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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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Bey den durch den Instinkt bewirkten Kuren
hat man zu untersuchen, ob die Genesung eine Wir-
kung des Instinktes, oder der Instinkt eine Wirkung
der anfangenden Genesung, der vermehrten Absonde-
rung des Speichels und Magensaftes, der verstärkten
Daukräfte etc. gewesen seye. Dieses scheint in der
vom Jahr 1673 von Sydenham beschriebenen Epi-
demie der Fall gewesen zu seyn, in welcher das er-
ste Zeichen der Genesung eine unmäßige Lust war,
etwas Sonderbares zu essen oder zu trinken.

Den strengsten Beweiß endlich, daß die hef-
tigsten, unwiderstehlichsten, nicht im geringsten von
der Einbildungskraft abhängigen Begierden oft nur
höchst unordentliche, und nachtheilige Bestrebungen
seyen, haben wir an dem Triebe zum Selbstmord
und an der Wasserscheue. Es sind beyde ein Höllen-
kampf zwischen den widersprechendsten Begierden und
Verabscheuungen. Die Kranken fühlen den allmäch-
tigen Drang sich zu töden, oder die Umstehenden zu
beißen und anzuspeyen. Da sie sich aber bewust sind,
so kämpft der eine zwischen der Liebe zum Leben, zwi-
schen Mitleiden für sich und seinen zu hinterlassenden
Angehörigen etc; der and ere bittet inständig, man möch-
te sein unsinniges Bestreben vereitlen; er streckt die
Hände dar, um sich binden zu lassen; aber er kann
in den heftigen Zu ckungen so wenig dem Beißen wi-
derstehen, daß er sich selbsten beißet; sein Durst ist
unerträglich grausam heftig, und der Anblick, der
bloße Gedanke an eine Flüßigkeit erregt ihm die jam-
mervollsten Krämpfe und einen unnennbaren Abscheu

vor

Bey den durch den Inſtinkt bewirkten Kuren
hat man zu unterſuchen, ob die Geneſung eine Wir-
kung des Inſtinktes, oder der Inſtinkt eine Wirkung
der anfangenden Geneſung, der vermehrten Abſonde-
rung des Speichels und Magenſaftes, der verſtaͤrkten
Daukraͤfte ꝛc. geweſen ſeye. Dieſes ſcheint in der
vom Jahr 1673 von Sydenham beſchriebenen Epi-
demie der Fall geweſen zu ſeyn, in welcher das er-
ſte Zeichen der Geneſung eine unmaͤßige Luſt war,
etwas Sonderbares zu eſſen oder zu trinken.

Den ſtrengſten Beweiß endlich, daß die hef-
tigſten, unwiderſtehlichſten, nicht im geringſten von
der Einbildungskraft abhaͤngigen Begierden oft nur
hoͤchſt unordentliche, und nachtheilige Beſtrebungen
ſeyen, haben wir an dem Triebe zum Selbſtmord
und an der Waſſerſcheue. Es ſind beyde ein Hoͤllen-
kampf zwiſchen den widerſprechendſten Begierden und
Verabſcheuungen. Die Kranken fuͤhlen den allmaͤch-
tigen Drang ſich zu toͤden, oder die Umſtehenden zu
beißen und anzuſpeyen. Da ſie ſich aber bewuſt ſind,
ſo kaͤmpft der eine zwiſchen der Liebe zum Leben, zwi-
ſchen Mitleiden fuͤr ſich und ſeinen zu hinterlaſſenden
Angehoͤrigen ꝛc; der and ere bittet inſtaͤndig, man moͤch-
te ſein unſinniges Beſtreben vereitlen; er ſtreckt die
Haͤnde dar, um ſich binden zu laſſen; aber er kann
in den heftigen Zu ckungen ſo wenig dem Beißen wi-
derſtehen, daß er ſich ſelbſten beißet; ſein Durſt iſt
unertraͤglich grauſam heftig, und der Anblick, der
bloße Gedanke an eine Fluͤßigkeit erregt ihm die jam-
mervollſten Kraͤmpfe und einen unnennbaren Abſcheu

vor
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[676/0695] Bey den durch den Inſtinkt bewirkten Kuren hat man zu unterſuchen, ob die Geneſung eine Wir- kung des Inſtinktes, oder der Inſtinkt eine Wirkung der anfangenden Geneſung, der vermehrten Abſonde- rung des Speichels und Magenſaftes, der verſtaͤrkten Daukraͤfte ꝛc. geweſen ſeye. Dieſes ſcheint in der vom Jahr 1673 von Sydenham beſchriebenen Epi- demie der Fall geweſen zu ſeyn, in welcher das er- ſte Zeichen der Geneſung eine unmaͤßige Luſt war, etwas Sonderbares zu eſſen oder zu trinken. Den ſtrengſten Beweiß endlich, daß die hef- tigſten, unwiderſtehlichſten, nicht im geringſten von der Einbildungskraft abhaͤngigen Begierden oft nur hoͤchſt unordentliche, und nachtheilige Beſtrebungen ſeyen, haben wir an dem Triebe zum Selbſtmord und an der Waſſerſcheue. Es ſind beyde ein Hoͤllen- kampf zwiſchen den widerſprechendſten Begierden und Verabſcheuungen. Die Kranken fuͤhlen den allmaͤch- tigen Drang ſich zu toͤden, oder die Umſtehenden zu beißen und anzuſpeyen. Da ſie ſich aber bewuſt ſind, ſo kaͤmpft der eine zwiſchen der Liebe zum Leben, zwi- ſchen Mitleiden fuͤr ſich und ſeinen zu hinterlaſſenden Angehoͤrigen ꝛc; der and ere bittet inſtaͤndig, man moͤch- te ſein unſinniges Beſtreben vereitlen; er ſtreckt die Haͤnde dar, um ſich binden zu laſſen; aber er kann in den heftigen Zu ckungen ſo wenig dem Beißen wi- derſtehen, daß er ſich ſelbſten beißet; ſein Durſt iſt unertraͤglich grauſam heftig, und der Anblick, der bloße Gedanke an eine Fluͤßigkeit erregt ihm die jam- mervollſten Kraͤmpfe und einen unnennbaren Abſcheu vor

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 676. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/695>, abgerufen am 22.11.2024.