch hat er ſich in der That unter den groͤſten Aerzten viele Achtung erworben. Van Swieten ermahnet die Aerzte, aufmerkſam darauf zu ſeyn; denn, ſagt er, die Begierden der Kranken ſind oft wunderbare Be- ſtrebungen der Natur, die Krankheiten zu beſiegen, und ſie uͤbertreffen nicht ſelten alle Bemuͤhungen der Heilkunde. Schon Hippokrates zog die den Kranken an- genehmern, obſchon minder heilſamen Speiſen und Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/682
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 663. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/682>, abgerufen am 22.11.2024.