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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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rüttung ihrer Gemüths- und Geisteseigenschaften die
Gabe der Verstellung in so hohem Grade, daß man
ihnen bey allem Anschein von Ruh und Sanftmuth
dennoch nie trauen darf. Dieses war der Fall in
dem 36ten Kranken bey Perfect, und mancher Arzt
und Krankenwärter ist dadurch zu seinem oder des
Kranken Nachtheil getäuschet worden.

Ein ähnlicher Grund mag es auch seyn,
daß es einigen Krankheiten eigen ist, den Muth
des Kranken bis auf den letzten Othemzug uner-
schüttert zu erhalten, da ihn hingegen andere beym
ersten Angriff so sehr niederschlagen, daß ihn nichts
mehr aufrichten kann. Wie gelassen sind die so
selten heilbaren Wassersüchtigen! wie täuschend
ist die Hofnung der Lungensüchtigen! Was für
schlimme Streiche versetzt uns hingegen die Muth-
losigkeit in gewissen Zeiträumen der Gall- und
Faulsieber, der Nervensieber, wo doch die Gefahr
bey weitem nicht allemal so zuverläßig ist! Zu den
Anfällen der hysterischen Krankheit, so wenig sie ge-
fährlich ist, gesellet sich doch manchmal eine große
Furcht zu sterben, und sie glauben oft, wenn sie die
Ohnmachten und Zuckungen mit Herzklopfen anwandeln,
daß sie augenblicklich sterben werden. Wer erklärt
jene gewissenhafte Selbstbeschuldigung, welche das
Lustseuchengift zu hinterlassen scheint? Warum will
Heute der Hypochonder aus Verzagtheit und Lebens-
überdruß nichts vom Arzte und nichts von Arzneyen
wissen, da er ihn Morgen aufs pünktlichste für jeden

sind

ruͤttung ihrer Gemuͤths- und Geiſteseigenſchaften die
Gabe der Verſtellung in ſo hohem Grade, daß man
ihnen bey allem Anſchein von Ruh und Sanftmuth
dennoch nie trauen darf. Dieſes war der Fall in
dem 36ten Kranken bey Perfect, und mancher Arzt
und Krankenwaͤrter iſt dadurch zu ſeinem oder des
Kranken Nachtheil getaͤuſchet worden.

Ein aͤhnlicher Grund mag es auch ſeyn,
daß es einigen Krankheiten eigen iſt, den Muth
des Kranken bis auf den letzten Othemzug uner-
ſchuͤttert zu erhalten, da ihn hingegen andere beym
erſten Angriff ſo ſehr niederſchlagen, daß ihn nichts
mehr aufrichten kann. Wie gelaſſen ſind die ſo
ſelten heilbaren Waſſerſuͤchtigen! wie taͤuſchend
iſt die Hofnung der Lungenſuͤchtigen! Was fuͤr
ſchlimme Streiche verſetzt uns hingegen die Muth-
loſigkeit in gewiſſen Zeitraͤumen der Gall- und
Faulſieber, der Nervenſieber, wo doch die Gefahr
bey weitem nicht allemal ſo zuverlaͤßig iſt! Zu den
Anfaͤllen der hyſteriſchen Krankheit, ſo wenig ſie ge-
faͤhrlich iſt, geſellet ſich doch manchmal eine große
Furcht zu ſterben, und ſie glauben oft, wenn ſie die
Ohnmachten und Zuckungen mit Herzklopfen anwandeln,
daß ſie augenblicklich ſterben werden. Wer erklaͤrt
jene gewiſſenhafte Selbſtbeſchuldigung, welche das
Luſtſeuchengift zu hinterlaſſen ſcheint? Warum will
Heute der Hypochonder aus Verzagtheit und Lebens-
uͤberdruß nichts vom Arzte und nichts von Arzneyen
wiſſen, da er ihn Morgen aufs puͤnktlichſte fuͤr jeden

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[58/0077] ruͤttung ihrer Gemuͤths- und Geiſteseigenſchaften die Gabe der Verſtellung in ſo hohem Grade, daß man ihnen bey allem Anſchein von Ruh und Sanftmuth dennoch nie trauen darf. Dieſes war der Fall in dem 36ten Kranken bey Perfect, und mancher Arzt und Krankenwaͤrter iſt dadurch zu ſeinem oder des Kranken Nachtheil getaͤuſchet worden. Ein aͤhnlicher Grund mag es auch ſeyn, daß es einigen Krankheiten eigen iſt, den Muth des Kranken bis auf den letzten Othemzug uner- ſchuͤttert zu erhalten, da ihn hingegen andere beym erſten Angriff ſo ſehr niederſchlagen, daß ihn nichts mehr aufrichten kann. Wie gelaſſen ſind die ſo ſelten heilbaren Waſſerſuͤchtigen! wie taͤuſchend iſt die Hofnung der Lungenſuͤchtigen! Was fuͤr ſchlimme Streiche verſetzt uns hingegen die Muth- loſigkeit in gewiſſen Zeitraͤumen der Gall- und Faulſieber, der Nervenſieber, wo doch die Gefahr bey weitem nicht allemal ſo zuverlaͤßig iſt! Zu den Anfaͤllen der hyſteriſchen Krankheit, ſo wenig ſie ge- faͤhrlich iſt, geſellet ſich doch manchmal eine große Furcht zu ſterben, und ſie glauben oft, wenn ſie die Ohnmachten und Zuckungen mit Herzklopfen anwandeln, daß ſie augenblicklich ſterben werden. Wer erklaͤrt jene gewiſſenhafte Selbſtbeſchuldigung, welche das Luſtſeuchengift zu hinterlaſſen ſcheint? Warum will Heute der Hypochonder aus Verzagtheit und Lebens- uͤberdruß nichts vom Arzte und nichts von Arzneyen wiſſen, da er ihn Morgen aufs puͤnktlichſte fuͤr jeden ſind

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/77>, abgerufen am 09.11.2024.