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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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Eigenheiten der Außendinge und der Bestandtheile des
Körpers bezweiflen!

Die Abneigung gegen die spezifischen Mittel
kömmt von den Vorstellungen her, die man sich da-
von zu machen pflegt. So z. B. heißen einige die-
jenigen Mittel spezifisch, welche eine bestimmte Krank-
heit unter allen Umständen sicher heilen. Wer diesen
Begriff annimmt, der muß auch behaupten, daß das
gewiß zum Sehen ganz eigends eingerichtete Auge un-
ter keinerley Umständen zum Sehen unfähig gemacht
werden könne.

Bey andern sind nur diejenigen Mittel spezi-
fisch, welche eine bestimmte Krankheit auf eine un-
bekannte, unerklärbare und verborgene Weise heilen.
Im Grunde ist uns kein einzige Erscheinung weder
des gesunden noch des kranken Menschen anschaulich
bekannt; sie geschehen alle durch die Lebenskraft,
über welche die Natur einen undurchdringlichen Schley-
er gezogen hat. Und wer erklärt mir, warum der
gelindere Reitz des Brechweinsteins und der Brech-
wurzel den Magen umkehrt, da jener des Jalappen-
harzes und der Aloe etc. einen Bauchfluß erregt? Wer
erklärt es, warum der Mohnsaft, ungeachtet er über-
all die Krämpfe hebt, dennoch alle Ausleerungen zu-
rückhält, und den Schweiß befördert? Wirken die
spanischen Fliegen, die Rhabarber, die Hundsbeeren
(Ligustrum vulgare) minder auf die Harnweege --
die Färberröthe minder auf die Knochen und die Ge-
bärmutter etc. wenn wir diese Wirkungen erklären oder
nicht erklären zu können glauben? -- Ist endlich die

Wir-

Eigenheiten der Außendinge und der Beſtandtheile des
Koͤrpers bezweiflen!

Die Abneigung gegen die ſpezifiſchen Mittel
koͤmmt von den Vorſtellungen her, die man ſich da-
von zu machen pflegt. So z. B. heißen einige die-
jenigen Mittel ſpezifiſch, welche eine beſtimmte Krank-
heit unter allen Umſtaͤnden ſicher heilen. Wer dieſen
Begriff annimmt, der muß auch behaupten, daß das
gewiß zum Sehen ganz eigends eingerichtete Auge un-
ter keinerley Umſtaͤnden zum Sehen unfaͤhig gemacht
werden koͤnne.

Bey andern ſind nur diejenigen Mittel ſpezi-
fiſch, welche eine beſtimmte Krankheit auf eine un-
bekannte, unerklaͤrbare und verborgene Weiſe heilen.
Im Grunde iſt uns kein einzige Erſcheinung weder
des geſunden noch des kranken Menſchen anſchaulich
bekannt; ſie geſchehen alle durch die Lebenskraft,
uͤber welche die Natur einen undurchdringlichen Schley-
er gezogen hat. Und wer erklaͤrt mir, warum der
gelindere Reitz des Brechweinſteins und der Brech-
wurzel den Magen umkehrt, da jener des Jalappen-
harzes und der Aloe ꝛc. einen Bauchfluß erregt? Wer
erklaͤrt es, warum der Mohnſaft, ungeachtet er uͤber-
all die Kraͤmpfe hebt, dennoch alle Ausleerungen zu-
ruͤckhaͤlt, und den Schweiß befoͤrdert? Wirken die
ſpaniſchen Fliegen, die Rhabarber, die Hundsbeeren
(Liguſtrum vulgare) minder auf die Harnweege —
die Faͤrberroͤthe minder auf die Knochen und die Ge-
baͤrmutter ꝛc. wenn wir dieſe Wirkungen erklaͤren oder
nicht erklaͤren zu koͤnnen glauben? — Iſt endlich die

Wir-
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[694/0713] Eigenheiten der Außendinge und der Beſtandtheile des Koͤrpers bezweiflen! Die Abneigung gegen die ſpezifiſchen Mittel koͤmmt von den Vorſtellungen her, die man ſich da- von zu machen pflegt. So z. B. heißen einige die- jenigen Mittel ſpezifiſch, welche eine beſtimmte Krank- heit unter allen Umſtaͤnden ſicher heilen. Wer dieſen Begriff annimmt, der muß auch behaupten, daß das gewiß zum Sehen ganz eigends eingerichtete Auge un- ter keinerley Umſtaͤnden zum Sehen unfaͤhig gemacht werden koͤnne. Bey andern ſind nur diejenigen Mittel ſpezi- fiſch, welche eine beſtimmte Krankheit auf eine un- bekannte, unerklaͤrbare und verborgene Weiſe heilen. Im Grunde iſt uns kein einzige Erſcheinung weder des geſunden noch des kranken Menſchen anſchaulich bekannt; ſie geſchehen alle durch die Lebenskraft, uͤber welche die Natur einen undurchdringlichen Schley- er gezogen hat. Und wer erklaͤrt mir, warum der gelindere Reitz des Brechweinſteins und der Brech- wurzel den Magen umkehrt, da jener des Jalappen- harzes und der Aloe ꝛc. einen Bauchfluß erregt? Wer erklaͤrt es, warum der Mohnſaft, ungeachtet er uͤber- all die Kraͤmpfe hebt, dennoch alle Ausleerungen zu- ruͤckhaͤlt, und den Schweiß befoͤrdert? Wirken die ſpaniſchen Fliegen, die Rhabarber, die Hundsbeeren (Liguſtrum vulgare) minder auf die Harnweege — die Faͤrberroͤthe minder auf die Knochen und die Ge- baͤrmutter ꝛc. wenn wir dieſe Wirkungen erklaͤren oder nicht erklaͤren zu koͤnnen glauben? — Iſt endlich die Wir-

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 694. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/713>, abgerufen am 21.11.2024.