Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

hinlänglich da seyn werden, seine ganze Lust zu befrie-
digen; man gab ihm freylich nicht zu viel auf ein-
mal; es äusserte sich keine Verschlimmerung; aber die
Krankheit gieng ihren traurigen Gang fort, und er
starb nach zwey Tagen. -- Vogels Kranker aß die
Kirschsuppe mit Lust auf; sie verursachte ihm den
Tod. -- Durch diese und die in den zwey vorigen
Paragraphen angeführten Geschichten wird das Simsische
und Klerkische Prüfungsmittel, obschon beyde in manchen
Fällen sehr brauchbar bleiben, dennoch als unzuver-
läßig und oft unsicher dargethan.

§. 115.

Ich halte den Instinkt für eine Eigenschaft der
ganzen organischen Natur. Wir sehen ihn in den
Pflanzen, in den Thieren und im Menschen. Er er-
hält nach Verschiedenheit des Subjektes und der Aeu-
ßerung [verlorenes Material - Zeichen fehlt]schiedene Namen, als: Neigung, Trieb,
Zuneigung, Instinkt u. s. w. Er ist folglich den
nämlichen Gesetzen unterworfen, welchen jeder beson-
dere Organismus unter seinen verschiedenen Abände-
rungen unterworfen ist. Wenn die in dem thierischen
Organismus vereinigten und wirkenden Kräfte zur
Erhaltung desselben abzielen, und zureichend sind, so
ist der dadurch bewirkte Instinkt heilsam; wirken die-
se hingegen verwirrt, zweckwidrig, irrig, träg, über-
mäßig, zum Untergang, so ist auch der Instinkt nichts
anders, als ein verwirrtes, zweckwidriges, irriges,
träges, übermäßiges, schädliches Bemühen der thie-
rischen Natur, gerade so, wie es unter diesen Um-

stän-
Gall I. Band U u

hinlaͤnglich da ſeyn werden, ſeine ganze Luſt zu befrie-
digen; man gab ihm freylich nicht zu viel auf ein-
mal; es aͤuſſerte ſich keine Verſchlimmerung; aber die
Krankheit gieng ihren traurigen Gang fort, und er
ſtarb nach zwey Tagen. — Vogels Kranker aß die
Kirſchſuppe mit Luſt auf; ſie verurſachte ihm den
Tod. — Durch dieſe und die in den zwey vorigen
Paragraphen angefuͤhrten Geſchichten wird das Simſiſche
und Klerkiſche Pruͤfungsmittel, obſchon beyde in manchen
Faͤllen ſehr brauchbar bleiben, dennoch als unzuver-
laͤßig und oft unſicher dargethan.

§. 115.

Ich halte den Inſtinkt fuͤr eine Eigenſchaft der
ganzen organiſchen Natur. Wir ſehen ihn in den
Pflanzen, in den Thieren und im Menſchen. Er er-
haͤlt nach Verſchiedenheit des Subjektes und der Aeu-
ßerung [verlorenes Material – Zeichen fehlt]ſchiedene Namen, als: Neigung, Trieb,
Zuneigung, Inſtinkt u. ſ. w. Er iſt folglich den
naͤmlichen Geſetzen unterworfen, welchen jeder beſon-
dere Organismus unter ſeinen verſchiedenen Abaͤnde-
rungen unterworfen iſt. Wenn die in dem thieriſchen
Organismus vereinigten und wirkenden Kraͤfte zur
Erhaltung deſſelben abzielen, und zureichend ſind, ſo
iſt der dadurch bewirkte Inſtinkt heilſam; wirken die-
ſe hingegen verwirrt, zweckwidrig, irrig, traͤg, uͤber-
maͤßig, zum Untergang, ſo iſt auch der Inſtinkt nichts
anders, als ein verwirrtes, zweckwidriges, irriges,
traͤges, uͤbermaͤßiges, ſchaͤdliches Bemuͤhen der thie-
riſchen Natur, gerade ſo, wie es unter dieſen Um-

ſtaͤn-
Gall I. Band U u
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0692" n="673"/>
hinla&#x0364;nglich da &#x017F;eyn werden, &#x017F;eine ganze Lu&#x017F;t zu befrie-<lb/>
digen; man gab ihm freylich nicht zu viel auf ein-<lb/>
mal; es a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erte &#x017F;ich keine Ver&#x017F;chlimmerung; aber die<lb/>
Krankheit gieng ihren traurigen Gang fort, und er<lb/>
&#x017F;tarb nach zwey Tagen. &#x2014; <hi rendition="#fr">Vogels</hi> Kranker aß die<lb/>
Kir&#x017F;ch&#x017F;uppe mit Lu&#x017F;t auf; &#x017F;ie verur&#x017F;achte ihm den<lb/>
Tod. &#x2014; Durch die&#x017F;e und die in den zwey vorigen<lb/>
Paragraphen angefu&#x0364;hrten Ge&#x017F;chichten wird das Sim&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
und Klerki&#x017F;che Pru&#x0364;fungsmittel, ob&#x017F;chon beyde in manchen<lb/>
Fa&#x0364;llen &#x017F;ehr brauchbar bleiben, dennoch als unzuver-<lb/>
la&#x0364;ßig und oft un&#x017F;icher dargethan.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 115.</head><lb/>
              <p>Ich halte den In&#x017F;tinkt fu&#x0364;r eine Eigen&#x017F;chaft der<lb/>
ganzen organi&#x017F;chen Natur. Wir &#x017F;ehen ihn in den<lb/>
Pflanzen, in den Thieren und im Men&#x017F;chen. Er er-<lb/>
ha&#x0364;lt nach Ver&#x017F;chiedenheit des Subjektes und der Aeu-<lb/>
ßerung <gap reason="lost" unit="chars"/>&#x017F;chiedene Namen, als: Neigung, Trieb,<lb/>
Zuneigung, In&#x017F;tinkt u. &#x017F;. w. Er i&#x017F;t folglich den<lb/>
na&#x0364;mlichen Ge&#x017F;etzen unterworfen, welchen jeder be&#x017F;on-<lb/>
dere Organismus unter &#x017F;einen ver&#x017F;chiedenen Aba&#x0364;nde-<lb/>
rungen unterworfen i&#x017F;t. Wenn die in dem thieri&#x017F;chen<lb/>
Organismus vereinigten und wirkenden Kra&#x0364;fte zur<lb/>
Erhaltung de&#x017F;&#x017F;elben abzielen, und zureichend &#x017F;ind, &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t der dadurch bewirkte In&#x017F;tinkt heil&#x017F;am; wirken die-<lb/>
&#x017F;e hingegen verwirrt, zweckwidrig, irrig, tra&#x0364;g, u&#x0364;ber-<lb/>
ma&#x0364;ßig, zum Untergang, &#x017F;o i&#x017F;t auch der In&#x017F;tinkt nichts<lb/>
anders, als ein verwirrtes, zweckwidriges, irriges,<lb/>
tra&#x0364;ges, u&#x0364;berma&#x0364;ßiges, &#x017F;cha&#x0364;dliches Bemu&#x0364;hen der thie-<lb/>
ri&#x017F;chen Natur, gerade &#x017F;o, wie es unter die&#x017F;en Um-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Gall <hi rendition="#aq">I.</hi> Band U u</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ta&#x0364;n-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[673/0692] hinlaͤnglich da ſeyn werden, ſeine ganze Luſt zu befrie- digen; man gab ihm freylich nicht zu viel auf ein- mal; es aͤuſſerte ſich keine Verſchlimmerung; aber die Krankheit gieng ihren traurigen Gang fort, und er ſtarb nach zwey Tagen. — Vogels Kranker aß die Kirſchſuppe mit Luſt auf; ſie verurſachte ihm den Tod. — Durch dieſe und die in den zwey vorigen Paragraphen angefuͤhrten Geſchichten wird das Simſiſche und Klerkiſche Pruͤfungsmittel, obſchon beyde in manchen Faͤllen ſehr brauchbar bleiben, dennoch als unzuver- laͤßig und oft unſicher dargethan. §. 115. Ich halte den Inſtinkt fuͤr eine Eigenſchaft der ganzen organiſchen Natur. Wir ſehen ihn in den Pflanzen, in den Thieren und im Menſchen. Er er- haͤlt nach Verſchiedenheit des Subjektes und der Aeu- ßerung _ ſchiedene Namen, als: Neigung, Trieb, Zuneigung, Inſtinkt u. ſ. w. Er iſt folglich den naͤmlichen Geſetzen unterworfen, welchen jeder beſon- dere Organismus unter ſeinen verſchiedenen Abaͤnde- rungen unterworfen iſt. Wenn die in dem thieriſchen Organismus vereinigten und wirkenden Kraͤfte zur Erhaltung deſſelben abzielen, und zureichend ſind, ſo iſt der dadurch bewirkte Inſtinkt heilſam; wirken die- ſe hingegen verwirrt, zweckwidrig, irrig, traͤg, uͤber- maͤßig, zum Untergang, ſo iſt auch der Inſtinkt nichts anders, als ein verwirrtes, zweckwidriges, irriges, traͤges, uͤbermaͤßiges, ſchaͤdliches Bemuͤhen der thie- riſchen Natur, gerade ſo, wie es unter dieſen Um- ſtaͤn- Gall I. Band U u

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/692
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 673. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/692>, abgerufen am 22.11.2024.