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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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Magens u. s. w. nicht angemessen seyn können, wo-
durch folglich zu vielerley Beschwerden und Rückfäl-
len Anlaß gegeben wird. Ganz anders verhält sich
hingegen die Sache, wo in dem Laufe und auf der
Höhe der Krankheit bey fehlenden Ursachen einer na-
türlichen Eßlust, und bey einem Widerwillen gegen
alle übrigen dem Kranken sonst angenehme Speisen und
Getränke, ein besonders ausgezeichnetes Verlangen
zu irgend etwas dieser Art entsteht, zumahl zu Din-
gen, die ihm sonst und in gesunden Tagen zuwieder
waren. Hier fällt aller Verdacht einer den geheimen
Trieben seiner hilfbegierigen Natur nicht entsprechen-
den Lüsternheit weg, und man darf höchst wahrschein-
lich vermuthen, daß dieser Appetit, dieses Verlan-
gen eine wahre Kuranzeige sey, deren vernünftig ge-
leitete Befriedigung zum wahren Heil des Kranken
gereichen werde."

Clerc, um zu erfahren, ob die Gelüsten der
Kranken nur Lüsternheit, oder wahrer Instinkt sind,
reicht ihnen anfänglich alles, was sie verlangen. War
es Einbildung, sagt er, so werfen sie es gleich wie-
der weg, sobald sie es versucht haben; war es aber
ein wahres Bedürfniß der Natur, so essen sie es mit
der grösten Lust. Er will von diesem Verfahren nie
üble Folgen gesehen haben.

Alle diese Prüfungsmittel haben den Fehler,
daß sie sich nur auf jene Begierden, welche Speiß
und Trank betreffen, einschränken. Aber, außer dem,
daß sie auch da nicht Probe halten, giebt es noch so
viele andere Dinge, welche die Ab- und Zuneigung

der

Magens u. ſ. w. nicht angemeſſen ſeyn koͤnnen, wo-
durch folglich zu vielerley Beſchwerden und Ruͤckfaͤl-
len Anlaß gegeben wird. Ganz anders verhaͤlt ſich
hingegen die Sache, wo in dem Laufe und auf der
Hoͤhe der Krankheit bey fehlenden Urſachen einer na-
tuͤrlichen Eßluſt, und bey einem Widerwillen gegen
alle uͤbrigen dem Kranken ſonſt angenehme Speiſen und
Getraͤnke, ein beſonders ausgezeichnetes Verlangen
zu irgend etwas dieſer Art entſteht, zumahl zu Din-
gen, die ihm ſonſt und in geſunden Tagen zuwieder
waren. Hier faͤllt aller Verdacht einer den geheimen
Trieben ſeiner hilfbegierigen Natur nicht entſprechen-
den Luͤſternheit weg, und man darf hoͤchſt wahrſchein-
lich vermuthen, daß dieſer Appetit, dieſes Verlan-
gen eine wahre Kuranzeige ſey, deren vernuͤnftig ge-
leitete Befriedigung zum wahren Heil des Kranken
gereichen werde.„

Clerc, um zu erfahren, ob die Geluͤſten der
Kranken nur Luͤſternheit, oder wahrer Inſtinkt ſind,
reicht ihnen anfaͤnglich alles, was ſie verlangen. War
es Einbildung, ſagt er, ſo werfen ſie es gleich wie-
der weg, ſobald ſie es verſucht haben; war es aber
ein wahres Beduͤrfniß der Natur, ſo eſſen ſie es mit
der groͤſten Luſt. Er will von dieſem Verfahren nie
uͤble Folgen geſehen haben.

Alle dieſe Pruͤfungsmittel haben den Fehler,
daß ſie ſich nur auf jene Begierden, welche Speiß
und Trank betreffen, einſchraͤnken. Aber, außer dem,
daß ſie auch da nicht Probe halten, giebt es noch ſo
viele andere Dinge, welche die Ab- und Zuneigung

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[671/0690] Magens u. ſ. w. nicht angemeſſen ſeyn koͤnnen, wo- durch folglich zu vielerley Beſchwerden und Ruͤckfaͤl- len Anlaß gegeben wird. Ganz anders verhaͤlt ſich hingegen die Sache, wo in dem Laufe und auf der Hoͤhe der Krankheit bey fehlenden Urſachen einer na- tuͤrlichen Eßluſt, und bey einem Widerwillen gegen alle uͤbrigen dem Kranken ſonſt angenehme Speiſen und Getraͤnke, ein beſonders ausgezeichnetes Verlangen zu irgend etwas dieſer Art entſteht, zumahl zu Din- gen, die ihm ſonſt und in geſunden Tagen zuwieder waren. Hier faͤllt aller Verdacht einer den geheimen Trieben ſeiner hilfbegierigen Natur nicht entſprechen- den Luͤſternheit weg, und man darf hoͤchſt wahrſchein- lich vermuthen, daß dieſer Appetit, dieſes Verlan- gen eine wahre Kuranzeige ſey, deren vernuͤnftig ge- leitete Befriedigung zum wahren Heil des Kranken gereichen werde.„ Clerc, um zu erfahren, ob die Geluͤſten der Kranken nur Luͤſternheit, oder wahrer Inſtinkt ſind, reicht ihnen anfaͤnglich alles, was ſie verlangen. War es Einbildung, ſagt er, ſo werfen ſie es gleich wie- der weg, ſobald ſie es verſucht haben; war es aber ein wahres Beduͤrfniß der Natur, ſo eſſen ſie es mit der groͤſten Luſt. Er will von dieſem Verfahren nie uͤble Folgen geſehen haben. Alle dieſe Pruͤfungsmittel haben den Fehler, daß ſie ſich nur auf jene Begierden, welche Speiß und Trank betreffen, einſchraͤnken. Aber, außer dem, daß ſie auch da nicht Probe halten, giebt es noch ſo viele andere Dinge, welche die Ab- und Zuneigung der

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 671. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/690>, abgerufen am 22.11.2024.